«Es geht um die Freude, nicht ums Geld»

Wie würden Sie die Sportart Hornussen einem Ausländer erklären?

Marco Roos: Das ist schwierig. Es ist ein Schweizer Nationalsport, dessen Ursprung schon weit über 200 Jahre zurückliegt. Es ist eine Mischung aus Baseball, Eishockey und vielleicht noch etwas Golf.

Wie sind Sie zu dieser urtypischen Schweizer Sportart gekommen?

Weil mein Vater gehornusst hat, bin ich auf der Scharleten (dem Platz der HG Mättenwil-Brittnau, Anm. der Red.) gross geworden. Ich war schon als kleiner Junge an den Spielen dabei und bin um die Hütte gesprungen. Ich bin also quasi in diesen Sport hineingewachsen.

Was fasziniert Sie daran?

Es ist das ideale Hobby, um dem stressigen Alltag etwas zu entfliehen. Es findet alles in der Natur statt und es ist nicht gross an Geld gebunden. Beispielsweise Ablösesummen gibt es bei uns nicht. Es ist alles noch sehr ähnlich wie in den Gründungsjahren, obwohl es sich natürlich immer mehr zum Sport entwickelt hat.

Wenn man einmal dabei ist, bleibt man ein Leben lang Hornusser?

In den meisten Fällen ist das tatsächlich so.

Hornussen ist wahrscheinlich die Sportart, die das breiteste Alterssegment abdeckt?

Das ist so. In unserer Mannschaft beispielsweise ist der Älteste um die 55 Jahre alt, der Jüngste 16 oder 17.

Sie sind 32 Jahre alt. Wie lange werden Sie noch aktiv sein?

Solange es geht. Ich gehe schon davon aus, dass ich erst etwa bei der Hälfte meiner Karriere als Sportler bin.

Haben Sie auch schon mit Verletzungen zu kämpfen gehabt?

Im letzten Jahr habe ich einen kleineren Rückschlag mit den Bändern des Fussgelenks zu verkraften gehabt. Der Ursprung der Verletzung lag aber nicht beim Hornussen. Beim Hornussen selbst habe ich mich noch nie verletzt.

Es gab auch noch keinen Vorfall mit einer «verirrten» Nouss?

Es hat mich sicher auch schon eine von einer Schindel abgespickte Nouss getroffen, aber das hat lediglich für einen blauen Fleck gesorgt. Sonst sind wir ja mit Helmen geschützt.

Gibt es immer noch viele Hornusser, die keinen Helm tragen?

Es gibt immer weniger. Als der Jahrgang 1984 zu den Aktiven gewechselt ist, wurde die Helmtragepflicht eingeführt. So werden die anderen je länger je weniger.

Würden Sie Hornussen als Spitzensport bezeichnen?

Nein, als Spitzensport nicht, aber als Sport mit Spitzenleistungen.

Für einen Zuschauer, der zum ersten Mal ein Meisterschaftsspiel mitverfolgt, mutet es zuweilen eher speziell an, wenn es Aktive gibt, die während der Partie eine Zigarette rauchen.

Wir müssen uns diesbezüglich nicht anlügen, es ist eine Sportart, die auch Menschen ausüben können, die unter der Woche keinen Marathon absolvieren. Geraucht wird ab und zu, das ist richtig, aber eigentlich nur bei der schlagenden Mannschaft. Beim Abtun gibt es das bei uns aber nicht.

Ärgern Sie sich, wenn Ihr Hobby belächelt wird?

Man hört das hie und da, aber ich sage dann jeweils: «Probiert es zuerst einmal aus.» Dann wird es in der Regel ruhiger. Es ist eine der Sportarten, die einfacher aussehen, als sie es wirklich sind.

Was für Voraussetzungen muss ein Spitzenhornusser mitbringen?

Vor allem sehr viel Erfahrung. In der Regel sind an der Spitze nur diejenigen, die schon seit der Kindheit hornussen. Gefragt ist zudem die ideale Mischung aus Kraft und Technik. Und auch das Material muss möglichst gut auf den jeweiligen Sportler abgestimmt sein.

Aber eine gewisse Grösse und Masse ist auch nötig?

Das kann man nicht unbedingt sagen. Wenn die Technik und das Material stimmen, ist viel möglich. Auch ein kleinerer, leichterer Hornusser kann Kraft und vor allem Schnellkraft haben. Es braucht nicht zwingend eine Schwingerpostur.

Wie gross ist der finanzielle und zeitliche Aufwand, den ein Spitzenhornusser leisten muss?

Der finanzielle Aufwand ist relativ gering, er beläuft sich pro Saison etwa auf 500 Franken. Der zeitliche Aufwand hingegen ist viel grösser. Unsere Saison dauert jeweils relativ lange – von März bis Oktober. Dadurch ist man viele Wochenenden unterwegs. Hinzu kommen ein bis zwei Trainings pro Woche.

Sie waren zweimal eidgenössischer Schlägerkönig und siebenmal bester Hornusser der Nationalliga A. Was zeichnet Sie aus?

Das waren noch Zeiten (lacht). Es ist schon einen Moment her. Ich habe viele Jahre auch für diesen Sport gelebt. Alles andere – ausser natürlich die Familie – ist erst danach gekommen. Ich war nie extrem oft im Training, aber doch immer regelmässig. Ausserdem hat es in dieser Zeit auch psychisch hervorragend gepasst. Der Kopf ist wie in jeder anderen Sportart auch bei uns ein entscheidender Faktor. Daran ist schon der eine oder andere gescheitert.

Wie wichtig ist Talent, wie wichtig Trainingsfleiss, wie wichtig Routine?

Der Trainingsfleiss macht Routine. Und Routine ist sicher entscheidend, vor allem, wenn es einmal nicht so gut läuft. Das Talent ist bestimmt auch ein kleiner Faktor, aber ich weiss jetzt nicht, ob das auch bei mir extrem wichtig war.

Sie hätten mehrmals die Möglichkeit gehabt, den Verein zu wechseln, sind der HG Mättenwil-Zofingen, die seit kurzem wieder HG Mättenwil-Brittnau heisst, aber auch in der Nationalliga B treu geblieben. Weshalb?

Ich war mit fünf Jahren das erste Mal auf der Scharleten und bin hier gross geworden. Dadurch habe ich viele gute Kameraden und teilweise sogar Vorbilder kennengelernt. Hornussen ist für mich immer noch ein Hobby und ein Hobby soll zuerst einmal Freude bereiten. Um das zu erreichen, braucht es die richtigen Leute. Mir ist es wohl hier.

Welche Rolle spielt die Kameradschaft bei den Hornussern?

Sicher eine grosse. Bei uns geht es schliesslich um die Freude und nicht ums Geld.

Das müsste doch auch die Jungen anlocken. Wie sieht es bezüglich Nachwuchs aus?

Im Hornussersport allgemein ist die Situation bezüglich Nachwuchs teilweise schon etwas schwierig, obwohl der Verband mit Swiss Olympic gut zusammenarbeitet. Es ist nicht immer einfach für die Vereine, diesen Sport zum Beispiel den Schülern näherzubringen. Wir haben einen solchen Anlass durchgeführt und es waren sofort wieder zwei, drei Neue dabei. Obwohl wir hier in Brittnau bezüglich Hornussen eine ziemliche Randregion sind, sind wir sehr gut aufgestellt im Nachwuchsbereich. Wir betreiben zusammen mit Balzenwil eine Nachwuchsmannschaft und haben selbst um die zwölf Junghornusser. Wenn das schweizweit jede Gesellschaft hätte, gäbe es sicher kein Problem.

Wie sieht es bei der an der Meisterschaft teilnehmenden Anzahl Mannschaften aus?

Im Vergleich zu vor 20 Jahren hat es leicht abgenommen, aber zuletzt hat sich wahrscheinlich nicht mehr viel daran geändert. In diesem Bereich liegen unsere Probleme sicher nicht.

Befürchten Sie, dass Hornussen einmal ganz von der Sportlandkarte verschwindet?

Das kann es in gewissen Regionen geben. Allerdings ist da die Frage, ob das Problem der Sport oder vielleicht doch der Verein ist. Aber grundsätzlich wird diese Sportart noch lange ausgeübt.

Im Jahr 2017 stammten 107 Hornussergesellschaften aus dem Kanton Bern, deren 13 aus dem Kanton Solothurn und 5 aus dem Aargau. Je zwei kamen aus Freiburg, Luzern, Zürich und Basel-Landschaft sowie je eine aus den Kantonen Thurgau, Schaffhausen und St. Gallen. Weshalb ist die Verbreitung derart unterschiedlich?

Das hat mit dem Ursprung zu tun. Hornussen kommt aus dem «Bernbiet» und hat sich deshalb auch vor allem dort verbreitet. Rund um Kirchberg hat fast jedes Dorf oder sogar jeder Weiler eine Hornussergesellschaft. Es erstaunt und erfreut mich deshalb auch, dass sogar in der Ostschweiz gehornusst wird.

Gab oder gibt es Bestrebungen, die Sportart auch in weitere Teile der Schweiz zu «importieren»?

Die Bestrebungen liegen eher darin, dass man das Hornussen gegen aussen und für die Mitglieder, die einen sehr grossen Aufwand betreiben müssen, interessanter machen kann. Ich denke aber, dass in der Westschweiz auch in 30 Jahren nicht gehornusst wird.

Geld soll in diesem Sport aber auch in Zukunft keine entscheidende Rolle spielen?

Kurzfristig sicher nicht.

Sie sind einer der erfolgreichsten Hornusser der letzten 15 Jahre. Ärgert es Sie, dass Sie sich nie auf internationalem Parkett mit anderen messen konnten?

Ich habe mir darüber gar nie grosse Gedanken gemacht. Und so kann ich immerhin sagen: «Ich war einmal der Beste.» Wenn ich mich mit anderen hätte messen müssen, hätte ich das vielleicht nicht mehr sagen können.

Was sind Ihre Ziele für das Eidgenössische diesen August in Walkringen?

Mit der Mannschaft haben wir in der 2. Stärkeklasse einen Titel zu verteidigen. Wir wollen zumindest einen Hornrang erreichen, das heisst einen Platz unter den ersten fünf. Im Einzel hoffe ich, dass mir acht gute Streiche gelingen. Wahrscheinlich reicht es nicht mehr nach ganz vorne, aber mit acht guten Streichen würde ich auf einem Platz landen, mit dem ich zufrieden sein kann.

 

 

Persönlich

Marco Roos wurde am 27. April 1985 geboren und wohnt mit seiner Freundin in Wangen an der Aare. Der gelernte Polymechaniker ist heute im Bereich Planung und Logistik tätig. Er ist 1,90 m gross, 125 kg schwer, isst am liebsten Cordon bleu und trinkt vorzugsweise Cola Zero. Marco Roos ist seit rund 20 Jahren Hornusser, spielt momentan mit einer Steckenlänge von 2,85 m und einem Träfgewicht von 325 bis 330 g. Marco Roos holte am Eidgenössischen Hornusserfest zweimal (2006 und 2009) den Titel und war sieben Mal bester Langschläger der NLA. Er war vier Jahre Präsident der HG Mättenwil-Zofingen und ist neuer Spielleiter des Fanionteams in der Nationalliga B.