
Hooligan-Prozess: Bundesgericht pfeift Aargauer Justiz zurück – Freispruch für Krawallfan
Am 18. Oktober 2014 fand in Aarau das Fussballspiel FC Aarau gegen den FC St. Gallen statt. In diesem Zusammenhang warf die Staatsanwaltschaft Lenzburg-Aarau einem St. Galler Fan vor, an einer gewalttätigen Zusammenrottung teilgenommen zu haben.
Rund 300 Anhänger des FC St. Gallen hätten sich damals – wegen eines angekündigten Fanboykotts – bereits während des Spiels in der Altstadt versammelt und das Stammlokal der «Szene Aarau» besetzt.
Noch bevor die Polizei einen «Riegel» aufziehen konnte, gelang es einer grösseren Gruppierung von Aargauer Risikofans zum besetzten Lokal durchzudringen und dort auf die inzwischen vermummten St. Galler Fans zu treffen.
Zwischen den beiden Fanlagern kam es zu einer massiven tätlichen Auseinandersetzung. Mithilfe von Gummischrot und Reizstoffen gelang es der Polizei, die beiden Lager zu trennen. Dabei sind einige Fans auch gegen Polizisten gewalttätig geworden.
Gerichts-Pingpong vom Feinsten
Die Staatsanwaltschaft verurteilte einen Teilnehmer der Zusammenrottung, der auf Video- und Fotobildern identifiziert werden, wegen Landfriedensbruchs zu einer bedingten Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu 130 Franken sowie zu einer Busse von 2500 Franken. Auf den Bilder war zu erkennen, dass sich der Fan bewusst an vorderster Front in der gewaltbereiten Menge aufgehalten und die gegnerischen Fans mit Gesten auffordert hatte, sich einer Schlägerei zu stellen.
Das Bezirksgericht Aarau stellte das Verfahren auf Einsprache des Fans jedoch ein. Dagegen wiederum erhob die Staatsanwaltschaft Beschwerde, worauf das Aargauer Obergericht die Einstellung des Verfahrens aufhob und den Fall ans Bezirksgericht zurückschickte. Dieses sprach den St. Galler Fan zwar des Landfriedensbruchs schuldig, verzichtete aber auf eine Bestrafung. Der Fall landete in der Folge ein zweites Mal beim Obergericht, welches nun seinerseits den Fan wegen Landfriedensbruchs zu einer bedingten Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu 130 Franken sowie zu einer Busse von 1000 Franken verurteilte.
Blosses Indiz reicht nicht für Verurteilung
Dies liess sich der St. Galler Fan nicht bieten und zog den Streit vors Bundesgericht. Dort argumentierte er, aufgrund des vorhandenen Videomaterials stehe fest, dass er die Örtlichkeit, an welcher die Polizei zwischen den beiden Fanlagern eine Barriere errichtet habe, im Anfangsstadium der Tumulte verlassen habe. Der Vorwurf des Obergerichts, er könnte den Platz erst nach Auflösung der Zusammenrottung verlassen haben, verletze die Unschuldsvermutung.
Ebenso wenig sei nachgewiesen, dass er sich zu einem anderen Schauplatz von Gewalttätigkeiten begeben und sich dort an Schlägereien beteiligt habe. Im Gegenteil. Anhand der Aufnahmen sei nur nachgewiesen, dass er während einer Phase von anderthalb Minuten als agierende Einzelperson im Bereich des Polizeiriegels gestikulierend aufgehalten habe. Danach habe er sich definitiv vom Geschehen entfernt, und zwar noch bevor es zu Gewalttätigkeiten gekommen sei.
Das Bundesgericht hat den St. Galler Fan jetzt vom Vorwurf des Landfriedensbruchs freigesprochen. Dass er sich vom ersten Schauplatz entfernte und zu einem andern Schauplatz mit Gewalttätigkeiten begab, reicht nicht aus, um ihn zu bestrafen. Es handelt sich nur um ein Indiz, das darauf hinweisen könnte, dass er dort selber bei Ausschreitungen aktiv war. Damit beruht die Verurteilung durch das Aargauer Obergericht „letztlich auf spekulativen sachverhaltlichen Annahmen“, meint das Bundesgericht. Eine solche Verurteilung ist nicht zulässig. Der Kanton Aargau muss dem St. Galler Fan für das Verfahren vor Bundesgericht eine Entschädigung von 3000 Franken überweisen.