Gallati sagt «Ja, aber»: Kanton begrüsst Öffnungsvorschläge des Bundes, mahnt wegen steigender Zahlen aber zur Vorsicht

Ab dem 22. März sollen Terrassen von Restaurants geöffnet werden, Kulturanlässe drinnen mit 50 Besuchern möglich sein, Sportveranstaltungen draussen mit 150 Zuschauern erlaubt werden – das sind die wichtigsten Lockerungen, welche der Bundesrat vorschlägt.

Definitiv entscheiden, welche Coronamassnahmen aufgehoben oder gelockert werden, will die Landesregierung am kommenden Freitag. Zuerst holt der Bundesrat die Meinung der Kanton ein – der Aargauer Regierungsrat hat am Samstag bereits darüber beraten und seine Stellungnahme am Sonntagnachmittag publiziert.

Daraus wird eine ähnlich vorsichtige Haltung deutlich, wie sie der Bundesrat und insbesondere Gesundheitsminister Alain Berset am Freitag vor den Medien vertreten hat. Zum ersten Mal will die Schweiz trotz steigender Fallzahlen die Einschränkungen lockern – dies löst auch beim Aargauer Regierungsrat und bei Gesundheitsdirektor Jean-Pierre Gallati offenbar Stirnrunzeln und Fragezeichen aus.

Aargau fordert mehr Tempo bei der Impfkampagne

Als wichtige Vorbemerkung schreibt Gallati, bis zu einer genügenden Durchimpfung der Bevölkerung sei nach wie vor grosse Vorsicht geboten. Und er mahnt zur Vorsicht:

«Gerade in der derzeit fragilen Situation mit den tendenziell stark steigenden Fallzahlen soll – wenn überhaupt – eine Öffnung in kleinen Schritten und risikobasiert erfolgen.»

Dabei seien die Erkenntnisse zur Wirksamkeit der Impfstoffe und zu gegebener Zeit die Möglichkeit von Selbsttests einzubeziehen. Und der Aargau, der ab Montag drei Impfzentren schliessen muss, weil nicht genug Impfstoff zur Verfügung steht, fordert mehr Tempo beim Impfen: «Es ist möglichst rasch eine hohe Durchimpfungsrate zu erzielen, damit risikobasierte Öffnungsschritte möglich werden», schreibt Gallati.

Zahlen im Aargau steigen – Grund sind wohl die Ladenöffnungen

Der Gesundheitsdirektor weist darauf hin, dass die Coronazahlen auch im Aargau zuletzt zugenommen haben. Nach den ersten Lockerungsschritten am 1. März – damals wurden die Läden wieder geöffnet – sei im Kanton ein deutlicher Anstieg der Fallzahlen mit einer Steigerung von 20 bis 30 Prozent gegenüber der Vorwoche zu verzeichnen.

Gallati geht davon aus, dass die höheren Infektionszahlen in direktem Zusammenhang mit den Lockerungsschritten stehen. Und er weist darauf hin, dass diese Entwicklung in einer Woche – also dann, wenn der Bundesrat entscheiden will – noch deutlicher erkennbar sein werde.

Im aktuellen Wochenbulletin hatte Kantonsärztin Yvonne Hummel am Freitagabend darauf hingewiesen, dass der Reproduktionswert derzeit bei 1,08 liege. Das bedeutet, dass 100 Infizierte momentan 108 weitere Personen mit dem Coronavirus anstecken. Bei diesem Wert sei mit einer Verdoppelung der aktiven Covid-Fälle innerhalb von vier Wochen zu rechnen, schrieb die Kantonsärztin weiter.

Trotz dieser wenig verheissungsvollen Perspektiven bei der Entwicklung der Pandemie unterstützt der Aargauer Regierungsrat grundsätzlich die geplanten Öffnungsschritte des Bundesrats. Bei einigen Punkten hat die Kantonsregierung allerdings Vorbehalte – die Übersicht:

Kulturanlässe: Mit so wenig Publikum nicht rentabel durchführbar

Ab dem 22. März sollen Kulturanlässe wie Theateraufführungen oder Konzerte wieder möglich sein, zudem dürften auch Kinos wieder öffnen. Damit weist der Bundesrat aus Sicht der Kantonsregierung in die richtige Richtung – doch die Vorgaben für die Veranstalter seien restriktiv, was mehrere bereits letzte Woche in der AZ kritisierten.

Es gilt eine Beschränkung auf 50 Personen drinnen und 150 Personen draussen, die Abstandsregeln müssen konsequent eingehalten werden, die Kapazität von Sälen darf höchstens zu einem Drittel ausgeschöpft werden, das Publikum muss zwingend sitzen und ein Restaurationsbetrieb ist verboten. Dies lässt laut Regierungsrat kaum eine kostendeckende Durchführung zu, trotzdem unterstützt sie die Lockerungen:

«Auch ein eingeschränkter Betrieb – flankiert von den anderen Unterstützungsmassnahmen des Bundes und der Kantone – den Kulturakteuren und dem Publikum nach dem Shutdown der letzten Wochen eine dringend ersehnte Perspektive eröffnet».

Zudem weist die Regierung darauf hin, dass die Abgrenzung zwischen Anlässen vor Publikum – mit einer Obergrenze von 50 Besuchern drinnen und 150 draussen – von den übrigen Veranstaltungen, bei denen höchstens 15 Personen erlaubt sind, schwierig sein könnte. Dabei könnten sich Abgrenzungsprobleme ergeben und es bestehe die Gefahr, dass «normale» Anlässe in angebliche Publikumsveranstaltungen umgewandelt würden, wo mehr Besucher zugelassen seien.

Für allfällige weitere Lockerungsschritte im April wünscht sich der Kanton keine starren Besucherzahlen als Vorgaben für die Veranstalter. Stattdessen solle der Bund die Infrastruktur und Raumgrösse der Konzerthallen oder Theaterräume berücksichtigen.

Restaurants: Nur die Terrassen zu öffnen, hilft Wirten nicht

Schon am 21. Februar hatte der Regierungsrat in seiner Stellungnahme zum ersten Öffnungsschritt festgehalten, dass nur die Öffnung der Terrassen für Aargauer Restaurants keine Lösung sei. Damals beantragte der Kanton eine komplette Öffnung der Gastrobetriebe, «unter Einhaltung der in der ersten Welle bewährten Schutzkonzepte», auf den 1. April.

Nun sollen am 22. März die Terrassen geöffnet werden, ein Datum für die vollständige Öffnung von Restaurants hat der Bundesrat nicht festgelegt. Auch der Regierungsrat äussert sich nicht zu einem fixen Termin, sondern verweist nur auf den «nächstmöglichen Öffnungsschritt». Gallati stellt erneut klar, dass die Gastrounternehmen im Aargau ohne Öffnung des Innenbereichs der Restaurants nicht rentabel betrieben werden können:

«Auch wenn ein Gartenrestaurant an einem schönen Sonntag gefüllt werden könnte, stimmen Aufwand und Ertrag nicht überein.»

Der Regierungsrat begrüsst aber die Absicht des Bundes, dass Wirte weiterhin Härtefallgelder erhalten sollen, auch wenn sie ab Montag ihre Terrassen öffnen. Gallati erwartet jedoch, dass diese Zusicherung in der Verordnung des Bundes verbindlich festgeschrieben wird.

Uni und Fachhochschule: Nur 15 Studenten pro Hörsaal ist nicht sinnvoll

Nicht einverstanden ist der Regierungsrat mit dem Vorschlag des Bundes, an Universitäten und Fachhochschulen künftig wieder Präsenzunterricht mit maximal 15 Studenten zuzulassen. Eine Lockerung sei nach einem Jahr im Fernunterricht zwar dringend nötig, die Begrenzung auf 15 Personen aber nicht praxistauglich.

Die Regierung beantragt, das Verbot des Präsenzunterrichts aufzuheben und zugleich strikte Schutzmassnahmen anzuordnen. Demnach sollten die Studenten einen Abstand von 1,5 Metern einhalten – dies würde zu einer starken Ausdünnung der Belegung in den Hörsälen führen und einen sicheren Unterricht vor Ort ermöglichen.

Quarantäne: Noch zu früh, um sie Pflicht für Geimpfte aufzuheben

Auch bei der Quarantäne für geimpfte Personen ist die Kantonsregierung anderer Meinung als der Bundesrat. Aus mehreren Gründen ist Gallati dagegen, die Quarantänepflicht aufzuheben. So sei aus wissenschaftlicher Sicht noch unklar, ob die Impfung vor Ansteckung und Virusübertragung schützt.

Zudem stellten sich bei der Aufhebung der Quarantänepflicht für geimpfte Personen noch viele Umsetzungsfragen. So gebe es zum Beispiel kein amtliches Attest für eine Covid-Impfung, was die Überprüfung erschwere. Die Aufhebung der Quarantänepflicht für geimpfte Personen erachtet der Regierungsrat zudem auch als heikel, weil dies zu einer Benachteiligung der jungen Bevölkerung führen würde, die noch keine Möglichkeit hatte, sich impfen zu lassen.