
Kein ruhiger Land in dieser Zeit
Stellen Sie sich vor, es sei Nationalfeiertag und Sie merken es gar nicht. So ging es mir gestern. Drei Stunden harrte ich in der Schaukel auf der Terrasse in beinahe gespenstischer Stille und erstaunlicher Dunkelheit aus.
Wir Schweizer sind ja ein eigenartiges Volk. Auf einmal macht es den Anschein, als ob nie jemand Feuerwerk gemocht hätte. Plötzlich denkt die Schweiz nur noch an die armen Haustiere, die so wahnsinnig gelitten haben unter der Knallerei. Die Frage ist nur: Wer hat die mehr als 2000 Tonnen Feuerwerkskörper (übrigens doppelt so viel wie noch vor zwanzig Jahren), die letztes Jahr über die Ladentische gingen, gekauft? Ausschliesslich sadistische Tierhasser? Oder doch auch viele Menschen, die sich heuer in den sozialen Medien kollektiv über das generelle Feuerwerksverbot freuen und sich «immer schon» über die «sinnlose Knallerei» genervt haben?
In Brittnau ging gestern Abend jedenfalls nur ein einziges Raketchen in die Luft und löste sich mit einem putzigen, kleinen Knall in Wohlgefallen auf. Das war alles. Sternschnuppen hingegen sah ich immerhin zwei. Es herrschte eine Stille im Quartier und sogar auf der nahen A2, die an einem gewöhnlichen Mittwoch bei solchem Wetter undenkbar ist. Zog etwa eine bewaffnete Bürgerwehr militanter Tierfreundinnen durch Brittnau, die mit äusserster Härte die Einhaltung des Feuerwerksverbotes sicherstellte?
Scherz beiseite. Schuld an der Grabesruhe war natürlich nicht nur das Feuerwerksverbot, sondern eine weitere Schweizer Eigenart, die man Menschen aus dem Ausland kaum erklären kann, ohne dass sich diese ernsthaft Sorgen um unseren geistigen Zustand machen: Ja, die grosse Mehrheit der Schweizer feiert mittlerweile den Nationalfeiertag einen Tag zu früh. Weil: wir müssen ja am 2. August wieder arbeiten, nicht wahr? Und da wir am 1. August ausschlafen können, feiern wir eben am 31. Juli. Der Durchschnittsschweizer ist bekanntlich ein rein rational operierender Mensch. Es grenzt ja beinahe an ein Wunder, dass das Schweizer Stimmvolk im September 1993 die Volksinitiative «für einen arbeitsfreien Bundesfeiertag» überhaupt angenommen hat (solche Initiativen scheitern in der reichen Schweiz ja meist an einem einzigen Killer-Argument: Und wer soll das bezahlen?). Das war der Anfang vom Ende: Seither fällt der Nationalfeiertag inoffiziell auf den 31. Juli.
So sehr ich auch verstehe, weshalb sich die Mehrheit der Schweizer so verhält: Ein Nationalfeiertag hat ein Datum. Und feiern tut man ihn an diesem Datum oder überhaupt nicht. Darum mein Vorschlag: Da unsere europäischen Nachbarn uns so oder so für etwas schräg halten, sollten wir mal ein wenig Selbstbewusstsein beweisen und Nägel mit Köpfen machen. Wir wären bestimmt die erste Nation der Welt, die den Tag nach dem Nationalfeiertag zum arbeitsfreien Tag erklärt. Na und? Jetzt sind wir ja auch die einzigen, die den Nationalfeiertag zu früh feiern.