Hans-Ulrich Schär: «Das Zentrale ist für mich der Kontakt zu den Menschen»

Hans-Ulrich Schär, lassen Sie doch gleich zu Beginn die Katze aus dem Sack. Sie sind im achten Jahr als Gemeindeammann; im Juni sind Neuwahlen. Wie geht es weiter?

Hans-Ulrich Schär: Es geht weiter. Ich bewerbe mich um eine weitere Amtsperiode. Zuerst als Gemeinderat, dann als Gemeindeammann.

Warum treten Sie nochmals an?

Wir haben viel erreicht im Gemeinderat, entsprechend ist bei mir die Motivation hoch. Das Team ist besser unterwegs, als man vielleicht am Stammtisch erzählt. Aktuell haben wir viele Infrastruktur-Projekte. Es braucht jemanden, der den Bogen darüberspannt, der die Leute im Fokus hat, dem der Zusammenhalt wichtig ist. 2023 feiern wir 900 Jahre Aarburg, schreiben die neuere Stadtgeschichte nieder. Das ist für mich eine grosse Motivation.

Hängt es auch damit zusammen, dass Sie ein Ur-Aarburger sind?

(lacht) Ja, ich bin ja der Einzige im ­Gemeinderat neben Rolf Walser, der auch die Schule in Aarburg besucht hat. Das merkt man manchmal schon im Gremium. Eine Aussensicht schadet sicher nicht. Frische Ideen und andere Blicke auf Aarburg auch nicht. Aber ich habe im Rat auch schon gefragt: Wo befindet sich der Galgen in Aarburg? Von fünf wussten das zwei – also Rolf Walser und ich. Das ist schon speziell. Strategie und Prozesse haben alle im Griff, aber es gibt Dinge, die darüber hinausgehen, und das ist mir wichtig. Das Städtli ist eine Herzensangelegenheit für mich.

Was ist es genau, das Aarburg ausmacht?

Die Vielfalt. Ich habe einen bäuerlichen Hintergrund. Aarburg hat sich aber enorm entwickelt; es wurde städtischer. Dennoch gibt es die Dinge, die wir bewahren sollten für die nächsten Generationen. Da gehört zum Beispiel ein Heimatmuseum dazu. Da gab es auch schon Leute, die gefragt haben, wofür wir das noch brauchen. Das koste ja nur. Das sehe ich überhaupt nicht so. Wir alle haben Wurzeln, wir sollten wissen, woher wir kommen, damit wir gemeinsam einen guten Weg in die Zukunft beschreiten können.

Sie haben es angesprochen: Aarburg ist städtischer geworden. Der Ausländeranteil ist ebenfalls immer wieder ein Thema.

Bei den Ausländern gilt es zu unterscheiden. Man sagt, dass wir einen Ausländeranteil von 44 Prozent haben. Wir wissen aus der Geschichte, woher das kommt. Für die Textilindustrie holte man viele ausländische Arbeiter – Italiener und Portugiesen. Die Angehörigen der nachfolgenden Generationen dieser Einwanderer sind für mich nicht mehr Ausländer in dem Sinn, wie man den Ausländer immer sieht. Die sind integriert, sprechen Deutsch, arbeiten und bezahlen Steuern. Das sind Schweizer ohne Pass.

Was unternimmt die Gemeinde, um den Zusammenhalt der Bevölkerung zu fördern?

Wir haben den Vorort der Vereine, wo wirklich fast alle dabei sind: zum Beispiel den Klub der Portugiesen, aber auch den Verein der türkischen Gastarbeiter, der die grüne Mosche betreibt. Dort gibt es viel Austausch. Viel gemacht wird auch im Verein Nordstern, insbesondere im Norden der Gemeinde probiert man vieles, um die Leute näher zusammenzubringen. So gibt es etwa den Quartiergarten, der aus dem Projet urbain entstanden ist.

Wie sieht es an der Schule aus?

Hier haben wir einen gewissen Leidensdruck. Es kommen Kinder in die Schule oder den Kindergarten, die keinerlei Deutschkenntnisse aufweisen. Das ist ein Problem, daran müssen wir arbeiten. Wir stellen fest, dass etwa 80 Nationalitäten hier leben. Darum nenne ich Aarburg gerne auch «die kleine UNO». Bis jetzt funktionierte das immer gut, wir hatten nie wirklich grosse ethnische Konflikte, weder an der Schule noch in der Gemeinde.

Aarburg ist durch den markanten Festungsfelsen in einen Nord- und Südteil aufgeteilt. Wie empfinden Sie als Gemeindeammann diesen Unterschied?

Ich sage immer: Es gibt ein Aarbig. Das ist für mich zentral. Klar ist man durch diesen Riegel der Festung getrennt. Nichtsdestotrotz ist beispielsweise das Projekt Oltnerstrasse für mich elementar. Nun soll auch mal der nördliche Teil Aarburgs profitieren. Durch die Ortskernumfahrung wurde das Städtli entlastet, die Leute ab der Höhe profitierten aber nicht davon. Nun müssen wir dort endlich etwas unternehmen. Das Ziel ist unter anderem ruhigere Quartiere in Richtung Aare.

Jetzt haben wir ein Jahr Corona. Sie sind gesellschaftlich sehr involviert, beispielsweise beim Schwingen. Wie beurteilen Sie den gesellschaftlichen Flurschaden?

Es wird nicht mehr so schnell, wie es war. Die Begegnungen fehlen. Das Schwingen ist schwer betroffen. Da leiden wir extrem. Zwar gibt es die Kampagne «Bliib im Verein», aber ich kenne Leute, die in einer Musikgesellschaft waren und jetzt gemerkt haben, dass es zu Hause eigentlich ganz schön ist und sie sich fragen, warum sie noch in die Probe sollen. Das ist wirklich ein Problem, ich denke, dass einige nicht mehr in den Verein zurückkehren. Viele haben durch diese Situation neue Qualitäten in ihrem Leben entdeckt. Auch ein Amtskollege aus einer anderen Gemeinde sagte zu mir: «Ich weiss nicht, ob ich nochmals antrete. Nirgends hingehen zu müssen ist eigentlich ganz schön.»

Wie waren Sie persönlich von der Pandemie betroffen?

Ich bin alleinstehend und war daher nicht so stark betroffen. Wirtschaftlich und gesundheitlich hatte ich gottlob keine Probleme. Ich bin ein Gewinner der Pandemie, jetzt rein geschäftlich. Wir haben uns als Team selbstständig gemacht, im Nachhinein eigentlich im dümmsten Moment, nämlich im Oktober 2019. Aber es floriert, wir kamen sehr gut durch diese schwierige Zeit. Wir haben die Verantwortung für 20 Mitarbeitende, da vergisst man das Drumherum teilweise. Aber klar: Die gesellschaftlichen Anlässe vermisse ich. Ich bin eher leutselig, mir fehlt hin und wieder auch ein gutes Essen im Restaurant. Dabei überlege ich mir auch, was das Ganze für Folgen für die Aarburger Gastroszene haben wird. Ich habe die Befürchtung, dass diejenigen, die wir wollen, nicht mehr da sein werden und diejenigen, von denen wir sowieso schon genug haben – also Pizza- und Dönerbuden – überleben werden.

Was schätzen Sie an Ihrem Amt als Gemeindeammann?

Das Zentrale ist für mich der Kontakt zu den Menschen. Aber natürlich gibt es auch Projekte, die mir wichtig sind. Beispielsweise die Organisation der Schule, jetzt da die Schulpflege abgeschafft wird. Das muss man gut begleiten, die Schule ist mir sehr wichtig. Der Wegzug der Bezirksschule bringt mein Herz immer noch zum Bluten. Mir sind aber auch kleinere Dinge wichtig, zum Beispiel den Vereinen zu helfen. Da haben wir jetzt beschlossen, dass wir ihnen für 2021 die Hallengebühren erlassen. Ganz wichtig ist mir, dass wir keine Schlafgemeinde werden.

Wie soll das gelingen?

Nach Zofingen sind wir bezüglich Festen wohl die zweitaktivste Gemeinde im Bezirk. Wir haben das Wasser- resp. Strandfest, das Woog Open Air, das Festival Route 66, den Weihnachtsmarkt etc. – das sind Anlässe, die es weiterhin braucht. Zu viel wollen wir aber auch nicht, obwohl wir jeweils unzählige Anfragen für die Badi-Wiese haben, die ist sehr beliebt.

Was können denn die Organisatoren dieser Feste von der Gemeinde erwarten?

Es geht vor allem um moralische Unterstützung. Aber ja, wir wollen den Vereinen auch etwas geben. Aber mit der Giesskanne schütten können wir natürlich nicht. Es soll zudem auch nachhaltig sein. Wir schauen darauf, ob der Verein auch Jugendförderung betreibt. Dabei geht es auch um immaterielle Unterstützung. So können wir uns vorstellen, Infrastruktur der Gemeinde kostenlos zur Verfügung zu stellen. Ein entsprechendes Konzept ist in Bearbeitung.

Was ist mühsam an Ihrem Amt?

Das sind manchmal die Reibungsverluste im Rat selbst. Hin und wieder verliert man, knirscht auf den hinteren Zähnen, aber dann geht es weiter. Wenn man alles viel zu persönlich nehmen würde, prästierte man dieses Amt nicht. Schwierig ist, wenn man ein Geschäft wegen des Kollegialitätsprinzips vertreten muss, hinter dem man nicht vorbehaltlos stehen kann.

Sie waren als Gemeindeammann tangiert zuerst vom Nationalratswahlkampf, dann vom Grossratswahlkampf. Wie haben Sie das erlebt?

Mein Spruch dazu war: Fünf Gemeinderäte, eine in Bern, einer in Aarau und zwei wollen noch nach Aarau. Dann muss ja einer noch zum Städtli schauen. Gut ist, wenn ein Gemeinderat im Grossen Rat vertreten ist – egal welcher Couleur. Im Bezirk Zofingen sind wir die einzige Gemeinde, die im National- und Grossrat vertreten ist. Für das Netzwerk ist das sicher gut. Was ich aber nicht so gerne habe, ist, wenn unsere Gemeinde jeweils als Negativbeispiel verwendet wird. Denn wir sind viel besser, als viele glauben.

Als Gemeindeammann verdienen Sie in Aarburg knapp 50 000 Franken im Jahr. Das ist nicht gerade viel im Vergleich mit anderen Gemeinden.

Ja, das ist so. Aber ich mache es nicht wegen des Geldes. Wenn man es deswegen macht, soll man es lieber sein lassen.

Sie sind Idealist.

Ja. Das muss man sein. Und die Aarburger sind so. Die wollen kein Vollamt für den Gemeindeammann. Das würde gar nicht gut ankommen.

Ist das Amt denn noch machbar, wenn man wie Sie noch einen Job hat?

Es ist nur machbar in meinem persönlichen Fall, weil ich keine Familie habe. Partnerschaften können zu Bruch gehen, das ist mir auch schon passiert. Das ist der Kollateralschaden, den ich hinnehme. Aber es wird eine Zeit nach dem Amt kommen.

Für die Gemeinde sind Sie also ein Glücksfall.

Fragen Sie die, die mich nicht so mögen. Von denen hat es hoffentlich auch ein paar. Man kann es ja sowieso nicht allen recht machen und ist nicht allen sympathisch. Das ist Teil des Spiels, das macht mir nichts aus.

Braucht es aus Ihrer Sicht noch eine Anhebung der Entschädigung?

Kürzlich wurde ja die Studie der Gemeindeammänner-Vereinigung publiziert. Bei der Entschädigung der Gemeinderäte stehen wir nicht so schlecht da. Aber das muss man auf Ende der nächsten Amtsperiode dann nochmals anschauen, damit die Ausgangslage ab 2026 klar ist.

Wenn wir schon bei den Finanzen sind: Aarburg steht finanziell besser da als auch schon.

Das ist klar dem kantonalen Finanz- und Lastenausgleich zu verdanken. Das ist ein grosser positiver Faktor für uns. Da haben wir als Gemeinderat, allen voran der ehemalige Gemeinderat Alois Spielmann, hart dafür gekämpft. Nun stellen sich die erwarteten Ergebnisse ein. Das gemeinderätliche Sparpaket hat aber ebenfalls zu einer Entlastung der Finanzen geführt. Ein Kompliment geht auch an die Verwaltung, die genau hingeschaut und einige Sparpotenziale aufgezeigt hat.

Haben Sie Bedenken, dass die Pandemie diese guten Zahlen zunichtemacht?

Nun, das ist ein Blick in die Kristallkugel. Wir wissen noch nicht, wie viele schlussendlich auf Sozialhilfe angewiesen sind. Wenn die Quote bei anderen Gemeinden auch zunimmt, dann werden wir allenfalls weniger Geld aus dem Finanz- und Lastenausgleich erhalten. Dieser Situation ist sich der Gemeinderat bewusst.

Aarburg ist in den vergangenen Jahren enorm gewachsen, neue Wohnsiedlungen sind entstanden. Wie hat sich das auf die Finanzen ausgewirkt?

Der Durchschnitt beim Steuersubstrat ist etwas höher. Er ist aber noch nicht extrem angestiegen. Aber unsere Strategie bezahlt sich auch nicht von heute auf morgen aus. Irgendwann wird dieser Effekt auch bei uns greifen. Wir dürfen aber die Attraktivität der Gemeinde nicht nur über die Steuern definieren, sondern müssen auch zu unseren Liegenschaften schauen. Darum bin ich froh, dass wir nun das Rathaus und die Badi sanieren können.

Der Steuerfuss ist mit 121 Prozent immer noch sehr hoch. Gibt es Bestrebungen, das zu ändern?

Bei all diesen Projekten, die wir haben, ist es nicht ganz einfach, den Steuerfuss zu senken. Ein Ziel ist, dass wir versuchen, Schulden abzubauen. Der Steuerfuss scheint aber für viele nicht das wichtigste Kriterium zu sein, wenn es darum geht, nach Aarburg zu ziehen. Wenn es ganz schlimm wäre, würde ja niemand kommen. Wir sind keine Steuerhölle. Man muss auch andere Faktoren betrachten. So haben wir zum Beispiel eine gute Verkehrsanbindung. Auch die Investoren glauben an Aarburg. Das Perry Center wurde umfassend saniert und dieses steht ja auf Aarburger Boden, das vergisst man gerne. Das Bahnhofsquartier entwickelt sich ebenfalls sehr positiv. Die Kletterhalle auf der Höhe ist ebenfalls gut unterwegs. Das sind Dinge, die Freude bereiten.