Honoraraffäre: Regierungsrat sichtet weitere Akten – doch ein Strafverfahren gegen den Aarauer Chefarzt?

«Warum hat eigentlich niemand eine Strafanzeige eingereicht?» Das fragte Severin Lüscher, Hausarzt und Grünen-Grossrat, als das Aargauer Parlament vor bald zwei Monaten die Honoraraffäre an den Kantonsspitälern Aarau (KSA) und Baden (KSB) diskutierte. Dabei geht es um Fälle, in denen Ärzte medizinische Leistungen auf ihren Namen erfassten, die sie nicht selber erbracht hatten. Der Orthopädie-Chefarzt in Baden und der Angiologie-Chefarzt in Aarau wurden verwarnt und mussten Rückzahlungen leisten.

Anzeigen oder strafrechtliche Sanktionen gegen die beiden Ärzte gab es hingegen nicht. Severin Lüscher hielt im Grossen Rat fest, nach seiner Auffassung sei es gerade nicht Sache einer internen Untersuchung oder einer externen Revision, einen Straftatbestand auszuschliessen. Darauf hatten sich die CEOs der beiden Kantonsspitäler berufen, als die AZ fragte, warum die Spitalverantwortlichen keine Anzeige gegen die fehlbaren Ärzte eingereicht hatten. Die Staatsanwaltschaft müsse entscheiden, ob ein Straftatbestand vorliege, argumentierte dagegen der Grünen-Grossrat und fragte mit Blick auf den fehlbaren Chefarzt: «Warum haben die Fachkollegen, die Whistleblower, die Bereichs- und Geschäftsleitung des KSA, der Verwaltungsrat und sogar die Regierungsrätin nicht einfach eine Anzeige gemacht und die Staatsanwaltschaft arbeiten lassen?»

Meldung an Staatsanwaltschaft
Die Frage blieb in der Debatte unbeantwortet, Gesundheitsdirektorin Roth versicherte am Ende lediglich, der Regierungsrat sei sich seiner Verantwortung bewusst und «bleibe dran». Ein paar Tage später kündigte die Regierung an, bei den Verwaltungsräten von KSA und KSB «umfassende Auskunft und vollständige Akteneinsicht zu den Unregelmässigkeiten bei Honorar- und Leistungsabrechnungen» zu verlangen. Diese zusätzlichen Unterlagen hat der Regierungsrat inzwischen gesichtet und ausgewertet, wie Sprecher Peter Buri auf Anfrage der AZ sagt.

Und die Akten enthielten offenbar Hinweise auf ein möglicherweise strafrechtlich relevantes Verhalten des Chefarztes. «Aufgrund der Auswertung ersucht der Regierungsrat die Staatsanwaltschaft, die Einleitung eines Strafverfahrens zu prüfen», sagt Buri. Die Regierung habe bei der Staatsanwaltschaft eine Meldung erstattet und ihr die zusätzlichen Akten übergeben. Hat sich der Chefarzt also möglicherweise des Betrugs oder der Urkundenfälschung schuldig gemacht? «Den Aspekt, welche Straftatbestände allenfalls infrage kommen, hat die Staatsanwaltschaft zu prüfen und zu entscheiden», erklärt der Regierungssprecher.

KSA reagiert überrascht
Schon vor einem Jahr stand die Eröffnung eines Strafverfahrens gegen den Chefarzt Angiologie am KSA im Raum. Damals kam die Staatsanwaltschaft aber zum Schluss, dass kein rechtsgenügender Nachweis eines strafrechtlich relevanten Verhaltens erbracht werden könne. Sollte es jetzt zu einem Verfahren kommen, wäre noch offen, ob sich dieses nur gegen den Chefarzt richten würde oder ob allenfalls auch KSA-Verantwortliche wegen mangelhafter Kontrollen belangt werden könnten. Der Regierungsrat kann sich laut Buri erst nach Abschluss des Prüfungsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft mit dieser Frage befassen. Klar ist hingegen: Gegen den Orthopädie-Chefarzt am Kantonsspital Baden wird es keine Strafanzeige geben. Sichtung und Analyse der zusätzlichen Akten des KSB hätten «keinen weiteren Handlungsbedarf ergeben», sagt Buri.

Ralph Schröder, stellvertretender Mediensprecher des Kantonsspitals Aarau, reagiert überrascht, als ihn die AZ um ein Statement zur neuen Entwicklung bittet. «Wir haben keine Kenntnis von einem Antrag des Regierungsrates für eine Strafuntersuchung», sagt der KSA-Sprecher. Bei den Akten zum Fall des Chefarztes, die vom Regierungsrat geprüft wurden, handle es sich nicht um neue oder zusätzliche Unterlagen. «Das Kantonsspital Aarau hat in dieser Angelegenheit bereits eingehend kommuniziert, wir sehen keinen Grund, uns weiter dazu zu äussern», sagt Schröder.