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Für die Hälfte der Amerikaner ein Held, für die andere Hälfte ein Mörder: Der Prozess gegen Kyle Rittenhouse spaltet die USA

Für die Hälfte der Amerikaner ein Held, für die andere Hälfte ein Mörder: Der Prozess gegen Kyle Rittenhouse spaltet die USA

Kyle Rittenhouse tötete im August 2020 zwei Menschen in Wisconsin, als eine Kleinstadt Schauplatz gewaltsamer Proteste gegen Polizeibrutalität und Rassismus war. Nun wird dem 18 Jahre alten Mann der Prozess gemacht.

Renzo Ruf, Washington

Der heute 18 Jahre alte Kyle Rittenhouse, während seines Auftrittes im Zeugenstandes im Gerichtsgebäude von Kenosha (Wisconsin).

Mark Hertzberg / AP

Für das rechte Amerika ist er ein Held. Als im Sommer 2020 die Demonstrationen gegen Polizeigewalt und Rassismus immer chaotischer und gewalttätiger wurden, da bezog der damals 17 Jahre alte Kyle Rittenhouse Stellung. Er reiste in die Provinzstadt Kenosha (Wisconsin), um dort für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Für das linke Amerika hingegen ist der junge Mann, der am 25. August mit einer halbautomatischen Waffe zwei Menschen tötete und einen Mann verletzte, schlicht ein Mörder – ein Mensch, der sich in einer aufgeheizten politischen Atmosphäre dazu berufen sah, das Recht in die eigene Hand zu nehmen.

Der Prozess gegen Rittenhouse, der am Montag vor einem Bezirksgericht nach zwei Wochen voller dramatischer Momente in die Schlussphase geht, zeigte: Bei den Eindrücken, die von Rittenhouse seit der fatalen Nacht in Kenosha zirkulieren, handelt es sich um Zerrbilder. Rittenhouse ist weder ein aufrechter Bürger noch ein kaltblütiger Mörder. Im Zeugenstand, in dem er am vorigen Mittwoch überraschend Platz nahm, wirkte er vielmehr wie ein überforderter junger Mann, der sich über die Konsequenzen seines Handelns keine grosse Gedanken gemacht hatte.

Er sei von seinem Wohnort im Bundesstaat Illinois nach Kenosha gereist, nachdem er gesehen habe, wie die Lage in der Kleinstadt nach der Verletzung eines Afroamerikaners durch einen weissen Polizisten ausser Kontrolle geraten sei, erzählte Rittenhouse. Dort bewaffnete er sich, mit einer Smith & Wesson M&P 15, die ihm ein Freund beschaffen hatte. Er habe aber nie die Absicht gehabt, die «coole» Waffe des Typus AR-15 einzusetzen, beteuerte Rittenhouse. «Ich wollte den Menschen helfen.»

«Ihr seid nicht die Polizei, ihr seid nicht die Polizei»

Es kam bekanntlich anders. Anfänglich bewachte Rittenhouse zusammen mit Freunden den Parkplatz eines Autohändlers gegen Brandstifter. Dann entschied er sich dazu, schwer bewaffnet durch die Strassen von Kenosha zu patrouillieren. Dabei lieferte er sich Scharmützel mit Demonstranten, die ihm und anderen Bürgerwehr-Mitgliedern zuriefen: «Ihr seid nicht die Polizei, ihr seid nicht die Polizei.» Die Situation eskalierte, wobei Rittenhouse gemäss einigen Zeugenaussagen bis zuletzt versuchte, die Lage zu entschärfen.

Kurz vor Mitternacht dann fielen Schüsse. Zuerst tötete Rittenhouse den 36 Jahre alten Joseph Rosenbaum, weil er sich durch den aggressiv auftretenden Mann bedroht gefühlt habe. (Zeugen widersprachen dieser Darstellung.) Dann kam es zu einer Konfrontation mit Anthony Huber (26), der mit seinem Skateboard auf ihn einprügelte. Rittenhouse erschoss auch ihn. Ein dritter Mann, der heute 27 Jahre alte Gaige Grosskreutz, wurde anschliessend durch einen Schuss in seinen rechten Arm verletzt. Er sei der Meinung gewesen, sagte Grosskreutz im Zeugenstand, dass es sich bei Rittenhouse um einen «active shooter», einen Schützen auf der Flucht, gehandelt habe. Deshalb konfrontierte er Rittenhouse. Dabei war Grosskreutz bewaffnet. (Den entsprechenden Waffenschein, den er benötigt hätte, seine Waffe auf dem Körper zu tragen, war allerdings zum Zeitpunkt des Vorfalls abgelaufen und damit nicht mehr gültig.)

Kyle Rittenhouse am 25. August 2020 in Kenosha (Wisconsin).

Tayfun Coskun/Getty Images

«Ich habe nichts falsch gemacht», beteuerte Rittenhouse während des Prozesses mehrmals. «Ich habe mich bloss verteidigt.» So sieht das auch das rechte Amerika. «Ein Kind hatte das Gefühl, es müsse etwas tun, weil die Regierung sich dazu entschlossen hatte, nichts zu tun», schrieb der Nachrichtensender Fox News Channel am Donnerstag zu einem Bericht über die Ereignisse in Kenosha. Mit einer gewissen Zufriedenheit wurden im rechten Amerika in den vergangenen Tagen auch die Interventionen von Richter Bruce Schroeder zur Kenntnis genommen, die sich häufig positiv auf die Verteidigungsstrategie von Rittenhouse auswirkten.

Am Dienstag, nach den Schlussplädoyers von Anklage und Verteidigung, werden die Geschworenen nun die Beratungen über die fünf Anklagepunkte aufnehmen. Rittenhouse droht eine lebenslängliche Gefängnisstrafe, falls er in sämtlichen Anklagepunkten für schuldig gesprochen wird.

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