
Ignazio Cassis in Brüssel: Auf der Suche nach einem Freund
Eitel Sonnenschein in Brüssel. Dunkle Wolken über den Beziehungen zwischen der Schweiz und der Europäischen Union. Dies die Ausgangslage für den Besuch von Aussenminister Ignazio Cassis am Dienstag in der EU-Hauptzentrale. Auf Seiten der EU-Kommission ist man auch zwei Monate nach dem Abbruch der Verhandlungen zum institutionellen Rahmenabkommen nachhaltig verärgert über die Tatsache, dass der Bundesrat Ende Mai einfach vom Tisch aufgestanden ist. Als eigentlicher «Affront» wird das in der EU-Chefetage empfunden. Nun soll Cassis also nun die Scherben Kitten und die Frage beantworten: Wie weiter?
So viel vorneweg: Auch nach dem zweistündigen Treffen mit dem österreichischen EU-Kommissar Johannes Hahn und dem ungefähr 45-minütigen Gespräch mit dem hohen Beauftragten für Aussenpolitik Josep Borrell ist alles andere als klar, wie es in der Schweizer Europapolitik weitergehen soll. Von einem Neustart kann keine Rede sein.

Kennen sich mittlerweile gut: EU-Kommissar Johannes Hahn (links) und Ignazio Cassis.
Wer nimmt den Hörer ab, wenn Cassis anruft?
Etwas «abgekühlt» sei die Beziehung im Moment schon, räumte Cassis am Abend bei einer Medienkonferenz vor Journalisten ein. Aber man habe sich bei der EU grundsätzlich offen gezeigt für seinen Vorschlag, nach dem Aus des Rahmenabkommens einen neuen «politischen Dialog» zu starten. Das Problem: Niemand weiss, wer künftig in Brüssel für die Schweiz zuständig sein wird. Das Dossier ist bis auf weiteres verwaist.
EU-Kommissar Johannes Hahn, der 2018 vom damaligen Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker als Cassis’ Kontaktmann abgestellt wurde, soll zunehmend das Interesse verloren haben. Er versteht sich zwar auf persönlicher Ebene gut mit dem Tessiner und die beiden haben sich auf informellen Wegen auch etliche Male getroffen. Zum Beispiel an den Salzburger Festspielen oder in Cassis Heimatkanton dem Tessin.
Sowohl Juncker wie seine Nachfolgerin Ursula von der Leyen liessen dem Österreicher aber nie wirklich einen eigenen Handlungsspielraum in den Verhandlungen mit der Schweiz. Dass Hahn weiter für die bilateralen Beziehungen zuständig sein will und wird, gilt als weitgehend ausgeschlossen. Hahn lieferte aber trotzdem nette Worte und teilte nach dem Treffen auf Twitter mit, dass es wichtig sei, trotz unterschiedlichen Position eine Vertrauensbasis zu bewahren. Die Schweiz bleibe ein wichtiger Partner der EU.
Ob der Aussenbeauftragte Josep Borrell das Dossier im Herbst übernehmen wird, ist ebenfalls fraglich. Der 74-jährige Spanier hat so schon genug damit zu tun, die notorisch turbulente Aussenpolitik der 27 EU-Staaten einigermassen zu koordinieren. Dass er sich noch mit dem hochkomplexen Verhältnis zur Schweiz abmühen wird, erachten Beobachter als unwahrscheinlich.

Hat sonst schon alle Hände voll zu tun: EU-Aussenbeauftragter Josep Borrell (rechts).
Neu-Positionierung der EU kaum vor 2022
So findet sich Cassis abermals in der Situation wieder, dass ihm in Brüssel ein eigentlicher Ansprechpartner fehlt. Das war schon die letzten Jahre der Fall, als die EU-Spitze die Beziehungen zur Schweiz als Chefsache deklariert hat. Die Möglichkeit besteht, dass die Brüssel daran so bald nichts ändern wird. Im Herbst will die EU-Kommission ihren Mitgliedsstaaten einen Bericht zu den Beziehungen zur Schweiz vorlegen, der sämtliche Marktzugangsabkommen durchleuchtet. Dieser wird Grundlage sein für eine Neu-Orientierung, die nicht vor dem Jahr 2022 stattfinden dürfte. Die angekündigte «Denkpause» im Verhältnis zur Schweiz könnte sich somit in die Länge ziehen.
Gibt das Parlament die Kohäsion im Herbst frei? Sicher ist das nicht
Nur: Macht die EU einfach nichts und besteht kein politischer Kanal, um anstehende Probleme auf politischer Ebene zu lösen, drohen die bilateralen Beziehungen ernsthaft Schaden zu nehmen. Ganz unmittelbar trifft das jetzt die Forschungszusammenarbeit, wo die EU-Kommission Verhandlungen über eine Teilnahme am Milliardenprogramm «Horizon Europe» verweigert. Minimal-Bedingung für eine Deblockierung ist für Brüssel die Zahlung des Schweizer Kohäsionsbeitrags von 1,3 Milliarden Franken an die neuen EU-Staaten.
Der Bundesrat betrachtet eine Verbindung der beiden Geschäfte zwar prinzipiell als sachfremd und lehnt sie ab. Schlussendlich nimmt er sie aber hin und fügt sich der Realität. Cassis: «Es ist eine sachfremde Verbindung. Trotzdem will der Bundesrat diesen autonomen Beitrag jetzt aber fliessen lassen, weil es richtig ist». Er hoffe darauf, dass das Schweizer Parlament realisieren werde, dass das Rahmenabkommen nicht mehr zur Debatte stünde und «wir jetzt unseren Entscheid autonom, selbstbewusst und mit Blick nach vorne» treffen müssen.
Auf die Frage, wann er das nächste Mal in Brüssel sein werde, wusste der Aussenminister keine Antwort. Allerdings: Schon im kommenden Jahr soll Cassis turnusgemäss das Amt des Bundespräsidenten übernehmen. Gut möglich, dass er sich in dieser Funktion schon bald und ganz direkt mit von der Leyen treffen wird.