Gedanken zum Karfreitag: Was hat Jesus vom Opfer, das er brachte? – Uns!

Das Sterben von Jesus Christus am Kreuz erscheint uns auf den ersten Blick sinnlos. Was hätte ein lebender Jesus noch alles Gute tun können! Er hätte doch weiter heilen können, grosse Reden halten, vielleicht endlich ein Buch schreiben können. Er hätte die Führung im Tempel ergreifen können oder den Römern Friedensverhandlungen abringen. Ein toter Jesus ist nur das Ende von schönen Hoffnungen. Niemand ist auf die Idee gekommen zu sagen: Was für ein grossherziges Opfer! Die einen haben gesagt: Jetzt können wir unsere Hoffnungen beerdigen. Die anderen haben gesagt: Dass er dort hängt, ist der Beweis, dass er von Gott verflucht ist. Keine Ehre, kein Ruhm, nur Schande, nur Enttäuschung. Kein Gewinn auf Erden für irgendjemanden. Kein Überleben, keine Rettung. Nur ein gewaltsamer Tod für einen, der mehr vorgegeben habe zu sein als er in Wahrheit war. Für einen guten Menschen – sicher, nach einem unsäglichen Leid.

Schaut man also ein bisschen näher hin, wird das Kreuz von Golgatha eher rätselhafter und fremder. Es taugt nicht wirklich als Vorbild der Hingabe für andere.

Es sei denn, wir lassen uns eine ganz andere Brille aufsetzen, durch die wir auf dieses Ereignis schauen. Und das ist jetzt die Pointe: Uns wird eine Linse vor Augen gehalten, mit der wir dieses Ereignis neu verstehen können. Und das Verrückte daran ist: Die Worte, die uns verstehen helfen, hat ein jüdischer Prophet ungefähr 500 Jahre vor den Ereignissen von Golgatha, vor diesem Karfreitag in der Zeitenwende, gesprochen. Im Buch vom Propheten Jesaja lesen wir, was das alles bedeutet und worum es in Wahrheit geht (Jesaja 52,13–53,12).

Vier Schritte sind es, die der Jesaja mit uns geht

Der erste Schritt: Wir sollen verstehen, wie tief dieses Leiden war. Jesaja erzählt ein Leben, das nur noch aus Leiden besteht. Es ist, als würde sich die ganze Lebensgeschichte von diesem Gottesknecht auf Erniedrigung und Schmerz verkürzen. In den letzten Tagen ist er kein gefeierter Held, nein, er wird verachtet wie kein anderer. Man hängt ihm ein Schild um: lebensunwertes Leben. Man verbirgt das Gesicht vor ihm, weil es ist hässlich, hässlich wie die Nacht, es ist entstellt, ist vom Tod gezeichnet.

Der zweite Schritt: Wir sollen verstehen, dass dieses furchtbare Leiden wirklich ein Opfer war. Es passierte stellvertretend, es passierte an unserer Stelle. Anders gesagt: Wir sollten da sein, wo Jesus war. Aber Jesus war schon da, wo wir sein sollten, und darum müssen wir dort nicht mehr hin. Das ist Stellvertretung. Jesaja betont dabei zwei Sachen: Er sagt, das alles passierte wegen unseren Missetaten, es passierte wegen unserer Sünde, und es passierte als Strafe, die auf ihm liegt. Jesaja weiss etwas von diesem dunklen Geheimnis, die die Tiefe unserer Not auslotet und hinter allen Nöten, die uns Menschen treffen, eine zentrale, letzte, tiefste und schlimmste Not erkennt: Und dieser sagt man in der religiösen Sprache Sünde, und von dieser Sünde sagt er, dass sie Schmerz nach sich zieht und Strafe.

Schauen wir auf die letzten Stunden von Jesus. Der römische Statthalter in Jerusalem hat Skrupel, Jesus hinzurichten. So viel Gewissen hat sogar er, dass er sieht: Jesus hat eigentlich nichts verbrochen. Er will die Ankläger überzeugen: Er ist doch Euer König, möchtet Ihr nicht Euren König wieder haben? Und das Volk brüllt und ruft: Wir wollen nicht, dass dieser Mann aus Nazareth über uns herrscht. Und die Führer vom Volk schreien: Wir wollen nur dem römischen Kaiser dienen. Das ist der Kern von dem, was wir in der religiösen Sprache Sünde nennen: Der Kern von der Sünde ist das: Du, Gott, sollst nicht über uns herrschen. Wir wollen uns lieber einem anderen Herrn unterwerfen. Wenn uns Gott uns selbst würde überlassen, müssten wir daran zu Grund gehen. Jeder auf seine Weise. Das wären die Strafe und der ewige Schmerz. Aber stattdessen kommt dieser unscheinbare Mann und sammelt alles ein, alles Misstrauen, alle falsche Entscheidungen, alle bösen Konsequenzen, die ganze Lieblosigkeit, allen Hass, aber auch allen Schmerz, alle Enttäuschung, er sammelt es ein, ladet es sich aufs Kreuz.

Und der dritte Schritt: Jesus leidet furchtbar. Er leidet an unserer Missetat. Und er macht das zu unseren Gunsten, weil Gott es so wollte. Jesaja deutet es nur wenig an: Er sagt: «Der Herr warf unser aller Sünde auf ihn.» Und ein bisschen später: «Der Herr zerschlug ihn mit Krankheit.» Es ist Gottes Tat. Daran kann man sich stossen, wenn man zwischen Jesus und Gott einen Trennstrich zieht und sagt: Armer Jesus, warum hat Gott ihm das angetan. Aber das Geheimnis ist ja, dass wir zwischen Gott und Jesus keinen Trennstrich ziehen dürfen. In tiefem Einvernehmen macht hier der Sohn, was der Vater wollte. Und er macht, was nötig war. Er tritt an unsere Stelle. Und jetzt machen auch die Helden-Geschichten der Menschen einen Sinn. Sie können illustrieren, was Jesus machte, nicht als Vorbild, sondern für uns, zu unseren Gunsten: Er warf sich dem tödlichen Feind entgegen, liess sich zerreissen und zerstören.

Er machte es für alle, weil Gott es so wollte

Und er machte das alles nicht für wenige Menschen, nicht auf eigene Initiative und nicht für eine zeitliche Zukunft. Er machte es für alle, weil Gott es so wollte und für eine Zukunft, die Zeit und Ewigkeit umschliesst.

Jesaja sagt am Ende, dass dieses Opfer vom Knecht belohnt wird. Und er formuliert es fast ein bisschen seltsam, worin der Lohn besteht: «Er soll die vielen zur Beute haben und die Starken zum Raub. Er bekommt als Lohn die vielen, denen sein Tod Gerechtigkeit verschaffte.»

Was bedeutet das? Die Frage nämlich müsste doch sein, was war das Motiv, was hat Jesus von diesem Opfer, das er brachte? Was hat er bekommen, was er vorher nicht hatte? Und die Antwort heisst: Dich und mich. Uns hat er bekommen. Die, für die er gelitten hat. Die ihm gefehlt haben. Die ihm verloren gegangen sind. Die bekommt er. Dafür machte er das alles. Nur dafür: um uns zu haben. So viel sind wir wert. Karfreitag wendet unser Schicksal. Er soll unser Herr sein.