
Gleichgültig lässt sie niemanden: die Spitex-Fusion erhitzt die Gemüter
Stimmberechtigte entscheiden an den Gemeindeversammlungen
Diese Woche ist die Zusammenführung von sechs regionalen öffentlichen Spitex-Organisationen an sieben Gemeindeversammlungen traktandiert. Als Erste entscheiden heute Mittwochabend die Brittnauer über die Fusion und die Zeichnung des Aktienkapitals der Gemeinde von 35000 Franken. Das Aktionariat soll bei den beteiligten Gemeinden liegen. Das Aktienkapital ist anteilsmässig nach der Einwohnerzahl vorgegeben. Die Stimmkraft richtet sich nach den Anteilen. Morgen Donnerstag steht der Entscheid zur Spitex Region Zofingen AG in Oftringen (Aktienkapital 122000 Franken), Rothrist (80000 Franken) und Vordemwald (18000 Franken) an. Am Freitag befinden die Stimmberechtigten in Murgenthal (27000 Franken) und Strengelbach (42000 Franken). Da sich in Aarburg der Gemeinderat für eine eigene Lösung mit Oftringen entschlossen hat, kann der Souverän nicht darüber bestimmen. In Zofingen beschliesst der Einwohnerrat am Montag, 27. November über Fusion (105000 Franken).
Der geplante Zusammenschluss der Spitex-Organisationen in der Region Zofingen scheidet die Geister. Wie schon andere Spitex-Vereine im Aargau wollen die öffentlichen Spitex-Organisationen Murgenthal, Oftringen, Rothrist, Zofingen, Aarburg und Strengelbach-Brittnau-Vordemwald fusionieren und eine gemeinnützige, nicht gewinnorientierte Aktionärsgesellschaft bilden. In den letzten Jahren kommt es zu immer mehr Zusammenschlüssen von Vereinen. Je nach Leistungsvertrag muss die Spitex ihre Dienstleistungen rund um die Uhr anbieten. Zudem sind Angebote wie Kinder-, Psychiatrie- oder Onkologie-Spitex gefragt. Die Anforderungen steigen und kleine Spitex-Vereine stossen oft an ihre Grenzen.
Die AG sehen auch die Gemeinden Brittnau, Strengelbach, Vordemwald, Murgenthal, Oftringen, Rothrist und Zofingen als geeignete Rechtsform für die Fusion zur Spitex Region Zofingen AG (Arbeitstitel). Den Vorschlag hat die Steuerungsgruppe Koordination Pflegegesetz des Regionalplanungsverbands zofingenregio ausgearbeitet. Diese setzt sich aus Vertreterinnen und Vertretern der Exekutiven der Gemeinden zusammen. Auftraggeber ist der Kanton, der eine Koordination in der Planung von Pflegeheimen und Spitex-Leistungen verlangt. Gemäss dem kantonalen Pflegegesetz sind die Gemeinden für die Planung und Sicherstellung eines «bedarfsgerechten und qualitativ guten Angebots der ambulanten und stationären Langzeitpflege» verantwortlich.
Hauptknackpunkt: Die Kosten
Sieben der acht Gemeinden lassen die Stimmberechtigten diese Woche über die Fusion befinden (siehe Kasten). Nicht so Aarburg. Der Gemeinderat ist ausgeschert. Er will Kosten sparen, indem er nach der Kündigung der Leistungsvereinbarung mit der öffentlichen Spitex Aarburg mit der privat-gemeinnützigen Spitex Lindenpark des «Lindenhof Oftringen» zusammenspannt (wir berichteten).
Der Hauptknackpunkt in der SpitexDebatte sind die Kosten. Den prognostizierten Einsparungen des Regionalverbands wollen die Gegner keinen Glauben schenken. Dieser rechnet, dass der Aufwand pro verrechnete Stunde um 10 Prozent sinken dürfte. Der Mittelwert liege bei 7,5 Prozent. «Woher diese Annahmen kommen, wird nicht mit Zahlen begründet. Es wurde uns kein Finanzplan vorgelegt, was das Ganze kostet und welche Kosteneinsparungen und Synergien sich für Rothrist daraus ergeben», moniert Urs Zemp, der pensionierte Leiter des Pflegezentrums Luegenacher in Rothrist. Dem stimmt auch Jakob Scheibler, Vorstandspräsident des Seniorenzentrums Hardmatt in Strengelbach zu; er sagt, die Steuergruppe habe der Öffentlichkeit die finanzielle Transparenz des Projekts vorenthalten. Der ehemalige Strengelbacher Gemeinderat Werner Kurth bemängelt, dass Professionalisierung zu mehr Angeboten führe, «die möglicherweise gar nicht angeboten werden müssen». Die Gegner kritisieren unter dem Strich, dass kein Finanzierungsplan vorliege – und sie befürchten, dass bei einer Zustimmung die Kostenfolgen nicht bekannt seien.
Die Präsidenten der sechs Spitex-Organisationen sehen das anders. «Durch eine zentrale Organisation werden nicht nur die internen Abläufe und Prozesse effizienter, sondern auch kostspielige Doppelspurigkeiten in der Administration, Logistik und IT vermieden», kontern sie geschlossen. Diese Ansicht vertreten auch direkt betroffene Spitex-Mitarbeiterinnen. Die Präsidenten betonen zudem, Ziel sei es, «Einweisungen in teure Pflegeheime so lange wie möglich hinauszuzögern». Denn die Betreuung zu Hauses koste deutlich weniger.
Furcht vor «teuren Bürokraten»
Gemäss der Steuerungsgruppe steigt der Bedarf an Pflegeheimbetten in den nächsten 25 Jahren um mehr als das Doppelte an. Im Jahr 2040 werden in der Region Zofingen fast zweieinhalbmal so viele 80-Jährige und ältere Menschen leben. «Diese Entwicklung verlangt nach professionellen Organisationsstrukturen und Abläufen», sagt Adrian Schmitter, Gemeinderat von Rothrist. Der Zusammenschluss ermögliche es, dass im stationären Pflegebereich kein Ausbau erfolgen müsse, da durch ein vergrössertes Spitex-Angebot mehr Menschen zu Hause betreut werden können. «Somit können Kosten eingespart werden.» Dies entspreche der Strategie des Kantons Aargau, die lautet: «ambulant vor stationär». Die Gegner befürchten, dass am Hauptsitz der AG «teure Bürokraten sitzen, die weit weg vom Geschehen sind und die Aussenstationen steuern müssen». Die Steuergruppe entgegnet, dass die Reorganisation vor allem im administrativen Bereich stattfinde und dass alle Spitex-Stützpunkte bestehen bleiben. «Die Mitarbeitenden müssen vor Ort, nah beim Patienten, stationiert sein, ansonsten steigen die ungedeckten Kosten an», sagt Adrian Schmitter.
Karin Berglas-Zobrist, Frau Vizeammann in Vordemwald, argumentiert ähnlich: Ziel sei, die Gesamtrestkosten in der Pflege zu stabilisieren. «Die Kosten für den Leistungsempfänger ändern nicht. Sie sind gesetzlich festgelegt.» Der Bezug der Leistungen werde ärztlich verordnet, durch die Spitex erfolge eine Bedarfserklärung und die Versicherer würden eine umfassende Kontrolle ausüben.
Ob die sechs Spitex-Organisationen zur Spitex Region Zofingen AG fusionieren, entscheiden jetzt die Stimmberechtigten. Danach werden die teilnehmenden Gemeinden den Leistungsauftrag, den Kostenschlüssel, den Aktionärsbindungsvertrag, den Verwaltungsrat und den Hauptsitz bestimmen. Der Start der neuen Spitex-Organisation ist für den 1. Januar 2019 vorgesehen.