«Es ist nahezu unmöglich, gute Mitarbeitende zu finden»: Aargauer Wirte suchen verzweifelt nach Gastronomie-Fachkräften

«Alle Branchenkollegen, die ich kenne, sind auf der Suche nach Fachpersonal.» Das sagt Tobias Krummenacher, der mit seiner Partnerin Désirée Sibold den «Lockentopf» in Aarau und das «Dory & Du» in Baden führt. «Im Moment ist es nahezu unmöglich, gut qualifizierte Mitarbeitende zu finden.»

Für sie sei es auch während des Lockdowns nie eine Option gewesen, den Angestellten zu kündigen: «Wir sind dankbar, dass wir die nötigen finanziellen Mittel erhalten haben und so gut zu unseren Leuten schauen konnten. Dafür sind wir nun in einer privilegierteren Position», erklärt Krummenacher. Wegen des steigenden Gästeandrangs sind auch bei ihnen insgesamt zwei Stellen frei: «Dank der Mehrarbeit des Teams können wir das noch überbrücken.»

Die Folgen der Corona-Krise treffen die Gastrobranche empfindlich. Im ganzen Kanton Aargau fehlen Fachkräfte in der Küche und im Service. Gemäss Zahlen von GastroSuisse hat ein Siebtel aller Gastroangestellten die Branche verlassen. Ein ähnliches Bild zeigt sich im Kanton Aargau, sagt Bruno Lustenberger, Präsident von GastroAargau: «Es ist tragisch, dass so viele die Branche verlassen. Wir haben einen Fachkräftemangel.»

Als Grund sieht er neben Pensionierungen, für die zu wenig Junge nachkommen, auch eine grosse Abwanderung. Viele hätten den Beruf gewechselt – wohl auch, weil sie die Berufsaussichten als schlecht einschätzten. Dem setzt Lustenberger entgegen: «Ich halte die Sorge, dass etwa eine Köchin keine Arbeit finden könnte, für unbegründet. Köche braucht es immer.»

Erst recht Schweizer Köche: Diese gehörten zu den Weltbesten und seien überall gefragt.

Wegen fehlendem Koch ist der Villiger «Hirschen» über Mittag zu

Wie gefragt das Gastronomie-Fachpersonal aktuell ist, zeigt sich in den Stimmen von allen Aargauer Wirten, die wir zum Thema befragt haben.

So sagt Nadja Schuler, Geschäftsführerin und Küchenchefin im «Restaurant & Hotel zum Hirschen» in Villigen: «Es hat fast niemanden auf dem Markt.» Das sei zwar schon länger ein Thema, Corona habe aber alles noch schlimmer gemacht. Wie Krummenacher sagt auch Schuler: «Ich kenne keinen einzigen Betrieb, der nicht auf der Suche ist.»

Ein Jahr lang hat Schuler nach einem Sous-Chef gesucht – ohne Erfolg. Deshalb entschloss sich das «Hirschen»-Team, drastische Konsequenzen zu ziehen: «Irgendwann konnte ich einfach nicht mehr. Weil wir einfach niemand für die Küche fanden, haben wir beschlossen, das Mittagsgeschäft praktisch zu streichen.» Ausser am Dienstag ist der «Hirschen» seither mittags zu.

Trotz schwieriger Personalsuche: Wirte bleiben zuversichtlich

Einen Lichtblick hat Schuler aber zu vermelden: Im August fängt eine neue Cheffe de Service an. «Jetzt hoffen wir einfach, dass alles klappt und es ihr auch gefällt», blickt sie voraus.

Auch Peter Schneider, Co-Gastgeber im Aarauer «Schützen», war nach dem Lockdown überrascht, wie schwer es ist, Mitarbeitende zu finden. Im «Schützen» sind aktuell vier Stellen offen. Schneider möchte die Situation allerdings nicht überdramatisieren: «Gutes Personal war in der Gastronomie noch nie einfach zu finden. Wir sind zuversichtlich, dass wir das Problem bewältigen.»

Die Jungen zögern, eine Gastro-Lehre anzufangen

Der Personalmangel in der Aargauer Gastrobranche betrifft auch den Nachwuchs. Für Sommer 2021 sind noch viele Lehrstellen unbesetzt. Laut GastroAargau-Präsident Bruno Lustenberger war das Vorjahr schon mässig, und bisher habe man erst 135 Lehrverträge abschliessen können – das ist nochmals ein Viertel weniger als letztes Jahr.

So schlecht seien die Zahlen aber nicht, relativiert Lustenberger: «Es ist das Beste, das wir aus der Situation machen konnten.» Und in den letzten Wochen habe sich die Situation ein wenig entspannt: «Wir konnten aufholen.» In die Nähe des Vor-Pandemie-Niveaus zu kommen, sei aber unmöglich, weil es monatelang keine Schnupperlehren gab: «Ohne diesen Kontakt ist es sehr schwierig, Lernende zu gewinnen», sagt Lustenberger. GastroAargau gebe nun Vollgas, um noch möglichst viele Lernende anzuwerben – mit Kampagnen und vereinfachten Schnupperlehren.

Das Nachwuchsproblem führt Lustenberger unter anderem auf den Imageschaden zurück, den die Gastronomie während der Pandemie erlitten hat: «Unser Ruf ist noch immer ramponiert.» Die lange Schliessung habe auch nicht geholfen. Lustenberger gibt sich kämpferisch: «Wir machen alles, was wir können, um die Gastronomie wieder ins rechte Licht zu rücken.»

So steht es um die Lehrstellen im Aargau

Während es in der Gastrobranche harzt, steht es insgesamt gut um die Lehrstellen im Kanton. «Die Lehrstellensituation im Aargau sieht – entgegen der Erwartungen und Befürchtungen – sehr gut aus», sagt Urs Widmer, Geschäftsleiter des Aargauischen Gewerbeverbandes. 

Gemäss Zahlen des Departements für Bildung, Kultur und Sport (BKS) wurden bis Ende Juni 5461 Lehrverträge abgeschlossen. Das sind 64 mehr als zum gleichen Zeitpunkt im Vorjahr. Es seien auch deutlich mehr Lehrstellen ausgeschrieben worden als letztes Jahr, meldet das BKS. So sind aktuell noch 21,9 Prozent der Lehrstellen unbesetzt – und die Chancen für Lehrstellensuchende intakt, eine geeignete Stelle zu finden.