
«In Wimbledon fühle ich mich sehr wohl»


ZUR PERSON
Bernhard Schär (63) ist in Herzogenbuchsee (BE) aufgewachsen. 1992 zog er nach Küngoldingen, wo er ein Jahr später seine Frau Ursula heiratete. Seit 30 Jahren ist er als Sportreporter für Radio SRF (ehemals DRS) tätig. Er berichtet schwerpunktmässig von Ereignissen in den Sportarten Tennis und Ski alpin. Schär studierte Geografie und war anschliessend während zehn Jahren als Gymnasiallehrer tätig, bevor er zum Radio wechselte. Sein Sohn Jonas spielt Tennis und ist Schweizer Meister in der Königskategorie U18.
Herr Schär, hatten Sie heute schon mit Roger Federer Kontakt?
Bernhard Schär: Nein, ich habe ihn das letzte Mal beim Turnier in Stuttgart gesehen, als er nach 11 Wochen ohne Ernstkampf auf die Profitour zurückgekehrt ist.
Wie bereiten Sie sich denn auf Wimbledon vor?
Auf Wimbledon bereite ich mich schon über das ganze Jahr sehr intensiv vor. Das ist nicht nur Sache einzelner Tage. Kurz vor dem Turnier schaue ich mir noch ein paar Matches von Federers grössten Konkurrenten an. Man erhält in der Woche vor Wimbledon auch sehr viele Mails des Veranstalters betreffend der Organisation. Das ist in Wimbledon alles sehr englisch reglementiert.
Was bedeutet Wimbledon für Sie persönlich?
Wimbledon ist das Mekka des Rasen-Tennis. Es ist auch das einzige Grand-Slam-Turnier auf dieser Unterlage. Es hat eine beeindruckende Tradition nach britischem Muster. Ich habe aus der Reporter-Kabine eine ausgezeichnete Sicht auf die Royal-Box und fühle mich in Wimbledon seit Jahren sehr wohl.
Zum wievielten Mal sind Sie in Wimbledon mit dabei?
Ich bin nun zum 21. Mal am Turnier in Wimbledon. Ausgerechnet jetzt hat Federer die Chance, zum 21. Mal ein Grand-Slam-Turnier zu gewinnen. Nur einmal konnte ich nicht dabei sein. Damals als Federer bereits in der zweiten Runde ausschied.
Wie sieht ein typischer Wimbledon-Tag bei Ihnen aus?
Ich bin einer, der immer sehr früh auf der Anlage ist. Ich bin ein Frühaufsteher. Dann gehe ich in den Presseraum und lese mich in die hochprofessionell erstellten Statistiken ein. Anschliessend lese ich sowohl die englischen wie auch die Schweizer Zeitungen. Wenn es die Zeit erlaubt, gehe ich jeweils zu Roger Federer ins Training. Ich will wissen, wie er trainiert und welche Körpersprache er spricht. Ich hole mir alle Informationen, sodass ich aus diesen Mosaiksteinen ein ganzes Puzzle habe und gut vorbereitet bin, wenn der Match beginnt.
Sie sind seit rund 30 Jahren als Sportreporter tätig. Wie hat sich Ihr Beruf in der Zwischenzeit verändert?
Ich rede immer noch wie früher, mache Berichte und spiele Töne von Athletinnen und Athleten ein. Das ist gleich geblieben. Allerdings dauern die Beiträge heute viel weniger lange. Wenn ich früher einen Beitrag mit einer Dauer unter vier Minuten abgegeben habe, wurde dies fast schon negativ ausgelegt. Liefere ich heute einen vierminütigen Beitrag, kriege ich ihn zurück mit dem Auftrag, ihn um die Hälfte zu kürzen. Was sich auch verändert hat, ist die Technik. Mit den digitalen Möglichkeiten ist vieles einfacher geworden. Ich kann die Beiträge selbst auf dem Laptop schneiden, sie selbst vertonen und fixfertig nach Zürich überspielen. Früher musste ich zahlreiche Telefonate führen und hatte stets Klebeband und Schere dabei, um die Tonbänder zu schneiden.
Hat denn das Radio als Medium überhaupt noch eine Zukunft? Die Konkurrenz mit Fernsehen und Internet ist ja gigantisch…
Das Radio hat eine grosse Zukunft und wird nicht sterben! Davon bin ich hundertprozentig überzeugt. Das Radio ist auch ein gutes Begleitmedium; man kann Radio hören, währenddessen man eine andere Tätigkeit verrichtet. Man muss dafür nicht absitzen und sich an das Medium binden. Mit dem Radio ist man sehr flexibel.
Sie haben eine sehr markante Stimme mit hohem Wiedererkennungswert. Werden Sie auch erkannt, wenn Sie privat unterwegs sind?
Ja, sehr oft. Erst kürzlich war ich in Kroatien am Strand. Da kamen ein Mann und eine Frau zu mir und sagten: «Wir wissen im Fall, wer Sie sind».
Welches war ihr unvergesslichster Moment als Sportreporter?
Davon gibt es viele. Ich erlebte schon so viele Olympiasiege, die meisten Grand-Slam-Siege von Roger Federer, den Davis-Cup-Sieg der Schweiz sowie Weltmeistertitel in den verschiedensten Sportarten. Da kann ich unmöglich ein Ereignis herauspicken. Ich hatte extrem viel Glück mit meinen Sportarten. Alleine im Ski alpin durfte ich unzählige schöne Momente erleben. Angefangen hat meine Karriere mit den Erfolgen von Vreni Schneider, Franz Heinzer und Michael von Grünigen. Weiter ging es mit Didier Cuche, Carlo Janka, Lara Gut sowie jüngst Wendy Holdener und Michelle Gisin.
Gab es auch besonders schwere Momente in ihrer Karriere?
Ja. 2006 kam ich vom Weltcupfinale im Springreiten in Las Vegas zurück. Ich landete frühmorgens in Zürich, als mich ein Redaktionskollege anrief und mir mitteilte, die ehemalige Skirennfahrerin Corinne Rey-Bellet sei erschossen worden. Ich müsse einen Nachruf für das Mittagsmagazin «Rendez-vous» machen. Ein weiterer tiefer Moment war, als ich 1994 am Abend vor der Abfahrt in Garmisch-Partenkirchen die österreichische Skifahrerin Ulli Maier für ein Interview im Hotel besuchte. Am Tag darauf stürzte sie im Rennen und starb. Und die Querschnittslähmung von Silvano Beltrametti beschäftigt mich sogar heute noch. Ich habe das Rennen während seines Sturzes kommentiert. Das hat mich sehr aufgewühlt. Er war genau in der Phase seines Aufstiegs. Beltrametti hätte eine riesige Zukunft vor sich gehabt. Er wäre gemeinsam mit Roger Federer der Publikumsliebling unseres Landes geworden.
Ihre Emotionen zeigen, dass Sie einen sehr engen Draht zu den Sportlerinnen und Sportler haben. Gibt es da auch Personen, die weniger angenehm im Umgang sind?
Ich hatte in meiner 30-jährigen Karriere bisher noch mit keinem einzigen Sportler und mit keiner Sportlerin ein grösseres Problem. Ich habe immer gespürt, dass die Athleten mir gegenüber grossen Respekt zollten. Vielleicht liegt es an meiner Ausstrahlung, an der Erfahrung und der Kompetenz. Selbst in der Enttäuschung eines Athleten über eine Niederlage hat mir noch nie jemand ein Interview verweigert. Diese Wertschätzung seitens der Sportlerinnen und Sportler hat mich auch motiviert, 30 Jahre lang dran zu bleiben.
Sie sind so oft so nahe an Stars wie Roger Federer dran. Kommen da nicht täglich Anfragen von Freunden, die sich ein Autogramm von ihm wünschen?
Nein, weil ich so was sofort abblocke. Ich bin Journalist, kein Botschafter. Ich habe die journalistische Distanz zu wahren und habe Federer noch nie um ein Autogramm gebeten. Schon gar nicht für eine andere Person. Wer eine Unterschrift möchte, soll sich selbst darum bemühen. Auf der Website von Roger Federer steht, wie man an ein Autogramm kommt.
Wie erleben Sie Roger Federer als Mensch?
Höchst fair, sehr kommunikativ, respektvoll und sehr angenehm im Umgang. Beeindruckend ist auch seine Konzentrationsfähigkeit. Diese beweist er auch während der Interviews. Federer gewinnt in Wimbledon und ist 50 Minuten später bei mir im Raum. Und dann habe ich das Gefühl, dass er mental voll bei mir ist und gute Aussagen machen möchte. Das ist eine gewaltige Fähigkeit!
Können Sie sich an die erste Begegnung mit Federer erinnern?
Ja, das war 1998 beim Fed-Cup-Finale der Schweiz gegen Spanien in Genf, als Martina Hingis und Patty Schnyder gemeinsam im Doppel gespielt haben. Vor meiner Reporterkabine sass der damals 17-jährige Roger Federer, welcher gerade das Juniorenturnier von Wimbledon gewonnen hatte. Ich bat ihn zu mir in die Kabine und so entstand das erste Interview mit ihm.
Hätten Sie damals gedacht, dass Federer einst so erfolgreich werden würde?
Ich wusste, dass er ein grosses Talent ist. Mit 17 Jahren erreichte er beim Turnier in Toulouse bereits das Viertelfinale und schlug auf dem Weg dahin die damalige Weltnummer 5 Carlos Moyá. Das waren für mich Eckdaten, die mir sagten: Mit diesem Typen kann ich eine unvergesslich gute Zeit erleben. Und so kam es ja auch.
Sie sprechen sehr schwärmerisch von Roger Federer. Würden Sie Ihn auch kritisieren?
Das habe ich auch schon getan, wenn er schlechter spielte, als von ihm erwartet wurde. Aber ich muss betonen: Was ich hier sage, hat mit Schwärmen gar nichts zu tun. Ich charakterisiere Federer objektiv und sachlich. Er spielt eine brillante Karriere und hatte bis jetzt keine gravierenden Fehler gemacht. Das ist sehr selten! Keine Steuerprobleme. Keine Dopingprobleme. Keine Skandale. 15 Mal hintereinander wurde Federer weltweit von den Fans als beliebtester Tennisspieler der Welt gewählt. Und 14 Mal wählten ihn seine engsten Konkurrenten wie Nadal, Murray und Djokovic zum beliebtesten und fairsten Spieler. Diese Zahlen sprechen einfach für sich!
Roger Federer gehört mit 37 Jahren immer noch bzw. wieder zu den Favoriten des Turniers in Wimbledon. Hätten Sie vor zwei Jahren erwartet, dass er es noch einmal bis ganz zuoberst an die Weltspitze schafft?
Ich gehöre zu denjenigen, die Roger Federer nie abgeschrieben haben. Ich habe gesehen, gespürt und gewusst, wie er hinter den Kulissen ein ganz harter Arbeiter ist. Dies nebst dem Riesentalent, welches er besitzt. Er hat beispielsweise seine Rückhand während seiner Auszeit enorm verbessert. Zudem erfand er einen neuen Schlag, den SABR (Sneak Attack by Roger), welcher die Gegner verunsicherte. Zusätzlich vergrösserte er die Fläche seines Rackets. All dies hat mir gezeigt: Dieser Mann ist noch lange nicht am Ende. Da ist ein grosser Spirit, eine gewaltige Energie und eine riesige Motivation in diesem Menschen drin.
Was liegt für Federer dieses Jahr in Wimbledon drin?
Gemeinsam mit Rafael Nadal und Marin Čilić gehört er sicherlich zu den Topfavoriten auf den Turniersieg.
Wenn Federer und auch Wawrinka eines Tages nicht mehr spielen, entsteht doch eine riesige Lücke im Schweizer Tennissport…
Das ist so. Aber schauen wir mal nach Australien und in die USA. Wo sind diese Länder momentan auf der Landkarte des Welttennis? So grosse Nationen, welche früher den Davis-Cup und die Grand-Slams dominiert hatten, mussten Spielern anderer Nationen den Vortritt lassen. Das ist normal. Wir müssen der nächsten und der übernächsten Generation die Zeit lassen, die sie brauchen. Mein Sohn ist Juniorenspieler und durch ihn erhalte ich einen guten Einblick in die Jugendarbeit von Swiss Tennis. Und da wird gut gearbeitet! Aber man kann nicht von null auf hundert einen Wawrinka oder einen Federer ersetzen.
Ihr Sohn Jonas ist Schweizer Meister in der Kategorie U18. Haben Sie die Hoffnung, dass er eines Tages bei den Grand-Slams vorne mitmischen kann?
Jonas ist tatsächlich sehr erfolgreich aber der Fokus liegt auf der Schule. Derzeit besucht er das Sportgymnasium in Aarau. Gleichzeitig kann er ein- bis zweimal täglich Tennis spielen. Wenn er aber gezwungenermassen in einem Bereich zurückstecken müsste, dann wäre das zuerst beim Tennis und nicht bei der Schule.
Zurück zu Federer: Was denken Sie, wann wird er seine Karriere beenden?
Ich habe keine Ahnung. Und ich glaube Federer weiss es selbst noch nicht.
Wenn Federer zurücktritt, werden Sie ihre Reporterkarriere dann auch beenden?
Meine Karriere endet so oder so bald. Ich bin 63 Jahre alt und es wird Zeit, den Jungen Platz zu machen. Es ist möglich, dass es genau aufgeht und Federer bis zu meinem letzten Tag in den Top 3 der Weltrangliste ist. Es kann aber auch sein, dass er vor mir zurücktritt. Das wäre auch nicht tragisch. In zwei Jahren ist bei mir spätestens Schluss!
Was haben Sie für Pläne für die Pension?
Ich will mehr Zeit für die Familie haben und wieder mehr Ferien machen. Ich habe jetzt 30 Jahren lang erfolgreiche Leute im Spitzensport begleitet. Ich könnte mir nun auch mal vorstellen, mit Menschen zu arbeiten, welche es etwas schwieriger haben im Leben. Es gibt so viele Aufgaben, die unser Land nebst dem Spitzensport noch hat.
Könnten Sie sich auch vorstellen, über ihre Erlebnisse aus über 30 Jahren ihrer Tätigkeit ein Buch zu schreiben?
Ich glaube nicht. Heutzutage ist sehr vieles schon im Internet les- und schaubar. Ich kann sehr gut damit leben, die Ereignisse meines sehr intensiven Sportreporterlebens für mich zu behalten oder diese stückchenweise preiszugeben. Sei es im privaten Rahmen oder wenn ich wieder einmal an einem Skirennen bin und Erinnerungen in mir hochkommen.