«Hans Lebensfreude» therapiert mit Humor: Nur die Chippendales sind die Grenze

ZUR PERSON

Der in Sursee wohnhafte Kurt Bucher (37) wuchs in Schötz auf. Als Jugendlicher lernte er den Beruf des Bäckers/Konditors. Mit 25 Jahren schloss er sein Studium in Luzern zum Sozialpädagogen ab und arbeitete in der Folge bei der Stiftung Brändi, dem Wohnheim Sonnegarte und an der Schule Flühli/Sörenberg als Schulsozialarbeiter. Im Jahr 2010 absolvierte er die Ausbildung an der Theater- und Clownschule in Basel, die ihm den Weg zum selbstständigen Clown und Künstler bereitete. 2011 gründete er «schlagfertig» (Musikunterricht für Kinder mit einer Behinderung). Selber spielt er seit Jahren Schlagzeug und war jahrelang Mitglied der Brass Band Bürgermusik Luzern und der Swiss Army Brass Band. Seit 2014 arbeitet er als Spitalclown Dr. Wolle für die Stiftung Theodora. Ein Jahr später machte er sich als Künstler selbstständig. Seit 2016 ist er ausserdem Animator beim Circus Balloni. Für die Stiftung Lebensfreude ist er seit drei Jahren als Hans Lebensfreude in Alters- und Pflegeheimen unterwegs. Im Februar 2018 und im März 2019 besuchte er eine Zirkusschule in der Nähe eines Flüchtlingslagers in der Türkei, wo er grösstenteils syrische Kinder zum Lachen brachte. Darauf gründete er mit Freunden den Verein Plume, der soziale Zirkusschulen in Krisengebieten unterstützt.  (pd/kpe)

Mit einer grossen, voll bepackten Tasche auf dem Rücken betritt Kurt Bucher das Elisabethenheim in Luzern. Seine Aura und die positive Energie nehmen den ganzen Raum ein. Seine blauen Augen leuchten und sein Lachen ist ansteckend.

Seit bald fünf Jahren ist der gebürtige Schötzer selbstständiger Clown und Künstler. «Ich lebe meinen Traumberuf», sagt der 37-Jährige, für den die Arbeit und das Hobby verschmolzen sind. «Vor kurzem habe ich am Wochenende zwölf Stunden für ein Spiel aufgewendet, das ich für ein Kind im Spital angefertigt habe.» Manchmal sei es für ihn schwierig, die Grenze zwischen ihm und dem Clown zu ziehen. Vor allem dann, wenn er seine Patenkinder beim Familienessen sieht. «Indem ich die ganze Zeit über Unfug mit ihnen treibe, übe ich gleichzeitig auch für meinen nächsten Spitalbesuch.»

Das auffälligste Merkmal nebst seinen strahlend blauen Augen sind seine lockigen Haare. «Eine Militärkarriere hätte ich mit diesen Haaren nicht machen können, das haben sie mir klar und deutlich gesagt», scherzt Kurt Bucher. Tatsächlich gäbe es Kinder, die daran ziehen, im Glauben, er trage eine Perücke. «Wenn man einen Clown zeichnet, malt man ihn genau so, wie ich aussehe. Das ist ein riesiges Geschenk.»

Doch auch seine inneren Werte entsprechen dem Gemüt eines Clowns: aufgestellt, empathisch und vielseitig. Seine soziale Ader habe er von seiner Mutter geerbt, die den grössten Teil ihres Lebens als Pflegerin gearbeitet habe. Die unterhaltende und lustige Seite stamme von seinem Vater. Seine beiden Brüder haben beide eigene Familien. Da komme es ab und an vor, dass er ihren Kindern «Seich» beibringe. «Wenn meine Neffen nach Hause gehen, den Inhalt eines Wasserglases auf dem Tisch verschütten und behaupten, sie seien jetzt auch Clowns, dann lieben mich meine Brüder», erzählt Kurt Bucher mit einem Lachen.

Auch als Profi ist gute Laune nicht selbstverständlich

Zum zweiten Mal in dieser Woche ist Kurt Bucher alias Hans Lebensfreude für die Stiftung Lebensfreude im Elisabethenheim, das betagten und bedürftigen Menschen ein familiäres Zuhause bietet. Mit dabei ist auch Martin Soom alias Fritz Lebensfreude. Gemeinsam verbringen sie über zwei Stunden auf zwei Stationen und bringen die Bewohnerinnen und Bewohner zum Singen, Lachen und Erzählen. Man merkt schnell, dass man Hans im Heim gut kennt. In der Cafeteria sieht ihn eine Bewohnerin und ruft ihm voller Freude zu: «Bis später!»

Bei der Stiftung Lebensfreude arbeiten insgesamt 14 Künstlerinnen und Künstler. Deshalb besucht Kurt Bucher in immer anderen Kombinationen das Elisabethenheim. Weil Martin Soom ein guter Freund ist, sei es mit ihm aber besonders schön. Auch als Profi ist gute Laute für Kurt Bucher nicht etwas, das auf Knopfdruck entsteht. Manchmal komme man mit privaten Problemen an solche Anlässe. «Wenn ich dann Martin oder einen anderen Freund sehe, fängt meine Laune bereits an, besser zu werden», so Bucher.

Auch das Kostümieren helfe, die Rolle des Clowns anzunehmen. «Hans hat nicht die gleiche Geschichte wie ich. Er ist eine neue Person, die in den Tag startet.» Beim Anziehen ihrer Knickerbockerhosen pfeifen und summen Hans und Fritz fröhlich vor sich hin. Sobald das Hemd, die rote Fliege und das Perret sitzen, putzt Hans noch die rote Nase und setzt sie anschliessend auf. Was nicht fehlen darf, sind die vielen Requisiten in den Hosentaschen. Jetzt kann der Besuch auf der ersten Station beginnen.

Über das Improvisieren und das pure Leben

Im ersten «Stübli» warten gut zehn Seniorinnen und Senioren. Die beiden Clowns begrüssen jede Person einzeln. Dabei kommt es zu ersten Gesprächen, in denen die Rede von der Familie oder dem ehemaligen Bauernhofleben ist. Häufig fallen bereits die ersten Witze. «Kinder und ältere Leute sind manchmal so lustig, da kann ich einfach mitreiten. Das kostet mich praktisch keine Energie», so Kurt Bucher. Wichtig für ihn sei, nach solchen Tagen auch mal die Seele baumeln lassen zu können. «Ich habe das Glück, dass ich viel Zeit für mich habe», so der Alleinstehende. Gerne sitzt er im Stadtcafé in seinem Wohnort Sursee, liest Zeitung und beobachtet die anderen Leute. «In solchen Momenten bin ich froh, nicht wieder liefern zu müssen, obwohl mir meine Tätigkeit auch enorm viel gibt.»

So auch an diesem Nachmittag im Elisabethenheim, wo Hans und Fritz vor allem mit der ersten Gruppe viel singen. Dabei erzählen sie den Bewohnern, dass sie eine Wanderung auf den Napf geplant haben. Sie zeigen stolz ihre «Wanderschuhe», die aber nur übergrosse Clownschuhe sind, was sie sogleich von der älteren Generation im Raum zu hören bekommen. Aus dem vollbepackten Korb zücken sie immer wieder einen Gegenstand, den sie für einen Witz brauchen. Als die beiden die Gehstöcke einer Bewohnerin in ihren Sketch einbinden, wird klar: Das Ganze ist improvisiert. «Wenn wir Leute besuchen, wissen wir nicht, wer uns erwartet, wie es diesen Personen geht und welche Themen sie beschäftigen», so Kurt Bucher. Deshalb strecken die beiden zu Beginn ihres Besuchs erstmals die Fühler aus und schauen dann, was passiert. «Je improvisierter wir agieren, desto echter und auch schöner ist es für die Leute, die uns begegnen», so Martin Soom. Im Gegensatz zu einem Clown, der jeden Abend mit dem gleichen Programm im Zirkus auftritt, haben sie beide eine Auswahl dabei, die sich immer wieder anders präsentiert. «Auch uns macht es Freude, immer wieder aufs Neue überrascht zu werden.» So staunen sie nicht schlecht, als eine Bewohnerin der zweiten Gruppe für wenige Minuten aus dem «Stübli» verschwindet und mit einem Foto ihres Liebsten zurückkehrt. Felix und sie hätten sich in Zürich kennen gelernt und dort auch zum ersten Mal geküsst. Eine andere Bewohnerin nennt die Geschichte «ein Märchen» und für einen Moment schwelgen alle gemeinsam in Erinnerungen. «Solche Momente sind das pure Leben», so Kurt Bucher.

Ein Clown hat überall im Leben Platz

Kennt der Humor demnach keine Grenzen? Kurt Bucher findet grundsätzlich Nein. «Lebensfreude ist überall wichtig und hat Platz.» Zum Zwist kommt es erst, wenn es um ethische und moralische Vorstellungen geht. «Ich weiss nicht, ob ich bei einer Partei oder Organisation spielen würde, hinter deren Ideen ich nicht stehen kann», so Bucher. In einer Sache sind sich Martin Soom und er einig: Beim Jahrestreffen der Chippendales, die tanzend mit viel Haut vor allem dem weiblichen Publikum zusagen, hätten sie beide Mühe. Zu deren Glück finden solche Jahrestreffen höchst selten in Alters- und Pflegeheimen oder in Spitälern statt.

 

Stiftung Lebensfreude

Die Stiftung Lebensfreude engagiert sich seit 2013 für humorvolle und respektvolle Clown-Besuche bei dementen, kranken und betagten Menschen, sowie bei Menschen mit einer Behinderung, in Heimen und Institutionen. Entstanden ist die Stiftung Lebensfreude aus Interesse und persönlichen Erfahrungen des Stiftungsrates mit betagten Menschen sowie mit Menschen mit einer Behinderung. Der Wunsch, Farbe und Freude in den Alltag von dementen und betagten oder behinderten Menschen zu bringen, wurde zudem durch immer häufiger werdende Nachfragen an die Initianten bestärkt. Ein Punkt, in dem sich die Besuche der Stiftung Lebensfreude von anderen Aktivitäten unterscheiden, ist ihre Individualität. Es gibt keine Veranstaltung, bei der sich unzählige Bewohner in einem Raum befinden und der Clown gleichzeitig für alle auftritt. (pd/kpe)