Forscherin, Visionärin und Heilpraktikerin: Die Aargauer Künstlerin Emma Kunz galt auch als Wunderheilerin

Hinweis


Kunsthalle Ziegelhütte, Appenzell, bis 25.10. Umfassende Publikation erschienen bei Steidl.
Das Aargauer Kunsthaus zeigt die Ausstellung im kommenden Jahr. Vernissage am 22. Januar 2021, um 18 Uhr.

Die sphärischen, wabernden Klänge hört man schon beim Eingang zur Kunsthalle Ziegelhütte in Appenzell. «Ich bringe den Kosmos in den Ofen», hatte Künstlerin Roswitha Gobbo Kurator Roland Scotti angekündigt – und Wort gehalten. Im ausgedienten, begehbaren Brennofen der ehemaligen Ziegelei hört man über Lautsprecher die neun Planeten, im Zentrum brummt die Sonne. Zwischendurch sind geheimnisvolle, verzerrte Stimmen zu vernehmen.

Die Nasa wandelte die elektromagnetischen Vibrationen der Planeten in Töne um, und Gobbo verwendet diese für ihre Klanginstallation «Across the Universe». Die 30-jährige Appenzellerin entwickelte sie speziell für die Ausstellung «Zahl, Rhythmus, Wandlung – Emma Kunz und die Gegenwartskunst». Denn auch die Heilpraktikerin und Visionärin Emma Kunz (1892-1963) interessierte sich für die Klänge im Kosmos, wie man einem ihrer Gedichte entnimmt: «Ein Vorspiel ist die Welt / in unserm Geistesleben / Versuch’ den hellsten Klang / ins Tonbild einzuweben».

Kunst fürs 21. Jahrhundert

In der Ausstellung werden Kunz’ Zeichnungen zwölf zeitgenössischen Positionen gegenübergestellt. Sie schaffen vielfältige und erhellende Bezüge zum bis heute rätselhaften Werk von Emma Kunz. Die Idee dazu wurde von den beiden Westschweizer Kunsthistorikerinnen Régine Bonnefoit und Sara Petrucci entwickelt, Roland Scotti half mit, sie zu realisieren. Zum ersten Mal überhaupt sind Kunz’ Werke im Appenzellerland zu sehen, wo sie auch grösstenteils entstanden sind. Von 1951 bis zu ihrem Tod lebte Kunz in Waldstatt. Dort fand sie eine liberale Gesetzgebung und Gesinnung vor, wichtige Voraussetzungen für ihre Arbeit als Heilerin.

«Mein Bildwerk ist für das 21. Jahrhundert bestimmt», soll Kunz, die sich selbst nicht als Künstlerin, sondern als Forscherin verstand, gesagt haben. Und sie hat recht behalten. Seit ihre Werke 1973 im Aargauer Kunsthaus erstmals ausgestellt wurden, riss das Interesse und die Faszination daran nicht ab. Allein 2019 fanden fünf Ausstellungen statt – von London über München bis nach Tel Aviv.

Am Anfang einer Zeichnung stand bei Emma Kunz eine Frage – gerichtet an sich oder einen Patienten. Daraufhin bewegte sie das Pendel über das Papier, um die Kraftpunkte auf der Bildfläche zu finden und dort Punkte zu setzen, die mit Linien verbunden wurden. Jedes der Diagramme entstand in einem Stück, was bis zu 24 Stunden dauern konnte. Die Zeichnungen halfen bei der Diagnose und dienten der Heilung der Patienten, waren aber auch Meditations- und Wahrsagebilder.

Bilder mit heilender Kraft

Auch die Genfer Künstlerin Vidya Gastaldon ist von der heilenden Wirkung von Bildern überzeugt. Seit einigen Jahren entsteht die Serie der «Healing paintings» und «Healing objects». Dafür überarbeitet Gastaldon vorgefundene Bilder und Objekte. Während die mit geometrischen Mustern bemalten Kuben auch eine formale Ähnlichkeit zu den Zeichnungen von Emma Kunz aufweisen, offenbaren andere eine animistische Weltsicht.

Auf die Entstehung von Emma Kunz’ Zeichnungen wirkten Energien ein, die gemäss ihrer Überzeugung ihrer subjektiven Kontrolle entzogen sind. Letzteres ist ganz im Sinne des St.Galler Künstlers Bernard Tagwerkers. Dieser lässt bei seiner Kunst den Zufall bestimmen, so auch bei seiner Serie von Objekten, die 2008 mit dem noch jungen 3D-Druckverfahren angefertigt worden sind.

Geheimnisvolle Quellsubstanz

Für ihre Zeichnungsserie «Inframondo» nutzte Laura Viale Millimeterpapier, das auch Emma Kunz verwendete. Die Papierbögen legte die Künstlerin auf die Wände der Grotte in Würenlos, wo Kunz ein Heilgestein entdeckt und besondere Energien gespürt hatte. Die Abriebe der Felsen muten an wie die Kartografie einer inneren Landschaft, in welche die Energie der Künstlerin und der Grotte Eingang gefunden haben.

Als Emma Kunz’ Verwandter im Geist kann man schliesslich George Steinmann bezeichnen, wie sie ist er Forscher und Künstler zugleich. An der Wand bildet seine kreisrunde Installation aus geheimnisvoller Quellsubstanz ein vibrierendes Energiefeld. Auf Steinmanns seit dreissig Jahren wachsender Tischinstallation «The World and the Mind» finden sich Gläser mit Flechten, wildem Wermut oder Beerenextrakten und Fläschchen mit Quellwasser – das neuste stammt aus der Nähe der Kunsthalle Ziegelhütte.