Schulden, Corona, Paragraphenreiter: Eine Aargauer Gastro-Angestellte erzählt, was sie durchmachte

Wie bitter es sein kann, wenn man einige tausend Franken Schulden abzahlen muss, zeigt das Beispiel einer Unterkulmer Gastroangestellten (Name der Redaktion bekannt). Und auch, wie Corona alles noch viel schlimmer macht – bis hin zu Behörden, die auf stur schalten.

Die Ausgangslage: Eine Gastroangestellte mittleren Alters hatte mit Unterstützung des Schuldenberaters Hans H. Eichenberger bereits einen grossen Schuldenberg abgearbeitet, als der zweite Lockdown kam. Während sie zum Nichtstun verdammt war, verdiente sie nur noch 80 Prozent. Die Möglichkeiten, Steuerausstände zu begleichen, waren sehr beschränkt. Trotz der Pandemie-Umstände wandte die Verwaltung die Paragrafen ganz konsequent an. Der Lohn wurde gepfändet und dieser dann noch mit einer zweiten Betreibung belegt.

«Umstände der Pandemie nicht berücksichtigt»

«Es ist schwer nachvollziehbar, dass man mich auf dem Existenzminimum betreibt und zusätzlich noch Zahlungen verlangt», erklärt die Gastroangestellte. Sie ist überzeugt: «Anderen geht es auch so. Aber sie tun sich schwer damit und fressen alles in sich hinein. Darum erzähle ich meine Geschichte.»

Für den erfahrenen Schuldenberater Eichenberger ist klar: «Die Umstände der Pandemie wurden in diesem Fall nicht im Geringsten berücksichtigt. Ich bin für Mandantinnen und Mandaten aus verschiedenen Gemeinden tätig. In keiner anderen habe ich so etwas erlebt wie in Unterkulm. Allgemein lassen die Ämter mit sich reden.»

Unterbruch der Zahlungen im Lockdown beantragt

Die Gastroangestellte lässt sich seit fünf Jahren vom Schuldenberater helfen. Es ist unbestritten, dass sie in der Vergangenheit zu viel Geld ausgegeben hat. Doch nach 2017 habe sich ihr Betreibungsregister rasch gelichtet und schon bald sei nur noch ein grosser Brocken, die Steuerrückstände, übrig geblieben, erzählt der Schuldenberater.

Um die Gastroangestellte von weiteren Betreibungen zu verschonen, habe mit der Finanzverwaltung von Unterkulm ein Abkommen getroffen werden können, das auf regelmässigen Abzahlungsraten basierte. Doch dann passierte im letzten Oktober ein Fauxpas – zurückzuführen auf das Ende der NAB, die neu CS ist. Seine Mandantin habe es verpasst, den Dauerauftrag für die Teilzahlung der Steuern 2019 neu einzurichten, so der Schuldenberater. Dank Verhandlungen mit der Finanzverwaltung habe die Betreibung gerade noch verhindert werden können.

Doch dann kam im Dezember der zweite Lockdown, was für die Gastroangestellte eine Lohnkürzung von 20 Prozent zur Folge hatte. «Sie meldete dies sofort der Finanzverwaltung Unterkulm und ersuchte um einen Unterbruch der monatlichen Steuerzahlungen während des Lockdowns», berichtet der Schuldenberater.

Aus seiner Sicht hat die Finanzverwaltung «einen nicht nachziehbaren Vorschlag» einer monatlichen Zahlung von 511 statt 750 Franken gemacht: «Darauf konnte sich meine Mandantin nicht einlassen, weil die Gefahr, dass wegen der Steuerzahlungen die Krankenkassenprämien nicht hätten bezahlt werden können, zu gross war.» Es kam zur Betreibung und Lohnpfändung.

«Tatsächlich liess sich trotz der pandemiebedingten Lohneinbusse noch etwas aus der Zitrone herauspressen, denn nach Verrechnung des der Gastro­angestellten noch übrig gebliebenen Existenzminimums konnte das Betreibungsamt während der Monate Februar bis Juni immerhin noch durchschnittlich um 300 Franken an die Finanzverwaltung überweisen», so der Schuldenberater.

Eine zweite Betreibung gegen die Gepfändete

Nicht genug damit. Danach, so der Schuldenberater, folgte der eigentliche Hammer: «Noch in der Zeit, als die Lohnpfändung (Steuern 2019) lief und der Gastroangestellen wegen ihrer Kurzarbeit nach wie vor 20 Prozent des Lohnes fehlten, kündigte die Finanzverwaltung im April 2021 eine erneute Betreibung (Steuern 2020) an.» Die Beamten forderten monatlich zusätzliche 700 Franken.

Die Gastroangestellte erarbeitete zusammen mit ihrem Schuldenberater einen Lösungsvorschlag, der – 100 Prozent Lohn vorausgesetzt (was nach Ende des Lockdowns wieder der Fall ist) – eine totale Rückzahlung bis ins Jahr 2023 ermöglicht hätte. Doch die Verwaltung trat nicht auf den Vorschlag ein.

In einem von Gemeindeammann Emil Huber unterzeichneten Brief wird Anfang Mai unter anderem Verständnis für die Situation der Gastroangestellten signalisiert. Aber: «Mit der betreibungsrechtlichen Sicherstellung der Forderung schaffen wir Klarheit.» Das Betreibungsamt berücksichtige die individuelle Erwerbs- und Lebenssituation der Gastroangestellten und mache Forderungen erst geltend, wenn entsprechende finanziell Mittel vorhanden und das Existenzminimum gedeckt sei.

Das hatte zur Folge, dass, so der Schuldenberater, sich seine Mandantin «auf entwürdigende Art monatlich auf dem Betreibungsamt melden und ihre Quittungen über ausserordentliche Auslagen (Arztrechnungen etc.) vorweisen musste. Es blieb ihr so kaum Luft zum Leben.

Nachdem die Unterkulmer Finanzverwaltung in der Lockdown-Phase kaum mehr Bereitschaft zu einem Entgegenkommen gezeigt hatte, haben sich die Fronten zwischenzeitlich aufgeweicht: Seit Ende August zahlt die Gastroangestellte monatlich jeweils 1000 Franken. Nicht mehr an das Betreibungsamt, sondern an die Finanzverwaltung. Die Lohnpfändung aus der «1. Betreibung» wurde Ende Juli beendet. «Mit der Finanzverwaltung konnte ein Deal abgeschlossen werden, wonach die ‹2. Betreibung› nicht fortgesetzt wird und somit eine Lohnpfändung verhindert werden konnte», erklärt der Berater.

Die Chancen, dass alles gut kommt stehen – Stand heute – gut.