
Lisa Christ: Die Bühne ist ihr Wohnzimmer
«Das Gemälde Adam und Eva im Paradies» ist doppelt zynisch und damit auch doppelt aussagekräftig: Eva hat der Maler Lucas Cranach der Ältere nicht nur als Auslöserin der Erbsünde Gestalt verliehen. So gewunden ihre Figur Adam den Apfel reicht, so sehr gleicht sie selbst einer Schlange. Was sie selbstredend als Verursacherin des Sündenfalls insinuiert. «Da haben wir es: Die Frau, Eva, ist die Schuldige! Und das von Anfang an!» Mit erhobenem Zeigestock redet sich die gestrenge Lehrerin auf der Bühne in Rage. Je mehr ihr Nervenkostüm die Contenance verliert, desto krampfhafter versucht sie diese körperlich auf zunehmend wackligen High Heels zu wahren. Jedes Einknicken der Knöchel ist schmerzhaft als spitzer Kick in die Weichteile weiblicher Zuschreibungen fühlbar.
Hinter dem vordergründig lustigen Furor steckt präziser Ernst. «Ich brauche neue Schuhe», ruft die Kabarettistin Lisa Christ ins Publikum. Die High Heels wirft sie weit von sich. Muss sie sich diesen Hallux Valgus zumuten? Drückt der Schuh in Tat und Wahrheit nicht in den kollektiv verknöcherten Hirnwindungen? Nur ein Beispiel: Haben Frauen nicht bereits über Gebühr mit Beschränkungen zu kämpfen? Weshalb zum Beispiel muss sich die kluge Freundin zwischen einer Anwaltskarriere in New York und ihrer Mutterschaft entscheiden? Weshalb darf denn heute noch nicht beides möglich sein?
Oder auf den Punkt gebracht: «In der heutigen Zeit Feministin zu sein, heisst zu erkennen, dass zwischen meinem inneren Erleben und den äusseren Erscheinungen der Welt ein eklatantes Missverhältnis besteht!» Dieser Widerspruch weckt ihren Zorn. Sie wird ihn kommendem Samstag auch ihrem Publikum im Fabrikli zu Bottenwil entgegenwerfen. Mit viel Humor überzuckert selbstverständlich.
Präzis Widersprüchliches aus dem Wohnzimmer
Das Bühnenbild zu ihrem ersten abendfüllenden Programm «Ich brauche neue Schuhe» beherbergt eine Reproduktion des Cranach-Bildes auf Banderole, einen Schreibtisch, einen Stehtisch mit Wein und Schnaps sowie ein Sofa. Obwohl erst 30-jährig, fühlt sich die in Olten aufgewachsene Kabarettistin auf den Brettern, die die Welt bedeuten können, so heimisch wie im Wohnzimmer. Seit 14 Jahren, also fast ihr halbes Leben, steht sie schon auf der Bühne. Unzählige Poetry Slams mit einem Publikum, das gnadenlos krittelt bis euphorisch jubelt, haben sie geeicht. Sie hat nicht nur ein Gespür für das Publikum, sie kann es kitzeln, locken und lenken. Das gelingt ihr mit Witzworten und Wortwitz, mit Dynamik, Tempo und dramaturgischen Knalleffekten. Zugleich zieht sie alle schauspielerischen Register: Zwischen dem, was sie sagt, dem, wie sie es in Sprachmodulation und Tonfall sagt und ihrer Mimik und Gestik öffnen sich ironische bis manchmal sarkastische Gräben. Aber nicht der Verharmlosung wegen, sondern um Widersprüchlichkeit und Ambivalenzen nur noch präziser zum Ausdruck zu bringen. Das komme einfach aus ihr heraus, erklärt sie, das sei nicht vor dem Spiegel einstudiert. «Meine Faxen stören mich nicht, ich muss mir ja dabei nicht selber zusehen», sagt Lisa Christ im Bewusstsein, dass sie nur dann etwas zu verlieren hat, wenn sie sich verstellt.
Angriffig ohne Rücksicht auf sich selbst
«Wichtig ist, dass ich in diesen Rollen voll und ganz drinstehe», ergänzt sie. Entsprechend präsentiert sie sich schamlos ungeschönt. Gekünstelte Fassaden bieten ihr willkommene Angriffsflächen: «Wir leben in einer Welt, in der sich Millionen Frauen gegenseitig beim Schminken zusehen. Und das, nur damit alle gleich aussehen, mit ihren hohen Wangenknochen, Schlauchbootlippen und gepimpten Wimpern!»
Ein Knallbonbon ums andere gönnt sie ihrem Publikum. Den Fitnesswahn knockt sie mit einer flamboyanten Lobrede aufs Fläzen – wer hat sich denn schon je auf dem Sofa eine Zerrung geholt? – aus. Die Druckentlastung vom Fitness- und Gesundheitsdiktat lässt einen nur zu gerne herzhaft lachen. Gegen positiven Stress – aber hallo – bringt sie lustvoll-lustige Rezepte in Anschlag. Ihr fein ausgearbeitetes Plädoyer «Stay Soft», das von den Härten befreit, die wir eingebläut bekommen, funktioniert sprachlich wie auch als dramaturgische Kostbarkeit zugleich. Ihre träfen Worte gegen männliche Übergriffe haben Potenzial, Beschämung auszulösen. Ihre Reflexionen darüber, was es heisst, sich erwachsen zu fühlen, stimmen nachdenklich. Manches Müsterchen an Situationskomik ist zum Brüllen. So versucht eine Freundin der Kinderlosen ihre Schwangerschaft so schonungsvoll wie möglich beizubringen, was sie zu besonders echt empfundener Freude zwingt.
Enthält der erste Programmteil derart viel dramatische Dringlichkeit, dass sie wiederholt auf dem Sofa zu Enyas Musik durchatmen muss, eilt der zweite Teil rasend dahin. Als Zugabe gelingt ihr noch etwas Herzerwärmendes zu Covid. Auch das eine Kunst. Die man und frau sich am besten live gönnt.
Lisa Christ, «Ich brauche neue Schuhe», Samstag 16. Oktober um 20 Uhr (Türöffnung 19:30 Uhr) im Fabrikli Bottenwil. Informationen: www.fabrikli.ch