
Jean-Pierre Gallati nach seiner Corona-Erkrankung: «Ich fühle mich nicht schuldig an möglichen Infektionen am Parteitag»
Sie wurden vor einer Woche positiv auf Corona getestet – wie geht es Ihnen heute?
Jean-Pierre Gallati: Mir geht es gut, ich habe keine Symptome mehr und werde am Montagmorgen zusammen mit Landammann Stephan Attiger das Impfzentrum im Kantonsspital Aarau besuchen und die Impfwoche im Kanton eröffnen.
Müssen Sie einen negativen Test abliefern, oder wie sind die Regeln, damit Sie als doppelt Geimpfter, der an Corona erkrankte, wieder aus der Isolation entlassen werden?
Ich muss während zehn Tagen seit Symptombeginn isoliert und zuletzt zwei Tage in Folge symptomfrei sein, dann kann ich die Isolation beenden. Und ich fühle mich kerngesund, mir geht es gut, der Verlauf ist ausgesprochen mild.
Wir führen dieses Interview per Teams, ich sehe gerade, dass Sie ein Glas Tee trinken…
Nein, das ist kein Tee, das ist Schweppes Ginger Ale. Heute Morgen habe ich tatsächlich einen Tee getrunken, aber ich fühle mich überhaupt nicht krank und kann auch normal arbeiten.
Sie haben am Mittwoch also von zu Hause aus an der Regierungssitzung teilgenommen, ihre Kollegen sassen alle im Sitzungszimmer. Besteht da nicht die Gefahr, dass man als digital zugeschalteter Regierungsrat nicht zu Wort kommt?
Nein, absolut nicht, ich hatte sogar das Gefühl, dass ich eher besser berücksichtigt wurde, als bei Regierungsratssitzungen, wo ich physisch vor Ort war (lacht). Nein, im Ernst: Es war nicht anders für mich, als wenn ich nicht positiv gewesen wäre, wir hatten unsere Klausursitzung und ich konnte mich wie gewohnt einbringen.
Als letzten Montag bekannt wurde, dass Sie positiv auf Corona getestet worden sind, gab es in den sozialen Medien auch hämische Kommentare. Es geschehe dem Gallati recht, dass es ihn treffe – wie reagieren Sie auf solche Posts?
Ich habe keine negativen Kommentare in den sozialen Medien gesehen, sondern in den letzten Tagen eher das Gegenteil erlebt: Unzählige Leute haben mir gute Besserung gewünscht, sich nach meinem Befinden erkundigt oder mir Hausmittel und Heilmittel empfohlen, damit die Erkältungssymptome möglichst rasch verschwinden. Viele machen sich offenbar Sorgen um meine Gesundheit und wollen mir helfen, dabei geht es mir wirklich gut und ich fühle mich absolut fit.
Es gibt aber auch Impfskeptiker und Zertifikatsgegner, die Ihren Fall als Beweis sehen, dass die Impfung nichts tauge.
Da muss ich widersprechen: Es gibt markante Unterschiede zwischen einem Verlauf bei Geimpften und Ungeimpften. Bis im Frühling 2022 wird die ganze Bevölkerung in Kontakt kommen mit dem Coronavirus, auch einige Geimpfte werden sich anstecken. Es gab nie ein Versprechen und es war auch keine Anforderung, dass die Impfung eine Ansteckung vollständig verhindert. Aber wenn man geimpft ist und sich dennoch ansteckt, verläuft Covid-19 sehr viel milder, als wenn man nicht geimpft ist. Dies konnten wir während der vierten Welle in den aargauischen Spitälern gut beobachten.

Der bekannte deutsche Virologe Christian Drosten sagte, für ihn als doppelt geimpften, jungen, gesunden Menschen wäre eine Corona-Infektion ein natürlicher Booster. Sie würde zu einer lang anhaltenden, starken Immunität führen – ist es am Ende sogar gut, wenn sich Geimpfte wie Sie doch anstecken?
Es wäre aus meiner Sicht erfreulich, wenn die Meinung von Professor Drosten zutreffen würde. Ich selber habe nur leichte Erkältungssymptome, wenn mein Immunschutz gegen Corona durch die Infektion noch stärker würde, wäre das schön. Ob das so ist, kann ich nicht beantworten, weil ich kein Virologe bin. Da müssten Sie Dr. Fux vom Kantonsspital Aarau oder Dr. Friedl vom Kantonsspital Baden fragen.
Sie haben vorher die Impfwoche angesprochen. Sie als Gesundheitsdirektor sind praktisch der Aargauer Botschafter der Impfoffensive. Können Sie diese Rolle noch glaubwürdig wahrnehmen nach ihrer Coronainfektion, die ja ein Impfdurchbruch war?
Ob ich glaubwürdig auftrete, muss die Bevölkerung entscheiden, aber Tatsache ist: Die Impfung senkt das Ansteckungsrisiko und das Risiko schwerer Verläufe massiv, und sie reduziert auch die Gefahr, dass eine infizierte Person das Virus weitergibt an andere Menschen. Und es gehört zu meinen Aufgaben als Gesundheitsdirektor, diese Rolle als Botschafter in der Impfwoche im Aargau einzunehmen.
Vom aktuellen Regierungsrat hatten jetzt schon Sie, Stephan Attiger und Markus Dieth Corona, auch der ehemalige Regierungsrat Urs Hofmann hatte eine Covid- Erkrankung. Kann man in einem Amt, das so viele Kontakte mit sich bringt, eine Infektion gar nicht verhindern – trotz der Impfung?
Das kann man so nicht sagen. Bei meinen drei Kollegen fand die Infektion ja statt, bevor es die Impfung gab. Aber dass wir viele öffentliche Auftritte haben und mit zahlreichen Menschen in Kontakt kommen, erhöht sicher die Wahrscheinlichkeit, sich anzustecken. Auch bei 3G-Anlässen, oder bei 2G-Veranstaltungen, wie kürzlich bei einem Anlass im Kantonsspital Aarau: Es gibt keine 100-prozentige Sicherheit. Aber der Einsatz des Zertifikats bietet einen guten Schutz gegen Infektionen.
Müsste man mit dieser Erkenntnis nicht viel vorsichtiger sein? Also als Regierungsrat eine FFP2-Maske tragen, oder noch konsequenter: Gar keine Anlässe mit mehreren hundert Leuten besuchen?
Wir fünf Regierungsräte im Aargau sind gerne unterwegs und im Kontakt mit der Aargauer Bevölkerung. Es ist nicht mein Verständnis von diesem Amt, sich den ganzen Tag lang in Aarau im Büro einzuschliessen. Das sehen auch meine Kollegen so, man darf nicht aus Angst vor einem Virus in eine Bunker-Mentalität verfallen. Wir sind alle geimpft, wir halten die Bestimmungen des Bundesamtes für Gesundheit und der Veranstalter ein – wenn es eng wird in einem Raum, tragen wir auch eine Maske.
Dabei wäre das gar nicht vorgeschrieben bei Zertifikatsanlässen…
Ja, das stimmt, aber trotzdem haben zum Beispiel kürzlich bei einem Anlass am Kantonsspital Baden, wo gegen 200 Leute in einem Hörsaal sassen, alle Masken getragen. Das ist vergleichbar mit einem Kino, dort gilt dank des Zertifikats keine Maskenpflicht. Aber bei jenem Anlass am KSB war es sinnvoll, weil man relativ eng beieinander sass.
Nach dem SVP-Parteitag am 27. Oktober in Lupfig erhielt Nationalrätin Martina Bircher, die links neben Ihnen sass, eine Infektionswarnung von der Covid-App. Fraktionschefin Désirée Stutz, die rechts neben Ihnen sass, wurde vor einer Woche positiv getestet. Zuletzt wurden auch Grossrätin Nicole Müller-Boder und ihr Partner positiv getestet – fühlen Sie sich schuldig?
Nein, auf keinen Fall. Dass bei Frau Bircher die App angeschlagen hat, zeigt mir, dass das System funktioniert und Personen, die engen Kontakt mit positiv Getesteten hatten, korrekt gewarnt werden. Bei Frau Stutz ist es so, dass sie schon drei Tage nach dem Parteitag erste Symptome hatte. Covid-19 hat aber eine mittlere Inkubationszeit von fünf bis acht Tagen, deshalb ist es praktisch ausgeschlossen, dass sie sich bei mir angesteckt hat. Frau Müller-Boder und ihr Partner hielten sich während des ganzen Parteitags zu keinem Zeitpunkt in meiner Nähe auf, weshalb eine Ansteckung durch mich unmöglich war. Und es ist klar: Eine absolute Sicherheit gibt es nicht, weder für Geimpfte noch für Genesene noch für Getestete.
Sie haben sich am SVP-Parteitag für ein Ja zum Covid-Gesetz stark gemacht und gewonnen – engagieren Sie sich noch weiter im Abstimmungskampf?
Der Regierungsrat hat eine Ja-Empfehlung für das Covid-Gesetz beschlossen. Das bedeutet für mich, dass ich als Mitglied der Kantonsregierung und auch als Gesundheitsdirektor sachlich informiere. Ich dränge mich aber nicht auf und werde nicht den Wanderprediger spielen, der überall für ein Ja am 28. November wirbt. Das war auch bei der SVP nicht der Fall, die Konfrontation mit dem eigenen Parteipräsidenten habe ich nicht gesucht. Aber ich vertrete meine Position und die des Regierungsrats, wenn ich angefragt werde.
Wie optimistisch sind Sie, dass es bei der Abstimmung am 28. November ein Ja zum Covid-Gesetz gibt? Die Umfragen deuten zwar darauf hin, aber an den Strassen sind fast nur Nein-Plakate zu sehen…
Offenbar sind die Gegner des Gesetzes finanziell stärker aufgestellt und darum präsenter mit ihren Plakaten und Flyern im Abstimmungskampf. Aber in der Schweiz ist es zum Glück meistens so, dass nicht diejenige Seite gewinnt, die mehr Geld zur Verfügung hat, sondern dass sich die besseren Argumente durchsetzen. Ich bin zuversichtlich, dass es ein Ja zum Covid-Gesetz gibt. Zu Umfragen äussere ich mich grundsätzlich nicht.
Wie gross ist Ihre Hoffnung, dass die Impfquote im Aargau mit der Impfwoche noch deutlich gesteigert werden kann?
Während der eigentlichen Impfwoche wird die Impfquote nicht markant ansteigen. Aber ich finde es richtig, dass der Bundesrat versucht, nochmals einen Anstoss zur Impfung zu geben. Mit einem Anteil von rund 69 Prozent vollständig Geimpften an der Gesamtbevölkerung liegen wir hinter dem notwendigen Wert zurück. Wir wollen alle Möglichkeiten ausschöpfen, um die Impfquote zu steigern – ohne einen Impfzwang einzuführen, aber das will auch niemand.https://datawrapper.dwcdn.net/5NOAH/3/
Derzeit wird wegen steigender Fallzahlen über 2G statt 3G diskutiert. Die Gegner sagen, das wäre dann praktisch ein Impfzwang, wenn nur noch Geimpfte und Genesene zu gewissen Anlässen und Orten zugelassen würden – wie stehen Sie dazu?
Bisher sind wir im Regierungsrat der Ansicht, dass man auch Tests als Grundlage für ein Zertifikat zulassen soll. Dass derzeit die Einführung von 2G diskutiert wird, ist richtig, aber das ist keine Idee des Kantons Aargau oder ein Ziel, das wir aktiv verfolgen würden. Wenn die Zahlen aber weiter steigen, sich eine fünfte Welle entwickelt und die Situation sich dramatisch zuspitzt, würde sich der Bundesrat die Frage von 2G natürlich stellen.
Tendenziell ist der Aargau eher etwas strikter als der Bundesrat, wenn es um die Coronamassnahmen geht. Der Regierungsrat ist zum Beispiel dagegen, dass man mit einem Antikörper-Test ein Zertifikat erhält. Ist Ihnen dieser Test zu unsicher?
Antikörper-Tests sind dem Regierungsrat oder mir nicht zu unsicher. Es ist vielmehr wissenschaftlich erwiesen, dass diese Methode zu unsicher ist. Wir argumentieren mit Erkenntnissen aus Österreich und Resultaten von Studien, da geht es nicht um unsere eigene Einschätzung. Wenn sich zeigen sollte, dass es zuverlässige Antikörpertests gibt, werden wir diese unterstützen. Aber nach dem aktuellen Kenntnisstand sind wir dagegen, mit einem solchen Test ein Zertifikat zu vergeben.