FDP-Nationalrätin Corina Eichenberger: «Die SRG ist ein Moloch geworden»

Frau Eichenberger, Sie sind jetzt genau zehn Jahre und eine Session Nationalrätin. Wie lautet Ihre Bilanz für das Jahr 2017?
Corina Eichenberger: Durchzogen. Wir hatten zwei Abstimmungen, die für das Land wichtig waren. Einerseits die Unternehmenssteuerreform: Die haben wir aus Sicht meiner Partei verloren, da müssen wir nochmals ran. Die Altersreform wurde abgelehnt, weil sie zu wenig ausgewogen war; das war in unserem Sinn, das können wir als Sieg verbuchen.

Erfolgreich war Ihre Partei mit der Wahl von Ignazio Cassis in den Bundesrat.
Sehr. Ich habe in den letzten zehn Jahren sieben Bundesratswahlen erlebt. Die erste – die Abwahl von Christoph Blocher – war die turbulenteste. Für mich als Neuling im Parlament war das ein verrücktes Erlebnis, ich musste auch über die Polarisierung im Parlament staunen, es gab Leute, die jubelten, als Blocher abgewählt wurde, auf der anderen Seite gab es einen Schock. Wir hatten in den letzten zehn Jahren auch Wahlen, die für uns Freisinnige schwierig waren, weil nicht sicher war, ob unsere Kandidaten durchkommen. Die Wahl von Cassis ging dagegen ruhig über die Bühne. Ich bin überzeugt, dass Cassis ein guter Bundesrat sein wird.

Über die letzten zehn Jahre gesehen: Was war politisch die heftigste Auseinandersetzung?
Für mich die Durchsetzungsinitiative. Inhaltlich toppte sie die Ausschaffungsinitiative. Während den Beratungen im Parlament herrschte die Meinung vor, die Initiative sei schon angenommen, sie zu bekämpfen sei quasi chancenlos. Am Schluss entstand eine Kraft, die der Überzeugung zum Durchbruch verhalf, dass es die Durchsetzungsinitiative nicht braucht. Es war ein erstaunlicher Kampf mit einem erstaunlichen Resultat.

Die Initiative wurde deutlich abgelehnt.
Genau.

Was könnte man Ihrer Meinung nach aus dem Politjahr 2017 streichen?
Die Debatte über sexuelle Belästigung wäre nicht unbedingt nötig gewesen.

Es gibt jetzt sogar ein Merkblatt für Parlamentarierinnen und Parlamentarier.
Der Druck der Medien war offenbar so gross, dass die Verwaltungsdelegation etwas machen musste. Sie hat Standards, die in Grossunternehmen gelten, zusammengestellt.

Es gab hämische Kritik: «Für so was haben die Zeit in Bern!»
Das Merkblatt wurde aus bestehendem Material zusammengestellt und verweist auf Kontaktstellen, der Aufwand war also nicht so gross, das ist so weit in Ordnung, obwohl es für mich nicht nötig war. Die Debatte drehte sich dann aber weiter Richtung: Wo sind Frauen im Bundeshaus benachteiligt? Das fand ich unnötig, weil es ein anderes Thema ist.

Donald Trump ist jetzt ein Jahr im Amt. Wie beurteilen Sie das erste Amtsjahr – so, wie Sie es erwartet haben?
Es entspricht etwa dem, was ich erwartet habe. Die USA sind ein gespaltenes Land, leider. Wir in Europa dürfen aber nicht vergessen, dass Trump – erstens – demokratisch gewählt ist und – zweitens – eine riesige Gefolgschaft hinter sich hat. In Europa ist sein Handeln manchmal schwierig nachzuvollziehen. Er setzt die Glaubwürdigkeit seines Landes mit seinen Tweets aufs Spiel; damit könnte auch das Machtgefüge auf der Welt aus der Balance geraten.

Er bleibt für uns unberechenbar.
Ja. Das war aufgrund des Wahlkampfs zu erwarten. Sein Agieren und Reagieren hat erratische, irrationale, manchmal auch wütende Züge.

Seit dem 1. September ist das neue Nachrichtendienstgesetz in Kraft. Sie haben sich dafür starkgemacht. Macht das neue Gesetz die Schweiz sicherer?
Zunächst: Eine absolute Sicherheit gibt es nicht, auch in der Schweiz nicht. Wir hatten bisher wohl einfach Glück, dass nichts passiert ist, und ich hoffe, dass das weiterhin so bleibt – ich fasse Holz an (Corina Eichenberger legt ihre Hände auf den Tisch). Die Instrumente, über die der Nachrichtendienst jetzt verfügt, stellen einen Schritt in die richtige Richtung dar. Der Nachrichtendienst kann nun – rechtsstaatlich abgesichert – Überwachungen vornehmen, die in den Nachbarstaaten schon längst praktiziert werden.

Wie waren laut Ihren Informationen die Erfahrungen der ersten Monate?
Es wurden Gesuche gestellt und bewilligt, aber über konkrete Ergebnisse habe ich keine Kenntnis.

Was bleibt die grösste Herausforderung angesichts der Bedrohung durch den islamistischen Terror?
Einerseits müssen wir die Überwachung von radikalisierten Leuten und von Terroristen, die ihre Strafe bereits abgesessen haben und nicht ausgeschafft werden können, im Griff haben. Andererseits gestaltet sich der Umgang mit Leuten, die in die Einflussgebiete des IS gereist sind und radikalisiert zurückkehren, sehr schwierig. Wie wir mit diesen umgehen und sie wieder in unsere Gesellschaft integrieren, damit sie ihr radikales Gedankengut hinter sich lassen, bleibt eine grosse Herausforderung. Ebenso jene herauszupicken – in den Gefängnissen, in den Moscheen – die Schlimmes vorhaben und gewaltbereit sind, im Dienste des Islam.

Und mit dem neuen Gesetz sind wir genug gewappnet?
Ich glaube ja. Ohne dass es Grundsätze des Rechtsstaates verletzt, gibt es dem Nachrichtendienst mehr Möglichkeiten. Das ist enorm wichtig für unser Land und die Bevölkerung, aber auch für die Glaubwürdigkeit gegenüber unseren Nachbarstaaten.

Wie stehen Sie zum Verhüllungsverbot, über das wir abstimmen werden?
Ich bin liberal. Wer auf der Strasse herumläuft, soll anziehen können, was er oder sie will. Ein Vermummungsverbot bei Demonstrationen ist richtig, das haben wir schon. Und auch im Umgang mit Behörden sollen Gesichter frei sein. Ein Verhüllungsverbot auf Verfassungsstufe ist eine Kleiderverordnung, die nicht nötig ist.

Das Phänomen der Fake News beschäftigt Sie, wie man bei Ansprachen von Ihnen registrieren konnte. Haben diese zusammen mit dem Wutgebell auf den sozialen Medien das politische Klima in der Schweiz schon verändert?
Davon ist noch wenig zu spüren. Der Einfluss traditioneller Medien, die beweisbare Tatsachen verbreiten und fundierte Informationen weitergeben, ist nach wie vor sehr gross. Ich hoffe, dass das so bleibt. Allerdings sehe ich eine Gefahr darin, dass sich durch die Aufsplitterung der Gesellschaft das traditionelle Wissen über die demokratischen Vorgänge in unserem Land relativiert. Wir haben ein tiefes Verständnis von Mehrheiten und Minderheiten und von der Respektierung von Abstimmungsergebnissen. Sollte sich dieser Trend weiter fortsetzen, wäre das schlecht für unser Land. Wenn wir uns aber – wie wir es uns seit über 100 Jahren gewohnt sind – vor jeder Wahl und jeder Abstimmung informieren und Argumente abwägen sowie dazu verschiedenste Medien konsultieren, dann sind wir auf einem guten Weg. Besonders, wenn wir das der jungen Generation weitergeben können.

Sie sind schon lange Verwaltungsratspräsidentin der ZT Medien AG, die unter anderem das Zofinger Tagblatt herausgibt. Warum sind Medien wie das ZT weiterhin wichtig?
Das Zofinger Tagblatt bleibt für die Region enorm wichtig; es ist nahe bei den Menschen, die hier leben, und nahe bei dem, was hier passiert. Was in der Welt geschieht, hat man heute meist gratis auf verschiedensten Kanälen. Darüber zu berichten, was in der Nähe passiert, bleibt zentrale Aufgabe einer Zeitung wie des Zofinger Tagblatts, und an diese Aufgabe glaube ich.

Die Medienszene war auch 2017 in Bewegung; NZZ und AZ Medien gaben den Zusammenschluss bekannt. Die ZT Medien AG ist und bleibt unabhängig. Wie wichtig ist diese Unabhängigkeit?
Dieses Joint Venture geschieht ja vor allem vor dem Hintergrund, bei den überregionalen Ressorts zusammenzugehen. Die lokalen, regionalen Informationen sollen nah am Bürger bleiben. Hier ist Unabhängigkeit für uns besonders wichtig. Wir sind vom Zusammenschluss insofern betroffen, weil wir den Mantelteil für das Zofinger Tagblatt bei den AZ Medien beziehen. Die Unabhängigkeit des regionalen Teils der Zeitung ist davon aber nicht berührt.

Am 4. März steht eine wichtige Medien-Entscheidung an. Wie heftig werden Sie gegen die No-Billag-Initiative weibeln?
Ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich lange zwischen einem Ja und einem Nein hin- und hergerissen war. Es passt mir längst nicht alles, was die SRG berichtet. Sie hat aber auch hervorragende Gefässe, etwa das Echo der Zeit, das ich regelmässig höre. Mit Blick auf das ganze Land, das sich gewohnt ist, Rücksicht auf Minderheiten und Sprachregionen zu nehmen, ist aber ein kohäsives Element wie die SRG wichtig. Ich stosse mich zwar daran, dass jedes Unternehmen im Land, auch ein kleines, Billag-Gebühr abliefern muss, während wir zu Hause alle schon zahlen. Aber letztlich überwiegen die Gründe, die für unser Land und gegen die Initiative sprechen. Die Qualität der SRG-Informationen ist im Ganzen gesehen gut und sie sind wichtig für unser Land. Deshalb habe ich mich entschieden, dem Nein-Komitee beizutreten.

Der Unmut, der sich zur Zeit entlädt, ist gross. Woher kommt das?
Die SRG ist ein Moloch geworden! Sie hat sich vor allem auch ins Internet ausgeweitet und bewirbt ihre Gefässe dort enorm. Wir stehen vor einer David-und-Goliath-Situation …

… alle fühlen sich als David gegenüber dem Goliath SRG?
Ja, und das schürt Unmut. Wir haben in der Schweiz auch ausgezeichnete private Medien, die sich um tatsachenbasierte Informationen bemühen. Gegenüber ihnen hat die SRG durch ihre schiere Grösse einen Vorteil. No-Billag ist zu radikal, das ist die Rasenmäher-Methode. Das richtige Mass liegt irgendwo dazwischen. Die Medienvielfalt ist für unser Land und das demokratische System sehr wichtig. Dafür müssen wir etwas tun; das bedeutet, dass es nicht nur einen Riesen und ganz viele Kleine geben kann.

Wo liegt Ihrer Meinung nach die richtige Gebühr für ein öffentlich-rechtliches Medienunternehmen wie die SRG?
Die 365 Franken von Doris Leuthard sind ein sehr geschickter Schachzug: ein Franken pro Tag, das gibt einen guten Spot für den Abstimmungskampf. Ich tendiere aber eher zu einer Halbierung.

Hat nicht auch Ihre Partei zu lange zugeschaut, wie der Moloch SRG wächst?
Gut, das neue Gebührenregime hat die FDP Schweiz bekämpft und in einer hauchdünnen Abstimmung verloren. Ausserdem hat sich die SRG lange in einer so sicheren Position gefühlt, dass sie sich entsprechend verhalten hat. Eine bescheidenere Haltung legt sie erst jetzt langsam an den Tag. Sie weiss: So sicher kann sie mit Blick auf den 4. März nicht sein. Ein Rückbesinnen auf das Wesentliche ist wichtig.

Wie sieht eigentlich Ihr persönlicher Medienkonsum aus?
Morgens um 6 Uhr höre ich auf Radio SRF 1 die Nachrichten, meist um 7 Uhr nochmals, mit dem Regionaljournal Aargau-Solothurn. Dann das Echo der Zeit, ab und zu Radio Inside im Auto. Für Fernsehen hab ich kaum Zeit, und wenn, dann lese ich lieber ein Buch. Tagsüber lese ich das Zofinger Tagblatt, die Aargauer Zeitung und die NZZ, informiere mich aber auch via blick.ch, nzz.ch und tagesanzeiger.ch.

Haben Sie so etwas wie Netflix?
Nein. Ich habe aber auch keine Zeit dafür! Gerne würde ich ab und zu ins Kino gehen, schaffe das aber nur in den Ferien.

Worauf freuen Sie sich 2018 auf der politischen Bühne besonders?
Auf die Weiterentwicklung der Grossbeschaffung der neuen Kampfjets. Ich hoffe, dass wir das gut auf die Reihe bringen. Wenn jetzt nicht noch gravierende Fehler gemacht werden, gelingt das Vorhaben, das für die Schweiz sicherheitspolitisch sehr wichtig ist.

Haben Sie Vorsätze fürs 2018?
Dass ich genug für meine Fitness und Gesundheit machen kann. Dreimal 30 Minuten auf dem Stepper pro Woche plus jeweils ein paar Dehnungs- und Kraftübungen mit Hanteln – das wäre mein Wunschziel.

Corina Eichenberger wurde 1954 in Aarau geboren. Sie studierte Rechtswissenschaften an der Universität Basel, seit 1981 ist sie im Besitz des Fürsprecherpatents. 2001 bis 2002 bildete sie sich in einem Nachdiplomstudium zur Mediatorin weiter. Seit 2004 ist sie Partnerin im Advokaturbüro Liatowitsch & Partner in Basel. Zwischen 1993 und 2007 sass sie für die FDP im Grossen Rat des Kantons Aarau, den sie 2005/2006 präsidierte. 2007 wurde sie in den Nationalrat gewählt. Dort gehört sie der Geschäftsprüfungskommission und der Sicherheitspolitischen Kommission an, zudem ist sie Präsidentin der Gesellschaft Schweiz-Israel. Ausserdem hat Corina Eichenberger verschiedene Mandate in der Wirtschaft, bei Verbänden und in Stiftungen inne. Sie ist unter anderem VR-Präsidentin der Nagra und Mitglied der Handelskammer beider Basel. Seit 1990 ist sie bei der ZT Medien AG, die unter anderem das Zofinger Tagblatt herausgibt, Mitglied des Verwaltungsrates, den sie seit 17 Jahren präsidiert. Corina Eichenberger lebt in Kölliken. Sie ist verwitwet und hat zwei erwachsene Töchter.