
«Es ist ein Problem, wenn jeder nur für sich schaut»
Immer frohen Mutes, so kennt man den FDP-Gemeinderat Dino Di Fronzo in Aarburg. Doch vor zwei Monaten hatte sogar Di Fronzo ein paar Sorgenfalten. Denn vor erst einem Jahr hat er eine Firma gegründet, kaufte in verschiedenen Schweizer Städten vier Optiker-Geschäfte, schloss diese in einer Holding mit Sitz in Aarburg zusammen und wurde so zum Unternehmer. Unter dem Namen Orsena AG will Di Fronzo eine Kette von Brillen- und Hörgerätegeschäften aufbauen.
«In den Grossfirmen konnte ich meine Vision nicht vollends realisieren», sagt Di Fronzo. «Ich wollte etwas Eigenes machen, die Lebensqualität der Menschen in den Vordergrund stellen.» Karriere machte der Secondo davor bei der Migros, bei Mobilzone und in der Hörakustikbranche, wo er als Geschäftsführer eine Firma aufgebaut hat. Doch irgendwann habe er sich gefragt: «Was willst du noch im Leben?» Und er wollte was Eigenes gestalten. Da hat er all sein Geld zusammengekratzt und mit Banken-Finanzierung eine Firma gegründet. «Ich bin nicht reich geboren, ich habe mir alles selber erarbeitet und auch früh gelernt, Verantwortung zu übernehmen», stellt Di Fronzo klar. Seine Eltern seien aus Kampanien und mit nichts in die Schweiz gekommen. «Aber ich habe von Ihnen viel Liebe erhalten.» Und als Geschäftsführer habe er eine Zeit lang sehr gut verdient.
«Ich will über die Optikergeschäfte die Hörgeräte zu den Leuten bringen und damit ihre Lebensqualität verbessern.» Das Thema Hörakustik müsse man quasi demokratisieren, denn viele Menschen hätten Hörprobleme. So bietet Di Fronzo in seinen Geschäften ein Hörgerät zum Nulltarif an – zumindest für den Kunden. Mit dem IV-Beitrag von 1650 Franken oder dem AHV-Zuschuss von 1237 Franken, könne er dem Kunden ein individuell angepasstes Hörgerät anbieten, so der Unternehmer. Doch im März musste sich der Jungunternehmer um ganz andere Themen kümmern. Das Corona-Virus breitet sich aus und die Geschäfte waren auf einen Schlag leer.
Was ging ihnen durch den Kopf, als der Lockdown da war?
Dino Di Fronzo: In der Theorie habe ich viele Ausbildungen genossen und abgeschlossen. Praktisch denkt man, dass man schon alles mal erfahren hat. Aber plötzlich kommt etwas, das man noch nie erlebt hat. Etwas, das sich wie ein kriegsähnlicher Zustand anfühlt. Die Leute blieben zu Hause, unsere Geschäfte waren leer. Da denkt man schnell an die Mitarbeiter, an die laufenden Kosten.
Sie durften als Optiker aber das Geschäft noch offen haben, oder?
Man würde gerne Leute bedienen, seiner Leidenschaft nachgehen und Umsatz machen. Eigentlich hätten wir für Notfälle offen bleiben können. Doch: Ist eine Kontaktlinsenanpassung noch ein Notfall? Zudem waren die Menschen in dieser Phase stark verunsichert und kamen nicht mehr.
Was machten sie dann?
Der Mitarbeiterschutz stand für uns zuoberst. Also durften Kunden nur noch tröpfchenweise ins Geschäft. Das war nicht eine grosse Herausforderung, denn die Kunden kamen eh nicht. Neben der Arbeitssicherheit stellte sich schnell der Frage der Liquidität und damit der Kurzarbeit. Wenn man als junges Unternehmen in der Investitionsphase ist, werden die Mittel grossmehrheitlich für das Wachstum eingesetzt.
Hätten sie ohne jegliche Staatshilfen nicht überlebt?
Das ist schwierig zu sagen. Wir wollten keine Leute entlassen. Darum die Kurzarbeit. Wir hätten sicher für einige Monate noch Liquidität gehabt, um den laufenden Betrieb sicherstellen zu können. Aber danach hätte sich die Frage gestellt: Woher generieren wir das Geld, um den Fortbestand des Unternehmens sicherzustellen? Darum haben wir auch vorsorglich einen Kredit beantragt. Wir wussten zu diesem Zeitpunkt nicht, ab wann wir wieder arbeiten konnten und wie lange es dauern würde, bis wieder Normalität einkehren wird.
Den Kredit kann man ja auch als Freisinniger guten Gewissens beantragen. Den zahlt man ja zurück. Das Kurzarbeitsgeld hingegen muss niemand zurückzahlen.
Das ist aus liberaler Sicht die Schwierigkeit: Wie geht man damit um? Wenn man gerade in einer solchen Situation in der Schweiz die Arbeitslosigkeit gut kontrollieren kann, dann ist das Instrument der Kurzarbeit ein wesentlicher Erfolgsfaktor. Ich bin froh darum. Denn ich will ja nach dem Lockdown die Wachstumsstrategie weiterführen. In Ländern wo man diese Möglichkeit so nicht kennt, sind die Unternehmen gezwungen viel drastischere Massnahmen zu ergreifen, was die Erholung nach der Krise massiv behindert.
Wieviel Geld haben sie in den letzten Monaten für Kurzarbeit konkret erhalten?
Die Kurzarbeit deckt 80 Prozent der Löhne. Mittlerweile hat sich die Auftragslage wieder normalisiert. Obschon wir noch Anrecht auf Kurzarbeitsentschädigung haben, konnten wir in den letzten Wochen mehr und mehr zur Normalität übergehen. Der Zweck eines Unternehmens ist, Geld zu erwirtschaften, um die langfristige Entwicklung aus den eigenen Mitteln sicherstellen zu können. Das Kurzarbeitsgeld hat die Absicht, Arbeitsplätze zu sichern und nicht die Aufgabe den Fortbestand eines Unternehmens sicherzustellen. Ein Unternehmen muss einen angemessenen Gewinn aus seiner Tätigkeit erwirtschaften können für seine Existenzberechtigung.
Sie als FDP-Unternehmer sind also auf Steuergelder angewiesen. Das scheint etwas absurd.
Das ist nicht schön, nein. Diese stützenden Massnahmen sind für die Wirtschaft gesprochen worden und nicht für Unternehmer als Einzelpersonen. Unternehmen haben eine wichtige Funktion in einer Gesellschaft und sorgen für Arbeitsplätze und sichern somit unseren Wohlstand. Diese Situation ist für selbstständige Kleinstunternehmen wie Coiffeur, Berater, Dienstleister, etc. noch viel schwieriger. Grosskonzerne können über das Volumen noch etwas auffangen. Aber selbst unsere grossen, internationalen Lieferanten sagen, sie könnten nur zwei, drei Monate überleben, wenn die Wirtschaft stillsteht. Gesamtwirtschaftlich hat so ein Lockdown schon enorme Konsequenzen.
Sie sind Politiker einer Partei, die gegen Bürokratie und für einen schlanken Staat kämpft. Hat der Lockdown ihre Meinung über Staatshilfen verändert?
Nein, aber man muss realistisch sein. Der Wohlstand, den wir uns über Generationen erarbeitet haben, hat einen sehr hohen Wert. In dieser ausserordentlichen Situation sind auch ausserordentliche Massnahmen notwendig gewesen. Kurzarbeit war nicht eine einseitige Unterstützung der Unternehmen, hatte den Zweck, die Arbeitsplätze zu erhalten. Die gesprochenen Kredite hatten die Aufgabe, die kurzfristige Liquidität sicherzustellen, ist aber eine Verschuldung und jeder weiss, dass Schulden möglichst zeitnah zurückzubezahlen sind. Jetzt geht es darum möglichst schnell zur Normalität zurückzufinden und uns auf unsere Stärken und Eigenständigkeit zu fokussieren.
Diese Sichtweise ist einfach eine simple Sozialisierung der Kosten.
Es gibt einen Teil an die Lohnkosten. Aber wir zahlen trotzdem den vollen Lohn. Lassen wir doch die Kurzarbeit mal weg und gehen zu den Krediten. Viele denken, die Unternhmen hätten Geld geschenkt bekommen, das sei ja super. Aber dieses Geld muss zurückbezahlt werden. Verschuldungen sind nicht gut. Der Unternehmer muss Geld verdienen. Selbst wenn im Lockdown alle Kosten gedeckt würden, hat der Unternehmer ein Problem. Wir müssen und wollen ja wirtschaften. Wir wollen Gewinn generieren, investieren und wachsen.
Die Frage für einen Unternehmer muss nun aber auch sein: Wer sorgt für eine solche Krise vor? Nur der Staat oder auch die Firmen?
Es muss attraktiver sein für Unternehmen, den Gewinn sinnvoll zu investieren. Ein gesundes Unternehmen hat eine gute Kapitalbasis, um den langfristigen Fortbestand aus dem eigenen wirtschaftlichen Handeln sicherstellen zu können. Wenn über längere Zeit kein angemessener Gewinn erwirtschaftet wird, ist dies für jedes Unternehmen bedrohlich. Bisher konnte man für eine Pandemie auch keine Rückstellungen machen.
Sie meinen damit steuerbefreite Rückstellungen.
Genau. Damit gibt es für Unternehmen auch einen Anreiz dazu. Auch im Lockdown muss man an Investitionen denken, an Werbung etc. Letztlich kann man niemand verantwortlich machen für die Situation.
Gemäss der Grundhaltung der FDP müssten ja Unternehmen selbstverantwortlich handeln und für solche Krisen gerüstet sein. Der Staat hätte so nicht eingreifen sollen.
In der Theorie würde das auch so ohne weiteres funktionieren. Ohne Staatshilfe hätten viele Unternehmen diese Krise nicht überstanden. Aber die Unternehmer würden nicht sterben, sondern einfach eine neue Geschäftsidee realisieren. Damit würde aber ein grosser gesamtwirtschaftlicher Schaden entstehen, denn die Arbeitsplätze wären eliminiert worden. Letztlich ist es ein Problem, wenn jeder nur für sich schaut, denn so können Krisensituationen in der heutigen schnellen Welt nicht bewältigt werden. Zum Beispiel jetzt mit der Grenzöffnung. Da stehen die Leute Schlange, um im Ausland einzukaufen. Es ist doch abstrus, wenn jene, die Steuergelder in Form von Kurzarbeitsentschädigung erhalten, es dann in Deutschland ausgeben. Es ist ungesund und muss uns zu denken geben, wenn der Detailhandel in Deutschland so attraktiv ist, dass wir über hundert Kilometer mit dem Auto über die Grenze fahren mit all den ökologischen Nebenfolgen, die wir damit verursachen.
Grosse Firmen dürfen trotz Kurzarbeitsgeld Millionen an Dividenden ausschütten. Warum darf der kleine Büezer nicht im Ausland einkaufen, um ein paar Franken zu sparen?
Ich will nicht polemisieren und auch nichts verbieten. Logisch ist jeder ein Schnäppchenjäger. Logisch darf der Private auch im Ausland einkaufen. Aber man sollte sich bewusst sein, dass darunter das lokale Gewerbe leidet. Wenn man Restaurants und Geschäfte hat, belebt das einen Ort. Wenn die Geschäfte aber durch Schliessungen vom Ortsbild verschwinden, dann sind sie für immer weg. Wir müssen dafür sorgen, dass die Rahmenbedingungen für einen Fortbestand gegeben sind und dass sich gesunde Unternehmen positiv entwickeln können, neue Ideen realisiert werden und somit Arbeitsplätze geschaffen werden.
Was war die negativste Erfahrung in den letzten Monaten?
Diese Pandemie hat uns allen unsere Grenzen aufgezeigt und dass wir deren Folgen ausgeliefert waren. Dies führte zu Abhängigkeit oder Ohnmacht: Man nimmt kein Geld ein und weiss nicht, wie lange das dauert.
Die positivste Erfahrung?
Die Demut, das Zusammenstehen, die Menschlichkeit. Wir hatten zum Beispiel mit dem Sportgeschäft hier nebenan mehr Austausch und wollen auch künftig mehr zusammenarbeiten, verkaufen vielleicht gemeinsam Sportbrillen. Auch zu Hause: Ich ging für meine Eltern einkaufen, habe jeden Tag angerufen, was ich davor nicht machte.