
Impfdurchbrüche: Erkältungssymptome nach Corona-Infektion werden zur Regel
Der Aargauer Regierungsrat Jean-Pierre Gallati bemerkte am Montag einen Schnupfen. Normalerweise hätte er nach eigener Aussage da einen Tee getrunken und gut ist. Doch der am 28. Juni zum zweiten Mal Geimpfte liess sich testen und war dann überrascht über das positive Resultat. «Mir geht es gut, ich fühle mich wie bei einer leichten Erkältung, sonst habe ich keine Symptome», hat er dieser Zeitung erklärt. Auch im Kanton Thurgau haben sich die geimpften Regierungsräte Walter Schönholzer und Urs Martin infiziert.
Und auch ein Leser aus der Innerschweiz ist von einem positiven Testresultat überrascht worden. Er hatte am Samstag leichtes Kopfweh und hat sich wegen eines anstehenden Essens deshalb sicherheitshalber testen lassen. Das positive Resultat hat er nicht erwartet aufgrund der geringen Symptome, die bereits am Sonntag wieder schwächer geworden sind. In der Vor-Corona-Situation wäre er arbeiten gegangen, sagt der Innerschweizer. «Ich bin überzeugt, dass der eher milde Verlauf bislang auch vor allem der Impfung zu verdanken ist.»
Wie wissen Geimpfte, ob sie infiziert sind?
Die kurze Antwort: Es ist unmöglich, mit Sicherheit zu wissen, ob es Corona ist, wenn man Erkältungssymptome hat. Gerade Geimpfte und Genesene mit einer Grundimmunität haben nun auch Schnupfen und Niesen – zwei Symptome, die bei Erstinfektionen und vor Delta noch nicht zu beobachten waren. Folgende Symptome kommen nach einer Infektion oft vor:
- Ohrenschmerzen bei Geimpften, Durchblutungsstörungen/Tinnitus eher bei Ungeimpften
- geschwollene Lymphknoten, beide
- Kurzatmigkeit, beide
- Kopfweh, beide
- Gliederschmerzen, kann auch bei Geimpften kurzzeitig vorkommen
- Fieber, mehrheitlich bei Ungeimpften
- Augenentzündung, beide
Impfdurchbrüche sind also auch bei Jüngeren möglich. In Alters- und Pflegeheimen sind sie schon länger ein Thema. In Israel, wo die Seniorinnen und Senioren bereits Anfang Jahr geimpft worden sind, zeigten Studien im Spätsommer, dass auch doppelt geimpfte über 80-Jährige an Covid erkranken können, weil deren Immunsystem mit zwei Dosen nicht so stark mit Antikörpern gestärkt wird wie bei jüngeren Menschen.
Die Delta-Variante spielt eine Rolle
Die Daten aus mehreren Studien zeigen aber auch, dass der Impfschutz vor schweren Verläufen erhalten bleibt. Deutlich wird aber auch, dass sich mit der Delta-Variante auch Geimpfte leichter anstecken als mit den bisherigen Mutanten. Leichter als mit der Variante Alpha, die vor einem Jahr zu einer Welle geführt hatte. Durchbruchsinfektionen sind gut möglich, weil dabei normale immunologische Prozesse im Gang sind. In diesem Prozess sind die mRNA-Impfstoffe sehr effektiv, um zum einen kurzfristig Ansteckungen zu verhindern und auch langfristig schwere Covid-Verläufe.
Denn am Anfang sind nach der Impfung sehr viele Antikörper im Blut und auf den Schleimhäuten, die den Körper gegen eine neuerliche Infektion mit dem gleichen Erreger schützen. Mit den Monaten sinkt der Antikörperspiegel aber kontinuierlich, was sowohl nach einer Impfung wie auch nach einer Infektion normal ist. Der Körper hat unter Umständen nur einmal mit einem Erreger zu tun, und muss deshalb seine Ressourcen schonen und nicht unnötig viele für Abwehrkräfte verschwenden. Deshalb reduziert sich die Antikörperzahl mit der Zeit.
Längerfristig bewirken die Gedächtniszellen einen milden Verlauf
Deshalb lässt der Antikörperschutz mit der Zeit etwas nach. In dieser Zeit baut das Immunsystem aber Gedächtniszellen auf. Diese werden aus 10 bis 20 Prozent der Zellen gemacht, die ursprünglich für die Antikörperproduktion zuständig waren. Deshalb ist der Körper generell nicht mehr wehrlos gegen eine Reinfektion. Aber wenn einer im Theater oder Kino neben einem Infizierten sitzt und ihm dieser eine hohe Dosis Viren zutröpfelt, kann sich der doppelt Geimpfte trotzdem infizieren. Auch, weil die Delta-Variante eine rund 1000-fach grössere Viruslast erzeugt als die Variante Alpha.
Der Körper kann sich also zwar wieder infizieren, aber das durch die Impfung gestärkte Immunsystem kann sich in der Regel gegen eine schwere Covid-Erkrankung wehren. Das gilt bei ganz alten Menschen deutlich weniger, weil diese nach zwei Dosen eine geringere Immunantwort und also auch weniger Gedächtniszellen aufbauen als jüngere. Das ist ein Grund, warum den Ältesten eine Booster-Impfung nun auch in der Schweiz empfohlen wird.
Bei Jüngeren reicht aber die reaktive Immunantwort durch die im Blut patrouillierenden B-Gedächtniszellen. Diese werfen bei Kontakt mit einem Antigen die Antikörperproduktion wieder an. Des Weiteren hilft die zelluläre Immunabwehr mit T-Helfergedächtniszellen, sodass die Impfdurchbrüche in der Regel mild verlaufen oder vom Betroffenen gar nicht bemerkt werden. Auch einer der beiden positiv getesteten Thurgauer Regierungsräte hat seine Reinfektion nur bemerkt, weil er aufgrund des positiven Testresultats seines Kollegen zum Test gegangen ist.
Studie zeigt: In Haushalten erkranken Geimpfte seltener …
Wie sich das konkret im Alltag auswirkt, hat eine Studie des Fachmagazins «Lancet» ergeben, die letzte Woche erschien: Die Forschenden um Anika Singanayagam untersuchten Ansteckungen in englischen Haushalten von September 2020 bis September 2021. Dabei wurden 204 Personen untersucht, die im selben Haushalt Kontakte zu 138 Personen hatten, die mit der Delta-Variante infiziert waren. Es zeigte sich, dass das Risiko, dass sich eine geimpfte Person im selben Haushalt ebenfalls infiziert, bei 25 Prozent liegt – bei einem ungeimpften Familienmitglied lag sie hingegen bei 38 Prozent.
… aber ob der Überträger geimpft ist oder nicht, spielt keine Rolle
Das ist immerhin ein geringeres Risiko für Geimpfte. Die Studienautorinnen kommen aber zum Schluss, dass es dabei keine Rolle spielt, ob der oder die Infizierte geimpft war oder nicht. Dies, obwohl die Studie auch bestätigt, was bereits bekannt war: Anfänglich unterscheidet sich die Virenlast von Ungeimpften und Geimpften nicht, doch bei Geimpften sinkt die Virenlast schneller. In einem Haushalt, wo man Infizierten wohl so oder so zum Zeitpunkt der höchsten Virenlast begegnet, macht das schnellere Absinken der Virenlast keinen Unterschied.
Dass die Virenlast bei Geimpften schneller sank, bedeutet aber etwas Wichtiges: Die Infizierten genasen schneller als Ungeimpfte.
Drei Monate nach der Impfung sinkt der Schutz vor Infektion
Der Infektionsschutz alleine (also nicht der Schutz vor einem schweren Verlauf) sinkt dabei laut der Studie bereits nach drei Monaten so stark, dass eine Reinfektion wieder wahrscheinlicher wurde. Genau dies spiegelt sich nun in zunehmenden Fällen von Personen, die trotz Impfung Erkältungssymptome haben – auch Regierungsrat Gallati ist schon seit mehr als drei Monaten geimpft.