
Er sammelt Abfall im Quadratmeter – und verkauft ihn
Marcel Reichen ist eine Wasserratte. An Flüssen, an Seen und anderen Gewässern fühlt er sich wohl. Wäre da nicht der ganze Abfall, der im Wasser treibt oder am Ufer angeschwemmt wird. Im Sommer 2020 begann der 53-Jährige damit, nach seinen Ausflügen ans Wasser den herumliegenden Abfall einzusammeln und nach Hause zu nehmen. «Wenn ich schon dort bin, kann ich das ja gleich erledigen.»
Dann kam das Jahr 2021 und mit ihm der Plan, eine Auszeit zu nehmen und mit dem Wohnwagen durch die Schweiz zu reisen. Doch Corona und ein Bandscheibenvorfall vereitelten die Pläne von Marcel Reichen. Und so lebte er auf dem Campingplatz in Aarburg. Während er seinen Bandscheibenvorfall auskurierte, tüftelte er weiter an seiner Idee mit dem Abfallsammeln. Zumal mit dem Hochwasser viel Abfall in den Bäumen an den Ufern hing. Die Idee: Er sammelt Abfall, breitet diesen in einem Ein-Quadratmeter-Holzgestell aus und verkauft den Quadratmeter für 29 Franken. Wer einen Quadratmeter kauft, erhält von Reichen ein Zertifikat. Unter den Abnehmern sind inzwischen namhafte Firmen zu finden. «Erfreulicherweise haben auch einige Privatpersonen Abfall bestellt und so mitgeholfen, die Gewässer von Abfall zu befreien. Sie alle haben mitgeholfen, dass das Projekt ein Erfolg wurde», sagt Reichen.
In einem ersten Schritt spendete Marcel Reichen, der ursprünglich Schreiner, Bauleiter und Leiter Gebäudemanagement war, den Erlös an Projekte, die sich dem sorgfältigen Umgang mit der Natur verschrieben haben. Den Erlös aus den ersten 92 Quadratmetern hat er bereits gespendet. 1000 Franken gingen an «Buy Food with Plastic», 500 Franken an die Privatschule Papillon in Aarburg und 500 Franken an den Tierschutzverein «drei Teams» aus Aarburg. Das restliche Geld legt er auf die Seite, um Präventionsmassnahmen zu ergreifen. Mit der Schule Papillon verbindet Marcel Reichen eine schöne Geschichte: Er fand während dem Abfallsammeln eine Flaschenpost. Die Zeichnung darin konnte er aber niemandem zuordnen. Und so postete er ein Foto davon auf Facebook. Eine Person fand heraus, dass es sich um eine Zeichnung der Schule Papillon handelte. Und so nahm Marcel Reichen mit der Leiterin der Schule Kontakt auf. Weil ihm das Konzept der Schule gefiel, da diese unter anderem viel Wert auf den Umgang mit der Natur legt, entschied er sich, einen Beitrag zu spenden.
Das Ziel von Marcel Reichen ist, so viel Abfall wie möglich zu sammeln und zu entsorgen. Den Erfolg will er bildlich an einem Fussballfeld der Nationalliga A in der Grösse von 100 auf 64 Meter messen. Aktuell liegt die bestellte und gesammelte Abfallmenge bei 129 Quadratmetern. «Der Fünfmeter-Raum eines Fussballfelds ist also bereits gefüllt und der Sechzehner angefangen», sagt Reichen in seinem breiten Berndeutsch. In einem zweiten Schritt will er nun weiterhin Geld pro Quadratmeter sammeln. Dieses Geld soll dann reinvestiert werden in Projekte zu Abfallthemen.
Den ganzen Abfall, den Marcel Reichen inzwischen gesammelt hat, wird er auf einer Fläche ausbreiten und den Menschen zeigen. Diese Idee will er wenn möglich noch im November realisieren. Den Anlass verbindet er mit Informationen und Sensibilisierung. Anschliessend wird er den Abfall, den er zwischenzeitlich in einer Tiefgarage in Aarburg lagert, fachgerecht entsorgen.
Marcel Reichen, der im Berner Oberland in Frutigen aufgewachsen ist, geht jeweils in seiner Freizeit – ausgerüstet mit Velo und Anhänger sowie einer Zange – an den Ufern auf Sammeltour. Aare, Wigger und Pfaffnern hat er bereits teilweise von Abfall befreit. Von Autoreifen über eine Autobatterie bis zu Velos und einer Hornusser-Nuoss war alles dabei. Über den Abfall ärgert sich Reichen nicht. Denn viel Abfall sei von früher, als Firmen ihren Bautschutt noch irgendwohin kippten. Wenig Verständnis hat er allerdings für die vielen Robidog-Säcke – gefüllten notabene – die an den Ufern herumliegen.
Zu Beginn machte sich Marcel Reichen Gedanken, was die Leute wohl von ihm denken, wenn er da an den Ufern Abfall einsammelt. Doch in Gesprächen mit den Passanten erhielt er viele positive Rückmeldungen. Das bestärkt ihn darin, mit seinem Projekt fortzufahren. Weitere Ideen hat er bereits im Köcher. Sie sind aber noch nicht ganz ausgereift.