Knatsch mit den Medien: Wie der Bundesrat die Pandemie ausnutzt

Medienkonferenzen des Bundesrats zur Pandemie waren Quotenhits. 477’000 Menschen sahen sich auf Youtube etwa den Auftritt vom 16. März 2020 live an, als vier Bundesräte die ausserordentliche Lage verkündeten. Das ist – tagsüber – selbst für SRF ein ungewöhnlich hoher Wert. 65 Mal informierte die Regierung, 80 Mal waren es Fachpersonen.

Was weniger bekannt ist: Diese Medienkonferenzen finden unter einem strikten Regime statt. Zugang haben nur jene 158 Medienschaffenden, die über eine sogenannte C-Akkreditierung verfügen: Sie müssen hauptberuflich zu mindestens 60 Prozent über das Geschehen im Bundeshaus berichten. Wissenschaftsjournalisten haben keinen Zugang, obwohl sie sich intensiv mit der Pandemie beschäftigen.

Verboten sind Gespräche im Foyer und Interviews

Doch selbst die 158 Medienschaffenden sind eingeschränkt: Pro Medienhaus und Kanal kann nur einer teilnehmen, weil aus epidemiologischen Gründen nur 38 von 95 Sitzplätzen belegt werden dürfen. Alle Fragen müssen im Saal gestellt werden. Es ist verboten, Bundesräte oder Fachpersonen in Nachgang einer Pressekonferenz im Foyer oder in den Gängen des Medienzentrums anzusprechen.

Verboten sind damit auch die Pool-Interviews von Radio und Fernsehen mit den Bundesräten, wie sie vor der Pandemie üblich waren. Das Regierungsmitglied gab nach der Medienkonferenz Kurzinterviews für alle privaten Sender und für SRF, RTS und RSI. Sie waren wichtig, um die zum Teil komplexen Inhalte verständlich in die Öffentlichkeit zu tragen.

Gute alte Medienzeiten: Doris Leuthard stellt sich den Medien nach einer Pressekonferenz den sogenannten Pool-Interviews. Hier sind alle deutschsprachigen Privatsender versammelt.

Gute alte Medienzeiten: Doris Leuthard stellt sich den Medien nach einer Pressekonferenz den sogenannten Pool-Interviews. Hier sind alle deutschsprachigen Privatsender versammelt.

Keystone (Bern, 21. Juni 2018)

Diese Interviews in den drei Landessprachen – eine weltweite Einzigartigkeit – wird es nach der Pandemie nicht mehr geben. Die Bundesräte entschieden sich in einer Sitzung dagegen, die Pool-Interviews wieder einzuführen. Alle sieben – und im Wissen darum, dass der Entscheid Empörung auslösen wird bei den Medienschaffenden.

Hängen den Bundesräten die Interviews zum Hals raus?

Doch weshalb kam es zu diesem Schnitt? Wahrscheinlich ist, dass den Bundesräten die Interviews schlicht und einfach zum Hals heraushingen. Viele Medienschaffende sehen auch die zunehmende Abschottung von Bundesräten und Verwaltung als Grund. «Aus meiner Sicht haben Bundesräte eine Verpflichtung, Rede und Antwort zu stehen», sagt Sermîn Faki, Politikchefin der «Blick»-Gruppe. «Sie sollten sich davor nicht drücken.»

Die Bundeskanzlei bestätigt die Recherchen. «Während der Pandemie hat der Bundesrat die Länge der Medienkonferenzen ausgedehnt, um möglichst alle Fragen beantworten zu können», sagt Ursula Eggenberger, Leiterin Medien der Bundeskanzlei. «Der Bundesrat hat nun beschlossen, an dieser Regelung festzuhalten, auch nach der Pandemie.» Den Zuschauerinnen und Zuschauern solle so die Gelegenheit gegeben werden, den Fragen der Medien ebenfalls zu folgen.

Neues Medienregime: Alle Fragen müssen im Plenum gestellt werden, die Bundesräte stehen nicht mehr für Pool-Interviews zur Verfügung.

Neues Medienregime: Alle Fragen müssen im Plenum gestellt werden, die Bundesräte stehen nicht mehr für Pool-Interviews zur Verfügung.

Keystone (Bern, Bern, 1. Oktober 2021)

Offiziell wird der Schritt mit dem Wunsch nach möglichst hoher öffentlicher Transparenz der Medienkonferenzen begründet. Alle Fragen müssen da gestellt werden. Noch nie haben sich so viele Menschen über eine so lange Zeit live und aus erster Hand an Medienkonferenzen informiert – mit Bundesräten oder mit Fachpersonal. Das soll beibehalten werden. Auch die dicht befrachtete Agenda der Bundesräte spielt eine Rolle.

Inoffiziell bestätigt sich mit dem Schritt, was Medienschaffende seit geraumer Zeit befürchtet haben: Der Bundesrat nutzt die Pandemie, um die Pool-Interviews gleich ganz abzuschaffen. Die Medien hätten jederzeit die Möglichkeit, ihr Interesse für ein bilaterales Interview bei den entsprechenden Departementen zu deponieren, sagt Eggenberger. Es liege aber natürlich im Ermessen der Regierungsmitglieder, wem sie Interviews gäben.

Es gab seit 2018 Diskussionen um die Pool-Interviews

Die Bundeskanzlei will die restlichen Beschränkungen, die sie wegen der Pandemie machte, aufheben. Möglich wird dies, weil sie für den Medienkonferenzsaal eine Zertifikatspflicht einführt. Das bestätigt Eggenberger. Ob auch der Zugang zum Medienzentrum nur noch mit Zertifikat möglich sein soll, wird zurzeit abgeklärt. Klar ist, dass die Maskenpflicht an den Pressekonferenzen weiterhin gilt.

Das Politikum ist aber die Abschaffung der Pool-Interviews. Seit 2018 gab es Diskussionen zwischen der Vereinigung der Bundeshausjournalisten (VBJ) und der Bundeskanzlei über die Zukunft der Interviews. Die Medienlandschaft verändert sich rasant, immer mehr Medien sind auch audiovisuell tätig. Sie alle wollten diese Interviews ebenfalls. «Es hat sich deshalb die Frage gestellt, welche Medien in Zukunft in welcher Form Zugang haben sollen – und wie der Ablauf aussehen soll», sagt Eggenberger.

«Die Medienstellen schirmen die Fachleute ab»

Die VBJ habe seit 2018 Lösungsvorschläge in Aussicht gestellt. Die Vereinigung habe sich aber 2019 nach einer internen Konsultation nicht auf einen Ablauf einigen können. «Einigkeit besteht nur in einem Punkt: Die Medienkonferenzen des Bundesrats dürfen nicht gekürzt werden», sagt Eggenberger. «Und die Interviews im Anschluss sollen nach Möglichkeit verlängert werden.»

Das will die Regierung nicht. Fabian Renz, Leiter der Bundeshausredaktion von Tamedia, stellt eine generelle Abschottungstendenz fest. «Es wird immer schwieriger, Gespräche mit Fachstellen in der Bundesverwaltung zu führen», sagt er.

«Die Medienstellen schirmen die Fachleute ab. Das war schon vor Corona so. Die Pandemie hat diese Tendenz verstärkt.»

Fernsehspezialisten sehen einen weiteren Grund: Es gehe den Regierungsmitgliedern um die Kontrolle über ihre Interviews. Pool-Interviews sind überfallartige Interviews, auf die sich Bundesräte schlecht vorbereiten können. Auch haben sie keinerlei Kontrolle darüber, was ausgestrahlt wird. Geben sie hingegen gezielt einzelnen Medien Interviews, können sie die Rahmenbedingungen diktieren.

«Eine klare Einschränkung der Mediendemokratie»

Für Medienschaffende stellen sich demokratiepolitische Fragen. «Es wäre ein Problem, wenn die Bundesräte auch nach der Pandemie im Anschluss an Medienkonferenzen nicht mehr für Interviews zur Verfügung stünden», sagt Sermîn Faki. «Dort bieten sich seltene Gelegenheiten, Bundesräte ganz direkt zu befragen, auch zu anderen Themen als an der Medienkonferenz.»

Stefan Lanz, Videoreporter von «20 Minuten», geht noch weiter. «Dass diese Interviews in der Pandemie wegfielen, war eine klare Einschränkung der Mediendemokratie», sagt er. «Es ist zu befürchten, dass Bundesräte in Zukunft nach Medienkonferenzen nur noch dann Einzelinterviews gewähren wollen, wenn sie positive Nachrichten zu verkünden haben.» Das aber, sagt Lanz, «entspräche nicht meinem Verständnis von Medienfreiheit».

Die neue Regelung privilegiert die Sender der SRG

Die neue Regelung privilegiert die Sender der SRG. Diese verfügen über die mit Abstand höchste Reichweite und haben ihre Studios direkt im Medienzentrum. «Die Bundesräte kommunizieren seit der Pandemie einfach über die SRG», sagt Lanz von «20 Minuten». «Doch es gibt ja nicht nur die SRG, sondern auch Private.»

Für diese ist es deutlich schwieriger geworden, einen Interviewtermin mit einem Bundesrat zu bekommen. Matthias Steimer, Bundeshauschef von TeleZüri, ist ein Vertreter der Privatsender. «Wünschenswert ist ein Regime, das ressourceneffiziente Redaktionen gegenüber der SRG nicht benachteiligt», sagt er. TeleZüri stehe in einem «konstruktiven Dialog» mit den Departementen und hoffe, dass regelmässige Interviews ohne organisatorische Hürden wieder möglich würden. Für die Sendung «TalkTäglich» klappe es mit Bundesratsauftritten.

Der Vorteil liege ohne Pool-Interviews direkt und indirekt bei SRF, das viele Möglichkeiten habe für Interviews, sagt Matthias Bärlocher, Bundeshausredaktor von Nau. «Zwar können auch wir Bundesräte anfragen. Doch wir haben nicht dieselben Ressourcen wie SRF.»

Die Situation ist aber selbst für SRF nicht einfach. «Wir bekommen bei weitem nicht immer alle Bundesräte für Interviews», sagt Urs Leuthard, Leiter Bundeshausredaktion TV. Alain Berset und Guy Parmelin kämen oft. Doch Ueli Maurer habe SRF in der Pandemie nur gerade ein Interview gegeben.

Urs Leuthard, Leiter Bundeshausredaktion TV von SRF, im Gespräch mit Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga.

Urs Leuthard, Leiter Bundeshausredaktion TV von SRF, im Gespräch mit Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga.

Keystone (Bern, 29. Juli 2020)

Dass die Interviews nicht mehr stattfinden wie vor der Pandemie bedauert auch Leuthard. «Ein unkomplizierter Zugang zu den Bundesräten ist extrem wichtig», betont er. «Sonst wird der Informationsauftrag erschwert.» Und er betont: «Mir ist es wichtig, dass es gleich lange Spiesse gibt und die Privaten denselben Zugang zu Bundesräten haben wie wir von SRF.»

Und was sagt die Vereinigung der Bundeshausjournalisten? Die VBJ habe 2019 den Status-Quo der Pool-Interviews vorgeschlagen, sagt Präsidentin Eva Novak. «Wir wollen die Situation diskutieren mit der Bundeskanzlei und den Departementen.»