
Leon mit der Bären-Stimme: Mit seinem Outing bei DSDS will der Transsexuelle anderen Mut machen
Freitagabend, Bahnhof Aarau. Leon Marc Weber kommt mit dem Zug aus Baden, wo er im Marketingbereich arbeitet. Bevor er den Bus nach Hause ins solothurnische Erlinsbach nehmen kann, wartet noch ein Medientermin auf ihn. Einer der vielen diese Woche.
Leon ist ein gefragter Mann – am 6. Januar erst sahen die Fernsehzuschauer auf RTL, wie der 25-Jährige vor der Jury von «Deutschland sucht den Superstar» («DSDS») stand; darunter Poptitan Dieter Bohlen, dessen Urteil mitunter gefürchtet ist. Doch für Leons Interpretation des Songs «Amoi seg’ ma uns wieder» (Andreas Gabalier) fand der Altmeister nur lobende Worte. Auch von den drei anderen Jurymitgliedern gabs ein begeistertes «Ja» – Leon ist eine Runde weiter, im sogenannten Recall.
Damit ist er einer von nur rund 120 Musikern, die seit den Vor-Castings aus über 30’000 Bewerbern ausgewählt wurden. Wie es nun für ihn weitergeht, darf Leon nicht verraten – erst am 17. März (20.15 Uhr, RTL) erfahren die Fernsehzuschauer, ob er den Recall übersteht und mit DSDS verreisen darf. Zwischen der Aufzeichnung und der Ausstrahlung vergehen mehrere Wochen, in denen Leon absolutes Stillschweigen einhalten muss. «Ich bin sonst einer, der gerne erzählt, was in meinem Leben so passiert – nichts verraten zu dürfen, ist eine echte Prüfung für mich.»
Er antwortet jedem Fan
Leon ist in der Region Baden und in Oftringen aufgewachsen, wo er in der «Micasa» eine Detailhandelslehre absolvierte. Heute lebt er mit seiner Mutter im solothurnischen Erlinsbach: «Wir sind eine Art WG.» Beim Gespräch mit der AZ trinkt er einen Latte macchiato, doppelte Portion Zucker. Flüssige Energie.
«Die Woche war anstrengend, aber schön», sagt er. Kaum war sein Auftritt im TV vorbei, «hat es angefangen zu rattern». Auf sämtlichen Kanälen traf Fanpost ein. Von Bekannten, von Wildfremden. «Es hat mich erst etwas überfordert, aber ich habe allen zurückgeschrieben, das ist mir wichtig. Einige waren ganz erstaunt darüber.» Auch der Chef gratulierte: «Er sagte, ich hätte seine volle Unterstützung – das freut mich besonders, weil es nicht selbstverständlich ist.»
Und dann kamen zahlreiche Medienanfragen – gerade eben von einer Talkshow in Österreich. Dieses grosse Interesse an Leon hat damit zu tun, dass er einst Céline hiess. Zwar habe er schon früh gemerkt, dass mit ihm etwas nicht stimme, erzählt er. Aber was Transsexualität ist, erkannte er erst gegen Ende der Pubertät. Da fügten sich die Puzzleteile zusammen, die Transformation begann. Wichtig: der Namenswechsel. Leon Marc statt Céline. «Leon hiess der Anführer im Film ‹Die wilden Kerle›, mein Held. Und ich wollte unbedingt einen zweiten Namen, weil meine Geschwister einen haben, ich aber bis dahin nicht», sagt er und lacht.
«Eher Joe Cocker als eine Frau»
Heute sieht man Leon nicht an, dass er mal Céline war, selbst Dieter Bohlen befand: «Du hast eine Stimme wie ein Bär. Du bist eher Joe Cocker als eine Frau.» Es wäre also nicht unbedingt nötig gewesen, dass er sich im Fernsehen outet. «Aber ich wollte es lieber gleich am Anfang sagen, statt dass es später irgendwie rauskommt. Zumal ich mich bei DSDS noch mit der alten Identitätskarte angemeldet habe, auf der ich Céline war.» Ausserdem wolle er anderen jungen Menschen, die in einer ähnlichen Situation sind, Mut machen. Einige Rückmeldungen bestätigen, dass dies bereits gelungen ist. «Insgesamt habe ich fast ausschliesslich positive Nachrichten erhalten.»
Das Talent liegt in der Familie
Aber man würde Leon Unrecht tun, sähe man in ihm nur den Exoten und nicht den Musiker. Denn singen kann er zweifellos – er tut es ja auch täglich, seit ihn seine Mutter als Teenager zum Karaoke mitgenommen hat. «Das Talent kommt eindeutig aus seiner Familie, dort singen alle», erzählt er. Seine Tante hat vor bald 20 Jahren den «Kleinen Prix Walo» gewonnen, und auch seine Schwester räumt bei Singwettbewerben Preise ab.
Leon hatte es 2016 bei «Die grössten Schweizer Talente» versucht und gute Bewertungen erhalten, in die nächste Runde ist er damals aber nicht gekommen. Doch seither hat er sich gesanglich weiterentwickelt. Obwohl Leon, der auch Klavier spielt und gerne Gitarre lernen würde, keine Gesangsstunden nimmt. Er übt mittels einer App, über welche er sich mit Musikern auf der ganzen Welt verbinden kann. Sein Musikgeschmack sei sehr breit, sagt Leon, Pop stehe aber im Vordergrund. Gerne hört er aber auch ältere Stücke: «Einmal hatte ich eine kurze, aber intensive Elvis-Phase», erinnert sich der junge Mann lachend.
Beim Casting Frau kennengelernt
Eines seiner grössten Vorbilder ist der Brite Ed Sheeran. Und der ist nicht nur für seine Musik bekannt, sondern auch dafür, dass er mit seinem «Boy-next-door»-Image Frauenherzen zum Schmelzen bringt. Wie ist das, Leon, hast du seit deinem Auftritt Dating-Anfragen erhalten? «Ja, schon die eine oder andere», sagt er, und dann grinst er verschmitzt. «Es ist aber so, dass sich bei mir etwas geändert hat in letzter Zeit.» Beim Casting im November hat er eine junge Frau kennen gelernt. Das mit dem Single-Sein – das hat sich erledigt.
von Nadja Rohner — az Aargauer Zeitung