
Haben Sie diese Frau schon gesehen? «Wenn ich die Jacke trage, trage ich eine Botschaft»
Einigen Pendlern im Aarauer Bahnhof sind sie vielleicht schon aufgefallen. Im Gegensatz zum sonst so hektischen Treiben in der Bahnhofunterführung stehen sie still da, ohne jemanden anzusprechen. Bekleidet mit schwarzen Jacken, die die Aufschrift «Gute Reise / Gute Heimkehr» tragen. Meist ein Lächeln auf den Lippen. Doch wer sind diese Menschen, und wieso stehen sie da? Die AZ hat nachgefragt: Bernadette Bernasconi, Seelsorgerin aus der Pfarrei Schöftland, erklärt die Aktion.
«Das Bahnhofsprojekt besteht nun schon seit sieben Jahren. Gegründet wurde es von einer Gruppe von Leuten, die dem Pastoralraum Aarau angehören. Man hat sich gefragt, welche Bedürfnisse momentan vorhanden sind und wie sie befriedigt werden können.» Daraus entstand die Idee, etwas für die Menschen zwischen 20 und 50 Jahren zu tun, die alle verschieden sind. Heisst kein Fokus auf eine bestimmte demografische Gruppe.
«Die Unterführung des Bahnhofs Aarau bot sich an, da sich da die verschiedensten Menschen aufhalten», erzählt Bernasconi. Anfangs dachte man daran, ein Bänkli in die Unterführung zu stellen, um den gestressten Pendlern eine Auszeit und gute Gespräche zu ermöglichen. «Die Gruppe merkte dann aber schnell, dass eine Sitzgelegenheit in der eh schon engen Unterführung nicht realisierbar ist, und speckte die Aktion ein wenig ab.»
«Wir wollen nicht stören»
Heraus kam das, was die Pendler heute in der Unterführung beobachten können: «Wir zeigen Präsenz und wollen den Menschen etwas wünschen, und zwar – wie es auf unseren Jacken steht – eine gute Reise oder Heimkehr», so Bernasconi. Von Anfang an standen nicht nur Mitarbeiter und Freiwillige der katholischen Kirche in der Bahnhofunterführung. Schliesslich ist die Aktion nicht nur für eine Glaubensrichtung gedacht. «Wir sind mit Wohlwollen für alle da, die die Unterführung passieren.»
Oberstes Gebot dabei: Die Freiwilligen sprechen niemanden an. «Wir wollen nicht irritieren oder die Menschen in ihrem Ablauf stören.» Komme jemand auf sie zu, sei es schön. Wenn nicht, sei es aber auch kein Problem. «Es ist okay, müde zu sein und uns keine Beachtung zu schenken. Wir leben in einer hektischen Zeit. Da darf man auch einfach nur auf schnellstem Weg nach Hause wollen.» Bernadette Bernasconi arbeitet seit der Entstehung an dem Projekt mit. Das Stehen in der Unterführung habe sie aber zu Beginn unterschätzt. «Ich sage immer, die Unterführung ist einer der hässlichsten Orte in Aarau. Als ich das erste Mal da unten stand, wurde mir schlecht.» Dies aber keineswegs wegen schlechter Gerüche oder der nicht so hübschen Umgebung. «Ich stand da und all die Eindrücke sind auf mich eingeprasselt.» Mit der Zeit lernte die Seelsorgerin, mit den Eindrücken umzugehen.
«Ich würde nicht sagen, dass ich mich abgekapselt habe, aber man geht anders mit der Situation um. Es ist fast ein bisschen wie Meditation. Ich stehe dort und wünsche den Vorbeigehenden nur Gutes, ohne es ihnen direkt zu sagen.» Negative Reaktionen haben die Freiwilligen in all den Jahren noch nicht erfahren. Dafür entstanden viele schöne Begegnungen. «Manche Pendler möchten auch gerne eine Auskunft, wo ihr Bus denn fahre. Ich habe aber auch schon eine ältere Dame begleitet, die nicht mehr wusste, wo das Alterszentrum ist.»
Jacke bringt Verantwortung
Während der kalten Wintermonate gibt es auch den einen oder anderen Passanten, der sich Sorgen um die Seelsorgerin macht. «Ein älterer Herr drückte mir ein Zehnernötli in die Hand, damit ich mir etwas Warmes zu trinken kaufe.» Dem Vorschlag kam Bernasconi gerne nach. «Wenn ich die Jacke trage, trage ich gleichzeitig eine Botschaft. Das bedeutet auch, dass man sich selbst etwas Gutes tun sollte.»
Genau das sei es auch, was «Gute Reise / Gute Heimkehr» den Menschen mitgeben möchte: Sich jetzt etwas Gutes tun und es nicht auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben. Dabei spielten auch Selbstverantwortung und Selbstachtung eine grosse Rolle. Auf die Frage nach einer weiteren schönen Szene antwortet Bernasconi lachend: «Eine junge Frau, die einen Salatkopf gekauft hat und ihn wie einen Blumenstrauss durch die Unterführung getragen hat. Sie hat das so sorgfältig gemacht, als wäre der Salatkopf ihr grösster Schatz – einfach unvergesslich.»