
Hochpreisinsel auf ewig? Trotz Corona sind die Preise in Konstanz noch immer viel tiefer – und doch stimmt etwas nicht
Alles so wie früher: Ein Augenschein in Konstanz zeigt, dass es von helvetischen Shoppern nur so wimmelt, die Gäste aus der Schweiz in alter Stärke zurück sind. Auf der südlichen Seite der Grenze, im Städtchen Kreuzlingen, ist sie hingegen zurück: die grosse Leere. Damit stellt sich im Einkaufstourismus die Frage, was von Corona bleibt? Nicht viel, so scheint es. Doch Experten glauben, der Schein trüge.
In Kreuzlingen wirkt es fast so, als ob das Städtchen im Lockdown wäre. Eine ältere Dame erzählt vom Auf und Ab, welchen der lokale Handel in der Coronazeit erlebt hat. Als der Tagestourismus verboten war, habe sich das Städtchen auf einmal belebt, die Geschäfte hätten sich über grössere Kundschaft freuen können. Dann gingen die Grenzen auf. Ebenso schnell wie sich Kreuzlingen gefüllt hatte, entleerte es sich wieder. «Unsere Umsätze sind wieder ungefähr gleich gross wie vor Corona», sagt eine Kleiderverkäuferin leicht resigniert.
Glücklich, die Schweizer zurück zu haben
Nur drei Minuten per Zug, und die Einkaufswelt verkehrt sich ins Gegenteil. Die Strassen sind voll, Geschäfte auch – und die Kassen ebenso. Im H&M sagt eine Verkäuferin, der Umsatz sei zwar noch ein wenig niedriger als vor der Pandemie, aber schon sehr hoch, und sonst «fühlt sich alles wieder wie zuvor an». Der Filialleiter im Kleiderladen «Strellson» ist bestens gelaunt. Die Umsätze hätten sich schon fast erholt, viele Kunden seien glücklich, endlich wieder im Laden einkaufen zu können. «Und wir sind glücklich, unsere Schweizer Kundschaft zurückzuhaben.»
Die Pandemie weicht und eine andere, altbekannte Logik scheint wieder zu dominieren: jene der tieferen Preise. In einer Umfrage gaben 72 Prozent der Einkaufenden aus der Schweiz an, ob sie in Deutschland oder in der Schweiz einkaufen würden, hänge vom Preis ab. Und an den Preisrelationen hat Corona nicht gerüttelt. Der Franken ist noch immer stark, in Konstanz zu shoppen, kommt viel günstiger als in Kreuzlingen.
Ein Weleda-Shampoo kostet in Deutschland einen Viertel weniger als in der Schweiz. Für ein Make-up von Maybelline zahlt man nur die Hälfte, wie eine Stichprobe zeigt. Systematische Erhebungen der Statistikämter bestätigten die riesigen Preisunterschiede. Ein Korb von Waren und Services kostet in der Schweiz aktuell 48 Prozent mehr, wie eine Analyse der Credit Suisse zeigt (siehe Tabelle und Grafik). In den Gassen von Konstanz erzählt eine ältere Dame, an ihrem Wohnort in Kreuzlingen seien ihre Haarpflegeprodukte drei Mal teurer.
Schweiz und Deutschland im Preisvergleich
CH: Preis in Franken* | D: Preis in Franken* | Preisaufschlag | |
---|---|---|---|
The Body Shop Ginger Anti Schuppen Shampoo | 9,95 | 7,59 | 31.1% |
Ricola Kräuterbonbons | 3,32 | 2,39 | 38.9% |
Weleda Shampoo Aufbau Hafer | 5 | 3,97 | 25.9% |
Coiffure: Waschen und Schneiden Kurzhaarschnitt Frauen (Gidor und Mellin) | 65,5 | 55,87 | 17.2% |
Maybelline Make-up | 19,95 | 12,97 | 53.8% |
Lindt Excellence Tafelschokolade 85% | 2,75 | 2,49 | 10.4% |
Palmolive Flüssigseife | 3,85 | 1,36 | 183.1% |
Knoppers Nussriegel (5 x 40g) | 3,25 | 2,38 | 36.6% |
Heinz Tomato Ketchup | 1,95 | 1,84 | 6.0% |
Maggi Würze | 2,9 | 2,05 | 41.5% |

Es klingt, als wäre es im Einkaufstourismus bald so, als wäre Corona nie gewesen. Und, als ob alle Appelle und Kampagnen verpuffen. Aktuell versucht es der Handel mit «Shop Schwiiz – hier lebe ich, hier kaufe ich». Davor hatte er all jenen, die in der Schweiz einkaufen gesagt: «Du bisch wow». Dazwischen richtete sich sogar Bundesrat Guy Parmelin an das Land:
«Ich appelliere an die Bevölkerung, einheimische Produkte zu kaufen, unsere Landwirtschaft, aber auch den hiesigen Detailhandel zu unterstützen.»
Es hilft wenig. Shoppt es sich in Konstanz so viel günstiger, zieht es die Massen dennoch dorthin.
Und doch. Fragt man in Konstanz weiter, klingt es im vierten Laden auf einmal anders. In einem Kleidergeschäft der gehobenen Sorte mag die Eigentümerin nicht zustimmen, wenn sonst überall Jubelgesänge zu hören sind. Die Verkäufe seien noch immer 30 Prozent tiefer als zuvor. Gerade ältere, wohlhabende Frauen würden sich am Maskenzwang stören. Die Eigentümerin mutmasst zudem: «Vielleicht legen die Menschen weniger Wert auf luxuriöse Kleider als früher.»
Die Preise sind das Wichtigste, aber nicht alles
Die Preise sind nicht alles. Vielleicht das Wichtigste, um zum Einkaufstouristen zu werden, aber nicht alles. In Coronazeiten haben die Konsumenten und Konsumentinnen neue Gewohnheiten angenommen. Die werfen sie nicht über den Haufen, sobald die Grenzen offen sind. Sie scheuen die lange Fahrt ins Nachbarland, wenn dort Unannehmlichkeiten lauern könnten: ein Coronatest oder neue Formulare, die auszufüllen sind. Und das Einkaufen macht weniger Freude, wenn man ständig mit der Maske herumhantieren muss.

Claudius Marx, Hauptgeschäftsführer Konstanzer Handelskammer.
«Es ist erst ein langsames Antasten an alte Gewohnheiten», heisst es bei der Handelskammer in St.Gallen. Ökonom Alessandro Sgro glaubt, die Konsumenten seien noch verunsichert, welche Regeln gelten würden. «Der Einkaufstourismus hat die alte Stärke noch nicht zurückerlangt.» Erleichtert ist man bei der Konstanzer Handelskammer. Denn der Einkaufstourismus habe an Fahrt aufgenommen. Doch es sei noch einiges in Bewegung, sagt Hauptgeschäftsführer Claudius Marx. Viele Einschränkungen würden noch gelten, die Menschen ihr Verhalten nur langsam umstellen und im Herbst sei eine vierte Welle möglich. «Es muss sich erst weisen, was Corona hinterlassen wird.»
Branchen, die noch besorgt sind
Und da ist noch ein Schreckgespenst, der Onlinehandel. «Es gibt Branchen, die aktuell noch besorgt sind», sagt Claudius Marx, der Hauptgeschäftsführer der Konstanzer Handelskammer. Die Zentren würden sich zwar wieder füllen, nicht aber die Kleiderläden. Ihm werde berichtet, dass dort nach wie vor ein Teil der schweizerischen Kundschaft ausbleibe. Das könnte daran liegen, dass viele im Homeoffice weniger Kleidung benötigen; oder daran, dass sich die Menschen an das Onlineshopping gewöhnt haben.
Der Trend zum Onlineshoppen könnte dem Einkaufstourismus weh tun, zumal er sich in Coronazeiten beschleunigt hat. Bei den Lebensmitteln werde dies zwar kaum der Fall sein, glaubt bei der Credit Suisse die Expertin Tiziana Hunziker. «Bei Kleidern und Schuhen hingegen schon. Zumal Einkaufstouristen genau auf die Preise achten.» Warum über die Grenze fahren, wenn gleich teure Schuhe online zu haben sind?
Neue Studie korrigiert eine Fehleinschätzung
«Der Einkaufstourismus hat sein Vorkrisenniveau noch nicht wieder erreicht», so der Titel einer neuen Analyse von Hunziker. Diese gibt den Skeptikern recht: All jenen, die nicht daran glauben, dass der Einkaufstourismus zurück ist. Hunziker schaute sich die Debitkarten-Transaktionen an, welche helvetische Konsumenten in Deutschland getätigt hatten. Diese Zahlen werden von «Monitoring Consumption Switzerland» veröffentlicht. Auf den ersten Blick zeigen diese Zahlen eine Rückkehr des Einkaufstourismus zu voller Stärke. Es wurden wieder annähernd gleich viele Debit-Zahlungen abgewickelt wie vor der Krise. Doch der erste Blick täuscht.
Denn die helvetischen Einkaufshorden nutzen viel öfter als vor Corona ihre Debitkarten, wenn sie in Deutschland ihre Leberwürste oder Haarpflegemittel kaufen. Also darf man diese Zahlen nicht zum Nennwert nehmen. Wenn man wissen will, wie sich der Einkaufstourismus entwickelt hat, muss man die höhere Nutzung von Debitkarten berücksichtigen. Das hat Expertin Hunziker getan. Und es zeigte sich: Die helvetischen Einkaufstouristen sind tatsächlich noch nicht in voller Stärke zurück in Deutschland. Zuletzt gaben sie dort für Lebensmittel schätzungsweise 20 Prozent weniger aus als vor Corona, für Schuhe oder Kleider waren es etwa 30 Prozent weniger.