
Gut für mich – nicht so gut für die Umwelt: Wie grün ist Bio wirklich?
Quelle: BFU, Grafik: Micha Wernli Quelle: BFU, Grafik: Micha Wernli Quelle: BFU, Grafik: Micha Wernli Quelle: BFU, Grafik: Micha Wernli
Politisches Essen – darüber stimmen wir ab
Sie ist wohl die erste Hipster-Abstimmung überhaupt – die Fair-Food-Initiative. Im Kern geht es darum, dass der Bund umwelt- und ressourcenschonende, tierfreundliche und unter fairen Arbeitsbedingungen produzierte Lebensmittel stärker fördert. Das gilt auch für den Import. Zudem sollen die Auswirkungen von Transport und Lagerung auf die Umwelt und die Verschwendung von Lebensmitteln reduziert werden. Die Initiative «Für Ernährungssouveränität», über die wir ebenfalls am Sonntag abstimmen, verlangt, dass der Bund eine bäuerliche Landwirtschaft fördert, die einträglich und umweltschonend gesunde Lebensmittel produziert. Die Schweiz soll sich überwiegend mit einheimischen Produkten ernähren.
Kennen Sie die Situation? Sie haben Bekannte zum Essen eingeladen. Tönt zwanglos, ist es aber nicht. Denn ein Essen mit Bekannten ist für den Gastgeber wie ein Schaulaufen. Es geht beim Kochen um mehr als nur darum, ein Essen zuzubereiten. Beim Kochen lässt man die Hüllen fallen, entblösst mehr von seinem Lebensstil, als wenn man die Bekannten im Bad rumschnüffeln lässt. Deshalb muss das Menu nicht nur gut schmecken, sondern toll aussehen, gesund und originell sein. Vorzugsweise etwas fremd. Schliesslich ist man ja nicht Spiesser, sondern weltoffener Bonvivant. Und die Bekannten sollen nicht nur ihre Teller leer essen, sondern auf Knien um Nachschlag betteln.
Die Küche ist zum Jahrmarkt der Eitelkeiten geworden. Also sucht man in einem dieser hippen Kochbücher – vielleicht bei diesem wahnsinnig angesagten Yotam Ottolenghi nach Inspiration. Blöd nur, dass immer mindestens eine essenzielle Zutat nicht Saison hat. Aber die gegrillten Auberginen mit Safranjoghurt und Granatapfelkernen tönen auch verlockend, wenn bei uns das Land von Frost überzogen ist. Was solls: Auberginen gibt’s auch im Januar mit Bio-Kleber. Gut fürs Gewissen. Und gut fürs Ego, wenn die Gäste mit vollem Mund «Ah» und «Oh» raunen.
«Bio heisst nicht umweltfreundlich», sagt Niels Jungbluth, CEO von ESU-services in Schaffhausen, die sich auf Ökobilanzen spezialisiert hat. Seit 20 Jahren erfasst die Consulting-Firma die Umweltbelastung von Produkten über den ganzen Lebensweg. In einer Studie für den Bund schreibt Jungbluth: «Es braucht den Gegenwert von 80 Litern Benzin, um die Lebensmittel herzustellen, die eine Person jeden Monat im Durchschnitt konsumiert.» Berücksichtigt ist dabei lediglich die Energie, die für den Anbau, alle Verarbeitungsschritte und die Transporte der Nahrungsmittel erforderlich ist. Auf ihrem langen Lebensweg vom Acker bis zum Teller benötigen die Esswaren jedoch auch beim Einkauf, für die Kühlung, bei der Zubereitung sowie für die Entsorgung ihrer Verpackung und Reste zusätzliche Energie.
Unter Berücksichtigung aller relevanten Umweltbeeinträchtigungen trägt die Bereitstellung unserer Nahrungsmittel etwa 30 Prozent zur Umweltbelastung durch den Konsum in der Schweiz bei. Speziell belastend ist die Fleischindustrie. Zwar stagniert der Konsum. Aber er liegt immer noch bei durchschnittlich sieben Portionen pro Woche. «Aus Umwelt- und Gesundheitssicht wäre erstrebenswert, den Konsum auf zwei bis drei Portionen pro Woche zu reduzieren», sagt Jungbluth. Wer nur noch dreimal pro Woche ein Schinkensandwich, Spaghetti Bolognese oder Rindsplätzli isst, verringert seinen Ernährungs-Öko-Fussabdruck um 20 Prozent.
Einerseits stossen Rinder täglich etwa 150 bis 250 Liter Methan aus. Methan ist als Treibhausgas in der Atmosphäre 25 Mal so wirksam wie Kohlendioxid und macht einen substanziellen Teil des menschengemachten Treibhauseffekts aus. Das Gas entsteht, wenn organisches Material unter Luftausschluss abgebaut wird – wie zum Beispiel Gras im Verdauungssystem einer Kuh.
Aus ökologischer Sicht relevanter als das Rülpsen der Kühe ist indes die Herstellung des Tierfutters. Die Schweiz hat bei der Produktion von tierischen Produkten zwar einen Selbstversorgungsgrad von 99 Prozent. Wodurch Emissionen für Importe wegfallen. Aber der an sich positive Aspekt der Selbstversorgung ist trügerisch. «Denn sie ist nur möglich durch den Import von Kraftfutter», sagt Jungbluth. «Leider wird dieser Punkt in der Fair-Food-Initiative nicht gross thematisiert.
Die wichtigste Tierfutter-Komponente ist Soja. Etwa 80 Prozent des importierten Sojas wird weltweit für Tierfutter verwendet. Allein in Argentinien und Brasilien sind die Anbauflächen mittlerweile grösser als Portugal und Ungarn zusammen. Darunter leiden der Regenwald und das Klima. Wollen wir uns und der Umwelt etwas Gutes tun, wie häufig dürfen wir dann noch Fleisch essen? «Wenn wir nur noch zwei bis drei Portionen Fleisch pro Woche essen, könnte man fast gänzlich auf Kraftfutter verzichten», sagt Jungbluth.
«Regional» aus Absurdistan
Zwei Punkte, die die Fair-Food-Befürworter indes herausstreichen, sind Flugtransporte und eine stärkere Gewichtung von regionalen Produkten. Einen Schwachpunkt haben beide. Sicher plakativ, weil man dadurch suggeriert, die eigene Wirtschaft zu stärken. In Zeiten, in denen eher Grenzen auf- als abgebaut werden, ein schlagendes Argument. Aber aus Ökobilanz-Sicht sind beide Aspekte nicht die bedeutendsten.
Sicher, Flugtransporte belasten die Umwelt zehnmal mehr als Schiffstransporte. Aber es sind auch nur etwa zwei Prozent der Lebensmittel, die mit dem Flugzeug importiert werden. «Einmal im Winter eingeflogene Erdbeeren zu kaufen hat auf die Gesamtbilanz keinen grossen Einfluss», sagt Jungbluth. «Aber grundsätzlich gilt: Die Schweiz kann problemlos auf Flugtransporte verzichten, ohne Hunger zu leiden.»
Fast so schlecht wie Luftfracht aus Nordafrika schneidet das einheimische Gemüse aus beheizten Gewächshäusern ab, da die Einsparung an Kerosin durch die benötigte Heizenergie aufgehoben wird. Der Gedanke, regionale Produkte sind per se gut für die Umwelt, weil lange Transportwege wegfallen, greift zu kurz. Erstens: Bei einem Selbstversorgungsgrad von 42 Prozent ist die Forderung, man solle sich nur noch mit regionalen pflanzlichen Produkten ernähren, absurd. Zweitens: Die Schweizer Produktion lässt sich kaum mehr ausweiten. Drittens: Insbesondere in Grenzregionen wird das Label «regional» teilweise ad absurdum geführt. «Wegen der Importbeschränkung kann ich auf dem Schaffhauser Wochenmarkt keine Produkte von deutschen Bauern aus der nahegelegenen Untersee-Region kaufen. Stattdessen gibt es Aprikosen aus dem Wallis», sagt Jungbluth. Viertens: Die Sache mit den Gewächshäusern und der Lagerung.
Der Energieverbrauch für die Lagerung kann Dimensionen annehmen, dass ein aus Neuseeland importierter Apfel die bessere Ökobilanz hat, als jener vom Bauern zwei Dörfer weiter aufweist. Absurd? Im Moment kann man bedenkenlos Äpfel essen. Aber je ertragreicher die Ernte im Herbst, desto länger lagern die Äpfel in den Kühlhäusern. Und wenn im Frühling die Schweizer Äpfel alle sind, werden sie halt aus Neuseeland importiert, wo die Saison gegensätzlich ist. Unabhängig ob einheimischer oder neuseeländischer Apfel lautet die entscheidende Frage: Muss ich im April oder Mai noch Äpfel essen?
Der Ruf nach einer Öko-Etikette
Eine Hilfe für den Konsumenten, im Lebensmittel-Dschungel den umweltfreundlichen Pfad zu finden, wäre eine Deklarationspflicht mittels Öko-Etikette. Coop deklariert zwar «By Air», ist damit aber ziemlich allein unter den Grossverteilern. Ausserdem werden wir teilweise darauf hingewiesen, dass Gemüse und Früchte im Treibhaus reiften. Aber das ist so vage, als würde man bei einem Auto nur noch die Art des Treibstoffs, und nicht mehr den Verbrauch deklarieren. «Entscheidend beim Treibhaus ist, ob es beheizt wird oder nicht», sagt Jungbluth. «Und wenn es beheizt ist, kommt es auf die Art der Heizung an. Gas? Holz? Abwärme? Kohle? Da beginnt es für den Konsumenten unübersichtlich zu werden. Deshalb proklamiere ich für Früchte und Gemüse ein Energielabel.»
Ein solches Label, analog zu den Glühlampen, wäre allein schon erstrebenswert, weil durch das fast ganzjährig unveränderte Sortiment der Grossverteiler das Wissen verloren gegangen ist, was wann Saison hat. «Leider», bedauert Jungbluth, sind die Fair-Food-Initianten von der Idee einer Deklarationspflicht abgekommen.
Bleibt noch die Bio-Frage zu klären. Warum ist Bio nicht zwingend umweltfreundlich? Nun, Bio betrifft die Produktionsweise. Bei Bio werden keine Pestizide und synthetischen Pflanzenschutzmittel eingesetzt. «Betreffend Ökobilanz ist es teilweise schwierig nachzuweisen, was nun ökologischer ist: Bio oder integrierte Produktion», sagt Jungbluth. Denn häufig erziele man in der Bio-Produktion mit den gleichen Ressourcen weniger Ertrag als in der integrierten Produktion. Beispielsweise bei Kartoffeln. Aber viel wichtiger, als seitenlange Listen zu veröffentlichen, welches Produkt Bio oder Nicht-Bio ökologisch sinnvoller ist, seien klare Richtlinien, findet Jungbluth. «Ich esse weniger Fleisch, ich kaufe nichts, was geflogen wird, ich kaufe saisonale Produkte und nichts aus dem Gewächshaus. Ausserdem schmeisse ich keine Lebensmittel weg. Dann sind wir auf einem sehr guten Weg zu einer substanziellen Reduktion der Umweltbelastungen.»
Es ist ernüchternd: Aber nicht alles, was gut für meine Gesundheit ist, ist auch gut für die Umwelt. Und: Ottolenghi und all die anderen total angesagten Köche mit ihren hippen Rezepten müssten sich auch mal Gedanken darüber machen, was wir wann besser nicht kochen sollten. Und: Ein klares Bekenntnis der Grossverteiler für eine gesündere Welt wäre, die Idee einer Öko-Etikette zu unterstützen.