
Jeder darf jetzt schalten – Aargauer Verkehrspolitiker und Fahrlehrer befürchten mehr Unfälle
Am Samstag ist eine Neuerung im Strassenverkehrsrecht in Kraft getreten: Für Neulenker gilt nun der Verzicht auf Automateneintrag. Konkret: Auch wenn ein Neulenker die Fahrprüfung mit einem Fahrzeug mit Automatikgetriebe ablegt, darf er ab jetzt auch Autos mit Schaltgetriebe fahren — im Führerausweis wird keine entsprechende Beschränkung mehr eingetragen. Fahrer, die einen Führerausweis mit Beschränkung besitzen, können den Eintrag beim zuständigen Strassenverkehrsamt entfernen lassen, sofern keine gesundheitlichen Probleme vorliegen, die aufs Fahren mit Schaltgetriebe einen Einfluss haben könnten. Im September 2017 hat sich der Aargauer Regierungsrat in seiner Antwort auf die Vernehmlassung des Bundes gegen den Vorschlag ausgesprochen. Umgesetzt wurde er trotzdem.
«Die Frage ist meines Erachtens nicht, ob es mehr Verkehrsunfälle geben wird, sondern nur, wie viele es sein werden», sagt Roger Wintsch, Präsident des Aargauer Fahrlehrerverbands. Vom Entscheid des Bundes hält er nichts. «Diese Massnahme wurde der Öffentlichkeit unter dem Deckmantel ‹Verkehrssicherheit› verkauft. Doch wie genau erhöht sich die Verkehrssicherheit, wenn ungeübte Fahrzeuglenker mit einem geschalteten Fahrzeug unterwegs sind?», fragt der Fahrlehrer.
Und er rechnet vor: «Gehen wir von schweizweit 40’000 Lernfahrern pro Jahr aus. Wenn 40 Prozent davon die Prüfung auf Automat machen, anschliessend geschaltete Autos fahren und nur 2,5 Prozent von diesen Neulenkern einen Unfall verursachen, dann sind das 400 Unfälle mehr pro Jahr.» Roger Wintsch fragt sich: «Wer trägt die Verantwortung für diese Unfälle?» Er sei überzeugt davon, dass die neue Regelung nicht mit Alt-Bundesrat Moritz Leuenbergers «Vision Zero» übereinstimme, sagt der Fahrlehrer.
TCS-Präsident gegen Regel
Thierry Burkart, Präsident der Aargauer Sektion des TCS, ist von der neuen Verkehrsregel ebenfalls nicht überzeugt, er teile die Sicherheitsbedenken von Experten: «Ich war immer gegen die Abschaffung des Automateintrags im Führerausweis», sagt Burkart, denn dieser habe sich bewährt.
Der Verkehrspolitiker fährt selber Autos mit Automatikgetriebe, er sei aber lange geschaltet unterwegs gewesen, sagt er. «Wer noch nie ein handgeschaltetes Auto gefahren ist, wird damit vermutlich nicht weit kommen. Ich sehe vor allem im Bereich des Anfahrens Probleme», erklärt Burkart. Er empfehle deshalb all jenen Personen, die trotz mangelnder Fahrpraxis geschaltete Fahrzeugen steuern wollen, ein paar Fahrstunden zu nehmen, um das Fahren mit einem handgeschalteten Auto zu üben.
Vom TCS werden diverse Kurse und Fahrtrainings für sicheres Fahren in verschiedensten Situationen angeboten — etwa Schnee- und Eiskurse, Fahrtrainings für Fahrzeuge mit Anhängern, für Oldtimer oder Lieferwagen. Für Automatenfahrer, die auf geschaltete Getriebe umsteigen wollen, gibt es derzeit zwar noch kein spezielles Fahrtraining beim TCS. «Aber das werden wir angesichts der neuen Regelung sicher ins Auge fassen», stellt Burkart in Aussicht.
Die Erfahrung fehlt
Dass das Fahren eines geschalteten Autos erst unter Aufsicht geübt werden soll, empfiehlt auch die Beratungsstelle für Unfallverhütung (BFU). «Die BFU erachtet es als wichtig, dass die Fertigkeit der Handschaltung zunächst unter geschützten Bedingungen geübt wird. Wir hätten uns gewünscht, dass der Nachweis der Beherrschung weiterhin im Rahmen der praktischen Prüfung zu erbringen ist, bevor selbstständig ein handgeschaltetes Fahrzeug gelenkt werden darf», sagt Mediensprecher Marc Kipfer. Denn beim manuellen Gangwechsel handle es sich um eine motorische Fertigkeit, die nicht einfach oder in kurzer Zeit erlernbar sei und die bis zur vollständigen Verinnerlichung Aufmerksamkeit erfordere, wodurch andere Aspekte der Fahraufgabe beeinträchtigt sein könnten.
Die routinierte Beherrschung des manuellen Gangwechsels stelle somit eine Grundbedingung der sicheren Teilnahme am Strassenverkehr dar. Schalt-unerfahrene Lenker, die nur Automatik-Fahrzeuge gewohnt sind, bringen diese Voraussetzung nicht mit, erklärt Kipfer. «Wir befürchten also, dass die Abschaffung des Automateneintrags das Unfallrisiko erhöhen und somit der Verkehrssicherheit nicht dienen wird.»
Kaum Fälle bekannt
Bei der Kantonspolizei Aargau gab es bisher nur wenige Fälle, in denen sich Fahrer nicht an den Automateneintrag gehalten haben. «Automatenfahrer, die trotz Beschränkung im Führerschein geschaltet fuhren, gab es äusserst selten. Das waren definitiv Ausnahmefälle», sagt Roland Pfister, Mediensprecher der Kantonspolizei.
Viel öfter gebe es Fälle, in denen gegen andere Einträge im Führerschein verstossen werde: «Beispielsweise Fahrer, die eine Brille oder Linsen tragen müssen oder früher, als Neulenker noch mit nur 0,0 Promille fahren durften», erzählt Pfister.