
«Ja, ich bin eine Rampensau» – der SP-Regierungsratskandidat Dieter Egli im grossen Interview
Herr Egli, jetzt sind Sie der offizielle SP-Kandidat. Aber es gab wegen der Coronakrise keine Feier. Nicht einmal einen Händedruck. Hätten Sie sich das anders gewünscht?
Dieter Egli: Gewünscht habe ich mir das so nicht, aber ich denke, wir haben das Beste aus der Situation gemacht. Die Stimmung ist gerade sehr sachlich, man konzentriert sich auf das Wesentliche.
Wird die Feier nachgeholt?
Ich bin erst nominiert, in Feierlaune bin ich aber nicht. Ich weiss, dass die Erwartungen hoch sind, die Arbeit fängt jetzt erst an.
Aber erleichtert sind Sie?
Ich bin erleichtert, dass das Resultat so klar war, von 187 Delegierten haben 164 mich nominiert. Ich fühle mich von der Partei getragen. Aber in 20 Jahren Politik habe ich gelernt, dass man mit Euphorie nicht gut beraten ist.
Haben Sie denn noch Zweifel, dass Sie gewählt werden?
Ich gebe mir eine gute Chance. Aber ich muss jetzt aus der Vorgabe der Partei etwas machen. Davor habe ich Respekt.
Ihr Nominierungsresultat war sehr gut, obwohl die SP eigentlich gerne eine Frau im Regierungsrat hätte. Wie ist das für Sie?
Ich kann nicht etwas sein, das ich nicht bin. Aber die Diskussion muss geführt werden, das habe ich auch den Delegierten gesagt.
Diese haben Sie nominiert, und da Sie gute Wahlchancen haben, könnte es sein, dass der Regierungsrat ein Männergremium bleibt. Finden Sie, als jemand der für Gerechtigkeit einsteht, das fair?
Nein, fair ist es nicht. Aber wenn ich gewählt werde, ist es das, was die Wählenden wollen. Das ist nicht mein Entscheid. Die Frauenfrage bleibt dabei ein Thema, das muss ich aushalten.
Hält die Partei das aus?
Die SP steht immer wieder vor diesem Entscheid. Die Partei nominiert ihre Kandidatinnen und Kandidaten aber insgesamt ausgeglichen. Und es ist nicht nur in der Verantwortung der Linken, Frauen in die Politik zu bringen.
Gerade Vertreterinnen aus dem gegnerischen politischen Lager haben Sie in den letzten Wochen verteidigt: Sie seien der richtige Kandidat, hiess es, die Frauenfrage müsse sich nicht stellen. Gibt Ihnen das nicht etwas zu denken?
Die Unterstützung vom politischen Gegner zeigt zweierlei: Erstens beschäftigt die Frauenfrage auch die anderen Parteien, was ich begrüsse. Zweitens zeigt es, dass ich breit abgestützt und gut vernetzt bin. Das ist für die Regierungsratskandidatur sehr positiv.
Die Juso, die kein politischer Gegner ist, tritt mit drei Frauen zur Regierungsratswahl an, weil sie keine Männerregierung will. Das konkurrenziert Sie.
Nein. Es sind Gesamterneuerungswahlen, alle fünf Regierungssitze stehen zur Wahl. Links-Grün bietet vier Kandidatinnen und einen Kandidaten. Also eine Auswahl.
Auch punkto geografischer Verteilung würden Sie nicht für Diversität im Regierungsrat sorgen. Ersetzen Sie Urs Hofmann und werden die anderen vier wieder gewählt, gibt es keinen Vertreter des Aargauer Westens.
Ich bin nicht aus dem Osten. Als Brugger vertrete ich die Mitte – und den historischen Berner Aargau. Zudem spielt Aarau in meinem Leben eine grosse Rolle, ich habe hier die Kantonsschule besucht und bin auch sonst aktiv, zum Beispiel im Theater. Als Regierungsrat würde ich den ganzen Kanton vertreten, den ich sehr gut kenne. Es ist schwierig, in der Regierung alle Aspekte abzubilden.
Sie haben lange zugewartet, bis Sie Ihre Kandidatur bekannt gegeben haben. War die Diversitätsfrage der Grund?
Ich habe viele Faktoren in den Entscheid einbezogen, ja. Ich musste mir diese Fragen selber auch stellen. Ich habe aber Ambitionen und bringe Erfahrungen und Fähigkeiten für das Amt mit, deshalb konnte ich sie nicht für die SP vorentscheiden.
Können Sie als Regierungsrat so zögerlich handeln?
So lange man gleichzeitig eine gewisse Hartnäckigkeit an den Tag legt, ist Zuwarten nicht immer schlecht. Man muss Kanten zeigen und Kompromisse finden. Das kann ich.
Sie hatten noch nie ein Exekutivamt. Der Praxistest steht aus.
Ich habe solche Situationen im Beruf, in der Partei und auch in den Kommissionen schon oft erlebt. Das ist mir nicht neu. Ich bin überzeugt, dass mir der Wechsel gelingen kann. Gerade weil ich so lange politische Erfahrung habe. Es ist ein grosser Vorteil, dass ich weiss, wie das Parlament funktioniert.
Sie wurden vor wenigen Tagen 50. Suchen Sie deshalb die Veränderung?
Es geht mir sicher nicht darum, einfach noch einen Job für die letzten 15 Jahre des Berufslebens zu haben. Es ist ein Neuanfang, kein Abschluss. Aber natürlich kann man mit 50 damit nicht mehr zu lange warten, irgendwann wäre der Zeitpunkt verpasst.
Vermutlich ändern sich die politischen Schwerpunkte mit der Coronakrise. Wie soll der Regierungsrat das meistern?
Die Frage ist, wie wir aus der Krise herauskommen und wie wir verhindern können, dass sie lange anhält. Dafür muss die Wirtschaft unterstützt werden, wie es der Regierungsrat bereits aufgegleist hat. Aber man muss dabei alle Akteure einbeziehen.
Sie als Gewerkschafter meinen damit auch die Arbeitnehmenden?
Ja. Wie die Stellen und die Löhne erhalten werden sollen, stand bis jetzt zu wenig im Fokus. Es bringt nichts, die Wirtschaft hochzufahren, wenn die Kaufkraft und die Konsumentenstimmung schlecht bleiben. Mir ist wichtig, dass die Sozialpartnerschaft besser funktioniert. Die Fronten haben sich in den letzten Jahren verhärtet, der Dialog wurde vernachlässigt. Aber der Weg aus der Krise gelingt nur, wenn Arbeitnehmende und Arbeitgebende gleichermassen berücksichtigt werden.
Das könnten Sie als Nachfolger von Urs Hofmann im Volkswirtschaftsdepartement umsetzen. Ist das Ihr Wunschdepartement?
Bisher waren meine Schwerpunkte in der Politik die Wirtschaft und auch die Sicherheitspolitik. Insofern würde sich das Departement anbieten, aber ich bin offen für alles. Die Bevölkerung wählt eine Regierung und erwartet von dieser, dass sie im Kollegium Probleme löst. Dem würde ich nicht gerecht, wenn ich mich jetzt nur auf das Volkswirtschaftsdepartement konzentrierte.
Sie äussern sich diplomatisch, wie so oft. Jemand meinte kürzlich, über Sie sei noch nie etwas Schlechtes gesagt worden. Sind Sie perfekt? Haben Sie wenigstens Jugendsünden, zum Beispiel einmal gekifft?
Ja, Kiffen habe ich einmal ausprobiert. Ich habe in der Jugend auch Sachen gemacht, auf die ich nicht stolz bin. Nur bin ich wohl kein extremer Mensch, sondern ziemlich ausgeglichen. Es gibt aber durchaus Leute, die erlebt haben, wie ich auf den Tisch haue, etwa in der Fraktion. Es gibt Grenzen, auch ich lasse mich provozieren.
Wie provoziert man Dieter Egli?
Wenn sich jemand zwar Ziele setzt, aber nicht bereit ist, die nötige Arbeit zu leisten, um diese zu erreichen, provoziert mich das, zum Beispiel.
Sie sagen, Sie seien nicht extrem. Aber Sie laufen Marathon. Das ist ziemlich extrem.
Letztlich ist ein Marathon zu laufen eine Frage der Ausdauer und der Hartnäckigkeit. Ich nehme das nicht als ein Extrem wahr, sondern als einen Weg mit Hochs und Tiefs, die es zu überwinden gilt. Schnelle Erfolge sind auch in der Politik selten, Ziele müssen lange verfolgt werden.
Man hat das Gefühl, Sie reden nicht gerne über sich. Aber als Regierungsrat würden Sie im Rampenlicht stehen. Geht das für Sie?
Ja, ich bin eine Rampensau.
Eine überraschende Aussage.
Es stimmt aber! Ich spiele mit Leidenschaft Theater. Wenn ich eine Bühne habe, geniesse ich das Rampenlicht. Deshalb freue ich mich auch auf den Wahlkampf. Man hat selten die Möglichkeit, über sich etwas ausführlicher zu reden. Als Politiker wird man eher auf Haltungen reduziert.
Sie sind aber bis jetzt selber wenig persönlich geworden.
Das höre ich oft. Ich nehme mein Privatleben vielleicht automatisch zurück, weil ich in der Politik als Fraktionspräsident derzeit die Rolle des Kompromissfinders habe. Die Emotionen lebe ich eher im Theater, dort kann man extreme Seiten von mir sehen.
Als Politiker spielen Sie aber nicht Theater, oder?
Im Interesse der Sache ist es manchmal nötig, in der Politik seine Rolle einzunehmen. Die Politik ist auch ein Stück weit eine Bühne, die man bespielen muss.
Im Regierungsrat würden Sie eine andere Rolle spielen als jetzt…
Die Rolle innerhalb der Partei würde natürlich eine andere. Mit diesem Wechsel müsste ich umgehen können. Reizvoll ist, die Politik zum Beruf zu machen. Denn Beruf und Politik zeitlich zu vereinbaren, ist bisher ein Spagat.
Zuerst kommt der Wahlkampf, der durch die Krise wahrscheinlich anders wird als sonst. Stört Sie das?
Die Lust zu streiten ist vielleicht etwas gehemmt, weil viele Einzelfragen angesichts der Gesamtlage unbedeutend scheinen. Ich will einen interessanten Wahlkampf bieten, aber zum Clown mache ich mich nicht. Wenn die Leute Sicherheit, Ruhe und Sachlichkeit wollen, veranstalte ich nicht um jeden Preis ein Spektakel.
Sie sagen es: Als Regierungsrat würden Sie den ganzen Aargau vertreten. Dieser hat nicht nur ein gutes Image. Braucht das eine Korrektur?
Man nimmt den Kanton wesentlich besser wahr als auch schon. Aber da ist tatsächlich noch viel Potenzial.
Wo?
Wir haben keine Grossstadt wie Zürich, keine Berge wie das Wallis und keine Weltgewandtheit wie Basel. Aber wir haben eine wunderschöne Landschaft, spannende, innovative Unternehmen, eine interessante Geschichte. Unsere Vielfalt ist eine Chance, die es zu packen gilt. Wir haben eine Wirtschaft und wissenschaftliche Institutionen auf Spitzenniveau, und unsere Zusammenarbeit mit den anderen Kantonen funktioniert. Wir sind ein offener Kanton. Mir gefällt der Austausch, auch jener mit Süddeutschland, damit verbindet uns der längste Teil unserer Grenze. Der intensive Austausch bringt dem Aargau viel.
Sie sind Deutschland-Fan. Warum?
Ich reise sehr gerne nach Deutschland, mich faszinieren das Land und seine Geschichte. Für die Politik können wir dort vieles ablesen, was unsere Zukunft betrifft – etwa, wie es immer schwieriger wird, Koalitionen zu bilden. Ich bevorzuge unser System ganz klar, aber wir sind manchmal etwas selbstgerecht mit unserer direkten Demokratie und müssen aufpassen, dass wir diese nicht überstrapazieren. Wir dürfen den Rechtsstaat nicht damit ersetzen. Deutschland hat historisch erfahren, wie sich eine Demokratie selbst abschafft.
Noch zu etwas Erfreulichem: Worauf freuen Sie sich am meisten, wenn die Coronakrise dereinst überstanden ist?
Darauf, nach Berlin reisen zu können. Ich war erstmals 1988 dort, und die Stadt lässt mich nicht los. Dort passiert unglaublich viel. Es ist spannend, gleichzeitig kann ich mich sehr gut dort erholen.
Als SP-Politiker nehmen Sie dafür sicher den Zug?
Ich habe auch schon das Flugzeug genommen, allermeistens aber die Bahn. Ich geniesse es, mit dem Zug zu reisen, und arbeite gerne unterwegs, auch in unserem Land. Das vermisse ich momentan sehr. Ich habe mich gefreut, als letzte Woche wieder einmal ein Kondukteur vorbeikam, denn das war für mich das Zeichen: Langsam geht es aufwärts.