Jahrhundertfälscher Beltracchi landete für seinen Betrug im Knast – nun wird aus seiner Story ein Theater

Herr Gubser, man kennt Sie als «Tatort»-Kommissar Flückiger auf der Seite der Guten. Jetzt arbeiten Sie mit einem Gesetzesbrecher zusammen, dem Star aller Bilderfälscher: Wolfgang Beltracchi. Weshalb wechseln Sie die Seite?

Ein Mann, ein Unternehmen

Auf seinen «Tatort»-Lorbeeren hat er sich nie ausgeruht: Stefan Gubser, Film-, Fernseh- und Theaterschauspieler, ist auch Produzent in eigener Sache. Mit seiner Bühnenpartnerin Regula Grauwiller probt er gegenwärtig in Zürich einen Abend über Wolfgang und Helene Beltracchi. Als Koproduktion mit den Hamburger Kammerspielen zeigen die beiden in Deutschland erfolgreich eine Romanadaptation der Glauser-Preisträgerin Judith W. Taschler. (md)

Stefan Gubser: (lacht) Die Seite wechseln ist gut! Für mich ist die Geschichte von Helene und Wolfgang Beltracchi eine Story wie «Bonnie und ­Clyde».

Verharmlosen Sie die Sache da nicht etwas?

Das Interessante an ihm ist: Beltracchi hat Bilder gemalt «im Stil von». Er ist ein Mensch, der sich unglaublich in andere Menschen hineinversetzen kann. Und er weiss alles über die Maler, in deren Stil er gearbeitet hat. Er hat sich überlegt, welches Bild hat der Maler nicht gemalt, das er eigentlich hätte malen müssen. Diese Bilder hat er dann so gemalt, wie er gedacht hat, dass der Künstler sie gemalt hätte. Weltbekannte Kunstexperten haben Beltracchis Werke als die besten Bilder jener Maler, zum Beispiel von Heinrich Campendonk, bewertet.

Zur Person

Sie meinen, die Fachwelt trage Mitschuld, weil sie Beltracchis Ruhm gemehrt hat?

Die Provision solcher Experten ist abhängig vom Verkaufswert eines Bildes. Wenn sie es als echt einstufen, verdienen sie weit mehr, als wenn sie es als Fälschung enttarnen. Beltracchi hat den teils verlogenen, künstlich gepushten Kunstmarkt hinters Licht geführt.WERBUNG

Heisst das, er ist für Sie ein Held?

Beltracchi ist ein Lebemann. Er liebt gutes Essen, guten Wein, schönes Wohnen, sicher hat er es auch wegen des Geldes gemacht. Aber dieser Mann hat ein unglaubliches Talent und kennt sämtliche Maltechniken! Er hat Linkshänder mit links gemalt, Rechtshänder mit rechts. Ich habe seine Ausstellung «Kairos» gesehen, die in Wien, Venedig und Hamburg für Furore sorgte. Beltracchi hatte von einem deutschen Unternehmer den Auftrag erhalten, mit 25 Bildern 2000 Jahre Kunstgeschichte zu illustrieren. Er hat zum Beispiel einen «Turner» gemalt, eine wichtige Schlacht, die der Maler nicht malte, Beltracchi hat sie nachgeholt. Ich würde sagen, es gibt auf der Welt keine zehn Maler, die seine Kunstfertigkeit beherrschen.

Ein Bild von Leonard da Vinci oder doch von Wolfgang Beltracchi? Im Atelier des Malers am Vierwaldstättersees steht «Salvator Mundi» auf der Staffelei.
Ein Bild von Leonard da Vinci oder doch von Wolfgang Beltracchi? Im Atelier des Malers am Vierwaldstättersees steht «Salvator Mundi» auf der Staffelei.Bild: Alberto Venzago

Danke für das Stichwort «beherrschen». Ich musste mich eben beherrschen, Ihre Hymne auf einen Urkundenfälscher nicht zu unterbrechen. Herr Gubser, könnte es sein, dass der talentierte Herr Ripley auch Sie hinters Licht geführt hat?

Ich urteile so, weil ich ihn durch unsere Zusammenarbeit inzwischen relativ gut kenne. Ich habe Wolfgang und Helene Beltracchi zum ersten Mal vor drei Jahren in einem sehr kleinen Rahmen in Zürich bei ihrem Kunsthändler Guido Persterer erlebt. Die beiden haben erzählt, und mir war nach wenigen Minuten klar: Das ist eine so unglaubliche, irre, spannende Geschichte, dass ich damit etwas machen muss. Später habe ich meine Bühnenpartnerin Regula Grauwiller gefragt, ob sie dabei sei – und sie sagte zu.

Was Menschen, die ihr Geld mit einem bürgerlichen Beruf sauer verdienen, allenfalls besonders interessiert: Hat der Künstler eigentlich ein Unrechtsempfinden?

Das hat er, und davon sprechen wir auch in unserem Stück. Er sagt zum Beispiel, dass er den Betrug bereue, nicht aber, dass er die Bilder gemalt habe, sie hat er ja selbst erfunden. Für den Betrug sass er auch lange genug im Gefängnis, und seine Schulden in der Höhe von 20 Millionen Euro hat er vollständig zurückbezahlt.

Weil er heute, unter seinem eigenen Namen, Bilder malt, die mehr wert sind als die gefälschten. Behauptet er …

Das ist so. Als er vor fast exakt zehn Jahren, am 27. Oktober 2011, in Köln verhaftet wurde und es zum Prozess kam, gab es allerdings viele Museen, Galerien, Kunstsammler, die nicht wissen wollten, ob ihre Bilder echt oder von Beltracchi sind. Es wurden nur 14 Werke aufgedeckt, man geht aber davon aus, dass bis zu 200 Fälschungen im Umlauf sind. Er wäre bereit gewesen, alles aufzudecken. Doch das war offenbar nicht gewünscht.

Schon wieder ein Argument auf die Mühle des ehemaligen Rechtsbrechers. Da hat Sie aber einer satt um den Finger gewickelt …

Mich, uns haben die beiden, Helene und Wolfgang, um den Finger gewickelt! Unser Abend dreht sich nicht einfach um ihn, es geht genauso um sie, um das Paar und ihre Beziehung, «Bonnie und Clyde», wie gesagt. Ohne Helene hätte er seine Bilder gar nicht in den Kunstmarkt einschleusen können.

Ex-«Tatort»Schauspieler Stefan Gubser entdeckt seine Liebe für das ex-Betrüger-Ehepaar Beltracchi. Das Stück, das er geschrieben hat, wird in Anwesenheit der Beiden in Zürich uraufgeführt.
Ex-«Tatort»Schauspieler Stefan Gubser entdeckt seine Liebe für das ex-Betrüger-Ehepaar Beltracchi. Das Stück, das er geschrieben hat, wird in Anwesenheit der Beiden in Zürich uraufgeführt.Bild: Valentin Hehli

Sie war die Frau im Hintergrund, die den Mann zu unrechtem Tun anstachelt? Eine moderne Lady Macbeth?

Keinesfalls, aber sie war es, die seine Werke verkauft hat. Es ist unglaublich, was die beiden unternahmen, um die Provenienz der Werke zu bestätigen. Nur ein Beispiel: Man erfand die Geschichte, dass die Bilder aus der Sammlung von Helenes Grosseltern stammten. In ihrem Studio haben sie deren vermeintliche Wohnung aus den dreissiger Jahren bis auf die Sockel­leisten nachgebaut. Die Wände schmückten sie mit Beltracchis Bildern und reicherten sie mit Kopien echter Gemälde an. Helene, historisch korrekt kostümiert, stellte sich als ihre eigene Grossmutter dazu. Das hat Beltracchi fotografiert, mit Kameras aus der Zeit, mit alter Chemie und mit altem Fotopapier. Wenn Kunden sie be­suchten, liessen sie diese Fotos wie zufäl­lig herumliegen: Man konnte sich mit eigenen Augen von der «Echtheit» der Bilder überzeugen. Ein anderes Beispiel ist …

Sie sind dem Einfallsreichtum der beiden verfallen, gestehen Sie es, möchte ich fast sagen …

… er hat in die Ritzen seiner Bilderrahmen, die er auf dem Flohmarkt kaufte, Staub und Schmutz gesteckt, den er in den hintersten Winkeln in Estrichen gefunden hat! Natürlich, die Faszination ist enorm. Beltracchi hat nicht nur Bilder erfunden, sondern auch die Geschichten dazu, er ist ein Geschichtenerzähler.

Ist er Ihr Bruder im Geist? Sie teilen sich die Lust, unsere Fantasie mit Geschichten zu füttern?

Sicher, das ist so. Als ich die beiden kennen lernte, habe ich mich zunächst weniger für die Bilder interessiert als für ihre grosse Liebesgeschichte. In den 14 Monaten ihrer Untersuchungshaft – 14 Monate, das muss man sich einmal vorstellen – haben sie sich über tausend Briefe geschrieben. Unser Abend handelt nicht in erster Linie von einem Kriminalfall, sondern von einer nahezu symbiotischen Liebe.

Sie haben aus 1400 Seiten autobiografischem Material ein Buch geschrieben. Der Regisseur Michael Steiner, dessen Film «Und morgen seid ihr tot» zurzeit im Kino läuft, hat inszeniert. Ehrlich, bitte: Liessen Ihnen die beiden freie Hand?

Absolut, das haben sie, denn es sind ja auch ihre Texte. Dazu zeigen wir viele Fotos aus ihrem Privatleben und natürlich seine Bilder. In der Ausstellung werden auch neue Werke zu sehen sein.

Wolfgang und Helene Beltracchi sitzen zur Premiere im Publikum?

Die werden im Publikum sitzen! Das macht mich ein bisschen nervös. Wir erzählen, und wir lesen aus ihrem Leben, nachspielen werden wir die beiden allerdings nicht …

Sie fälschen Ihren Gegenstand also nicht.

Nein, der Abend heisst ja auch «Unverfälscht».

Beltracchi: Unverfälscht. Tonhalle Zürich, 20. 11. Ausstellung um 17.30 Uhr, Lesung um 18.30 Uhr.


Der Fall Beltracchi: Alle Wege führen in die Schweiz

Wolfgang Beltracchi malt heute unter seinem Namen Bilder, die teuer sind wie nie zuvor. Am Beltracchi-Boom sind vor allem Schweizer Sammler beteiligt.

Blick ins Atelier des ehemaligen Meisterfälschers in Meggen. Sammler bezahlen heute für einen «Beltracchi» oft mehr als für Originale. Vor allem In der Schweiz wird seine Kunst hoch geschätzt.
Blick ins Atelier des ehemaligen Meisterfälschers in Meggen. Sammler bezahlen heute für einen «Beltracchi» oft mehr als für Originale. Vor allem In der Schweiz wird seine Kunst hoch geschätzt.Bild: Alberto Venzago

Vierzig Jahre lang narrten der deutsche Maler Wolfgang Beltracchi, 70, und seine Frau Helene, 69, die Kunstwelt. Er, Sohn eines Restaurators, malte, und sie verkaufte, mit abenteuerlichen «Beweisen», es handle sich um echte Kunst, Aberhunderte Bilder im Stil – und mit der Signatur – grosser Meister.about:blankhttps://acdn.adnxs.com/dmp/async_usersync.html

Picassos, Werke von Georges Braque und von Max Ernst wurden so in den internationalen hochpreisigen Kunstmarkt eingeschleust. Um die Bilder glaubhaft zu machen, erfanden die beiden einen Grossvater namens Werner Jäger, einen Kunstsammler und Kunstkenner. Aus dessen «Nachlass» stammten die Bilder, die Beltracchi begeisterten Kennern quasi von der Staffelei weg verkaufte.

Helene und Wolfgang verdienten Millionen. Zahlreiche Zwischenhändler, Galerien, Sammler, Auktionshäuser verdienten allerdings weit mehr an der Fälschergeschichte als sie. 2010 flog der Betrug auf.

Helene und Wolfgang Beltracchi sassen eine 14-monatige Untersuchungshaft ab und wurden anschliessend sechs beziehungsweise vier Jahre zu offenem Vollzug verurteilt. Kurz nach der Haftentlassung zogen die beiden nach Meggen in die Schweiz. Hier lebt die grosse Mehrheit der Beltracchi-Sammler, darunter befinden sich einige sehr berühmte Sammlerfamilien.

«Der teuerste Maler Europas» lebt im Meggen

In Meggen, in einem ein­drück­lichen, vier Meter hohen Jugendstil-Tanzsaal eines ehemaligen Hotels arbeitet der Maler an seiner zweiten Karriere, nun unter eigenem Namen. Damit hat er inzwischen weit mehr Erfolg als je zuvor. Nach eigenen Angaben werden die Bilder bereits gekauft, wenn sie noch nicht einmal existieren. Beltracchi bezeichnet sich selbst als «teuersten Maler Europas» und sagt von sich, dass er beim Malen 150 verschiedene, jede beliebige Handschrift imitieren könne.

Sein neuster Coup wird von der Kunstwelt mit Argusaugen beobachtet: Wolfgang Beltracchi stellt digitale Kunstwerke her. Er interpretiert das da Vinci zugeschriebene Bild «Salvator Mundi» in Handschriften von Picasso, van Gogh oder Dalí, und er malt es in Pop Art oder Kubismus.

4608 Originale sollen so entstehen. Sind die Werke fertig, will Beltracchi sie online versteigern. Der Clou, der ein Licht wirft auf die Motive des Käufers: Die Bieter bieten quasi blind mit. Welches Bild er erwerben wird, entscheidet schliesslich das Los.