Linke feiert bei Kinderabzügen wuchtigen Sieg – und warnt: «Es gibt keine Steuerreform ohne die SP

Als die ersten Hochrechnungen kamen, konnten die SP-Politiker im Berner Kulturzentrum Progr ihr Glück kaum fassen. Es werde knapp, hatten Umfragen vorausgesagt. Und dann das: Das Stimmvolk lehnt die Erhöhung der Kinderabzüge deutlich ab, mit 63 Prozent Nein-Stimmen. Die Gegner der Vorlage, neben SP auch Grüne und GLP, hatten im Abstimmungskampf vor einer «Mogelpackung» gewarnt.

Sie erhielten damit weit über ihren Wähleranteil hinaus Unterstützung; ähnlich wie bei der Unternehmenssteuerreform III im Jahr 2017. Entsprechend gross war der Jubel bei der Linken. SP-Vizepräsident Beat Jans sprach von einem «historischen Resultat». Und er rief in den Saal: «Es gibt keine Steuerreform ohne uns Linke!»

Schlappe für die CVP

Philipp Kutter (CVP/ZH)

Philipp Kutter (CVP/ZH) © Matthias Scharrer / LTA

 

Eine herbe Niederlage ist das Resultat für die Bürgerlichen, insbesondere für die CVP: Sie hatte die Vorlage im Parlament entscheidend geprägt. Denn der Bundesrat wollte ursprünglich nur den Abzug für Drittbetreuungskosten bei den direkten Bundessteuern erhöhen.

CVP-Nationalrat Philipp Kutter brachte darauf per Einzelantrag die Forderung ein, auch den allgemeinen Kinderabzug anzuheben, um Familien unabhängig ihres Betreuungsmodells zu entlasten. Dadurch wären die Steuerausfälle um 370 Millionen auf insgesamt 380 Millionen Franken gestiegen. Im Parlament glückte dieser Coup; an der Urne jedoch nicht mehr. Kutter sprach gestern von einer verpassten Chance. Er sagte:

Die Befürworter hätten zwar die Fakten auf ihrer Seite gehabt, seien aber nicht durchgedrungen. CVP-Fraktionschefin Andrea Gmür-Schönenberger sagte: «Das polemische, falsche Argument der Linken, wonach nur die Reichsten entlastet würden, hat leider obsiegt.» Als Gründe für das Nein nannten CVP-Politiker auch das geringe Interesse an der Vorlage sowie das halbherzige Engagement der anderen bürgerlichen Parteien und des Bundesrats.

Fanal für künftige Projekte?

Ganz anders lautet die Analyse auf der linken Seite. SP-Nationalrätin Jacqueline Badran konstatierte: «Seit der Unternehmensteuerreform III haben die Bürgerlichen viel Glaubwürdigkeit in Sachen Steuerpolitik verloren.» Aus Sicht der SP ist die Ablehnung der höheren Kinderabzüge ein Fanal für die Zukunft. «Das Resultat zeigt, dass das Stimmvolk die bürgerliche Steuerpolitik nicht goutiert», sagte SP-Nationalrätin Prisca Birrer-Heimo. Und sie mahnt:

Nationalrätin Prisca Birrer-Heimo (SP/LU), Bastien Girod (Grüne/ZH) und Jacqueline Badran (SP/ZH) am Abstimmungssonntag.

Nationalrätin Prisca Birrer-Heimo (SP/LU), Bastien Girod (Grüne/ZH) und Jacqueline Badran (SP/ZH) am Abstimmungssonntag.

© Anthony Anex / KEYSTONE

Aus Sicht der Linken ist das Nein ein Warnschuss, unter anderem für die anstehende AHV-Reform, bei der die Bürgerlichen zusammenspannen wollen. Auch mit der «asozialen Klientel- und Abbaupolitik» sei nun Schluss, so die SP: Projekte wie die geplante Abschaffung von Stempelsteuer und Zolltarifen könnten die Bürgerlichen gleich begraben, twitterte SP-Präsident Christian Levrat.

Bürgerliche widersprechen

Die Luzerner CVP-Ständerätin Andrea Gmuer-Schönenberger.

Die Luzerner CVP-Ständerätin Andrea Gmuer-Schönenberger. © Alessandro Della Valle / KEYSTONE

Die Bürgerlichen sehen dafür indes keinen Anlass, den Kurs zu ändern. «Wir werden am bisherigen Weg festhalten», sagt Gmür-Schönenberger. Wegen der Coronakrise müsse man Prioritäten setzen, einen Kurswechsel aber brauche es nicht.

Auch FDP-Nationalrätin Daniela Schneeberger winkt ab: Es gebe keinen Zusammenhang zu dieser Vorlage. Zudem, so betont sie, sei die bürgerliche Steuer- und Finanzpolitik die Grundlage, dank der die Schweiz insgesamt finanziell so gut da stehe und den Leidtragenden der Coronakrise umfangreich geholfen werden könne. «Unsere sorgfältige Politik braucht es umso mehr in dieser schwierigen wirtschaftlichen Situation.»

Mit dem Nein ist die Erhöhung des allgemeinen Kinderabzugs vom Tisch. Der zweite, weniger umstrittene Teil der Vorlage, könnte hingegen wieder aufleben: Ein Vorstoss zur Erhöhung der Drittbetreuungskosten ist bereits eingereicht.