
Literaturtage Zofingen: «Autoren wollen Kritik des Aufbruchs mit uns teilen»
DREI TAGE LITERATUR
Eröffnung mit Poetry Slam
Die Eröffnungsfeier der Literaturtage Zofingen findet diesen Freitag, 19. Oktober um 18 Uhr mit Apéro um 19.30 Uhr im Rathaus Zofingen statt. Der Eintritt ist frei. Im Anschluss messen sich um 21.30 Uhr vier junge Deutschschweizer Autorinnen und Autoren in einem Poetry Slam im Ochsen. Für weitere Infos zum Programm vom Samstag, 20. Oktober und Sonntag, 21. Oktober siehe www.literaturtagezofingen.ch. Programmflyer und Programmhefte sind in der Buchhandlung Mattmann erhältlich.
Georgisch sei nicht erlernbar, heisst es. Haben Sie trotzdem ein paar Brocken in Ihr Repertoire aufnehmen können?
Markus Kirchhofer: Mein Repertoire beschränkt sich auf «gamardshobat» (grüsse Sie/euch), «gamardshoba» (grüsse dich) und «madloba» (danke). Glücklicherweise sprechen die Georgierinnen und Georgier, mit denen ich für die Literaturtage zu tun habe, gut Englisch oder Deutsch. Seit der Unabhängigkeit 1991 sind viele Georgier und Georgierinnen nach Europa gekommen. In Deutschland leben einige Tausend, in der Schweiz einige Hundert. Nino Haratischwili, die bekannteste georgische Autorin, lebt in Hamburg und hat ihren neuesten Roman «Die Katze und der General» auf Deutsch verfasst.
Sie haben Georgien in diesem Frühling besucht. Was ist Ihnen von dieser Reise besonders in Erinnerung geblieben?
Mit nicht einmal halb so vielen Einwohnern wie die Schweiz hat Georgien mit Tiflis eine richtige Metropole. Dort hat mich eine wunderbare Ikonensammlung und das stilvolle «Haus der Schriftsteller» beeindruckt. In bester Erinnerung ist mir der majestätische Anblick des Kasbek, eines mehr als 5000 Meter hohen Berges, an den nach der griechischen Sage Prometheus gekettet wurde. In Batumi, am Schwarzen Meer, waren meine Frau und ich auf einem «Alphabetic Tower» mit den 33 Buchstaben des georgischen Alphabets. Überall sind wir offenen, kommunikativen, humorvollen Menschen begegnet.
Was hat Sie überrascht?
Nach einem Nachtessen in Tiflis ging das Servicepersonal von Tisch zu Tisch und sang im Chor für seine Gäste. Irritierend fand ich hingegen, dass der Sowjet-Diktator Stalin, der als Iosseb Dschugaschwili in Georgien aufwuchs, bei etlichen seiner Landsleute noch so beliebt ist.
Worin liegt die Motivation georgischer Literaturschaffender, bei uns zu lesen?
Das geografisch in Asien liegende Georgien sehnt sich nach Europa. Überall hängen Europafahnen. Die Frankfurter Buchmesse und in ihrem Windschatten die Literaturtage Zofingen sind für georgische Autorinnen und Autoren eine einzigartige Gelegenheit, sich im deutschen Sprachraum zu präsentieren. Viele ihrer Publikationen beschäftigen sich mit den Wunden der jüngeren georgischen Geschichte und kritisieren direkt oder indirekt die heutigen Autoritäten in Kirche und Staat. Diese Kritik des Aufbruchs aus einer dogmatischen und doktrinären Vergangenheit möchten sie mit uns teilen.
Sie haben in diesem Jahr lauter Doppellesungen im Angebot. Was ist die Idee dahinter?
Unterschiede und Gemeinsamkeiten lassen sich in der Gegenüberstellung schärfer herausarbeiten. Die Moderatorinnen und Moderatoren bestimmen, welche Passagen präsentiert werden und schälen mit den beiden Lesenden die für sie charakteristischen Aspekte heraus. So kann das Publikum die Autorinnen und Autoren und ihre Werke in unterschiedlichen Facetten kennenlernen.
Der Berner Autor Lukas Hartmann trifft auf Zurab Karumidze, die Zofinger Schriftstellerin Margrit Schriber auf Salome Benidze. Was versprechen Sie sich von diesen schweizerisch-georgischen Begegnungen?
Spannende interkulturelle Auseinandersetzungen. Lukas Hartmann und Margrit Schriber haben sich eingehend in die Bücher ihrer georgischen Gesprächspartner eingelesen. Diese wiederum haben sich mit Hartmann und Schriber beschäftigt. An den Literaturtagen Zofingen wird das Publikum von ihren gegenseitigen Lektüren und ihren Begegnungen profitieren.
Das Kunsthaus Zofingen präsentiert zeitgenössische georgische Kunst. Das ist für ein Literaturfestival doch eher ungewöhnlich.
Die Ausstellung «Der Balkon» ist ein Glücksfall und wirft einen komplementären, künstlerischen Blick auf die aktuelle georgische Kultur und seine reichen Traditionen. Ein weiterer Glücksfall ist, dass wir im Anschluss an die Vernissage im Kunsthaus einen musikalisch-kulinarischen Abend feiern können. Musik, Gesang und gutes Essen sind ebenfalls wichtige Bestandteile georgischer Kultur.
Tatia Nadareischwili hat zu ihrem Bilderbuch «Schlaf gut» an Oftringer und Zofinger Volksschulen Workshops durchgeführt. Die Kanti Zofingen hat eine Ausstellung zum 100-Jahr-Jubiläum der ersten georgischen Republik inszeniert. Wie ist die Resonanz dazu?
Tatia Nadareischwili stellte den Primarschülerinnen und Primarschülern in der ersten Lektion ihr zauberhaftes Bilderbuch vor, in der zweiten leitete sie die Kinder an, selber zum Thema des Buches zu zeichnen und zu malen. Die Rückmeldungen der Autorin, der Lehrpersonen und der Kinder waren einhellig positiv, ja begeistert. Die Immersionsklasse an der Kanti hatte sich während Wochen in acht Aspekte der jüngeren georgischen Geschichte wie «die Emanzipation der georgischen Frau» oder «die orthodoxe Kirche» vertieft. Ihre Erkenntnisse präsentierten sie in englischer Sprache in einer Ausstellung, die die Form der georgischen Fünfkreuzflagge hatte. Super!
Der Schweizerische Werkbund organisiert am Donnerstag, 18. Oktober, ein Gespräch über Schrift und Typografie der georgischen Sprache. Das ist allein für sich schon ein komplexes Thema.
Zweifellos. Deshalb freut es mich, dass der Werkbund als Fachvereinigung für Gestaltung das Gespräch organisiert. Das finde ich so bereichernd an den Kooperationsveranstaltungen: Jede Partnerorganisation wirft ihr spezifisches Schlaglicht auf unser Gastland. In der Summe erhält das Publikum ein kleines, aber doch nuancenreiches Bild, das zu weiteren Auseinandersetzung anregt.
Worauf freuen Sie sich persönlich ganz besonders?
Ich bin auf jeden einzelnen Programmpunkt gespannt. Wenn ich je zwei pro Tag auswählen müsste, würde ich am Freitag die Eröffnungsrede von Margrit Schriber und den Poetry Slam im «Ochsen» nennen. Besonders neugierig bin ich am Samstag auf die «Jugend-Doppellesung» mit Beka Adamaschwili und Salome Benidze sowie auf die Begegnung der Altmeister Lukas Hartmann und Zurab Karumidze. Am Sonntag lesen Nino Haratischwili und Lasha Bugadze aus ihren druckfrischen Büchern. Und zum Schluss weckt Andrine Pollen bereits die Vorfreude auf das norwegische Literaturprogramm 2019.