Littering-Gipfel: «Die grössten Litterer sind ganz klar die Raucher»

Wie viel Abfall produzieren Sie?

Brigitte Herde: Ich bin am vierten 17-Liter-Kehrichtsack seit Juli 2017.

Wie schafft man das?

Herde: Ich kaufe gar nichts mehr, das eingepackt ist.

Andres Brändli: Ich bin da hundertfach schlechter. Immerhin habe ich damit begonnen, die Waren schon im Laden auszupacken.

Herde: Im «Unverpackt» in Aarau könnten Sie mittlerweile fast 300 unverpackte Sachen kaufen.

Das Geschäft gehört über 200 Genossenschaftern. Ist es erfolgreich?

Herde: Alle finden das Konzept interessant und möchten Abfall vermeiden. Aber es ist nicht so, dass wir komplett überrannt werden. Die Umstellung fällt den Leuten nicht leicht.

Die Güselwehr ist fünf Jahre alt. Wo finden Sie den meisten Abfall?

Brändli: Das ändert sich laufend. Die Hotspots sind sehr wetterabhängig. Am meisten Abfall lassen diejenigen Leute liegen, die irgendwo gruppenweise «Chilbi» machen; vermutlich immer die gleichen Party-People.

Warum wirft jemand sorglos Dinge weg?

Herde: Aus absoluter Gleichgültigkeit. Vor allem die Zigarettenstummel – das ist unfassbar.

Brändli: Erzogen wurden wir ja alle anders. Aber es steckt halt oft Gruppendynamik dahinter. Wenn einer von zehn sagt: «Wir räumen auf», entgegnen neun: «Spinnsch eigentlich? – Wir haben doch Leute, die bezahlt werden dafür!» oder «Wir wollen doch niemandem die Arbeit wegnehmen.»

Wer sind die grössten Litterer?

Brändli: Klar die Raucher.

Herde: Ja, total. Dabei wäre das Wegwerfen von Zigaretten eigentlich strafbar. Man sollte diese Raucher mit 40 Franken büssen – so wie das im Gesetz vorgesehen ist.

Brändli: 40 Franken sind zu wenig. In den USA kostet es bis 1000 Dollar.

Herde: Ich kenne keinen einzigen Menschen, der wegen des Wegwerfens einer Zigarette gebüsst worden ist. Wenn ich pendle, sehe ich jeden Morgen 30 Personen, die auf dem Bahnhof ihre Zigaretten ins Gleisbett werfen. Die Stadt sollte dort hinstehen und rigoros büssen. Bei unserer letzten Clean-up-Aktion kamen 2820 Zigi-Stummel zusammen. Das wären, bei rigorosem Büssen, 112 000 Franken in die Stadtkasse gewesen. Ein schöner Batzen, der da durch die Lappen geht.

Also sind Sie sich einig: Die Polizei sollte mehr Bussen aussprechen?

Herde: Unbedingt.

Brändli: Wir müssen wohl das Gesetz ändern. Littering muss schmerzhafter werden.

Wie ist es mit dem Essen?

Brändli: Die Gewohnheiten haben sich verändert. Man nimmt etwas in die Hand und würgt es im Gehen dabei hinunter. Das ist schlimm.

Herde: «Coffee to go» ist auch ein Problem. Es kann doch nicht sein, dass man sich jeden Morgen einen neuen Becher geben lässt.

Sprechen Sie Leute an, die achtlos Abfall wegwerfen?

Herde: Teils, teils. Manchmal schüttle ich auch nur den Kopf. Es braucht auch etwas Mut. Den habe ich am ehesten, wenn ich in der Gruppe am Fötzeln bin.

Brändli: Ich mache immer wieder den gleichen Spruch: «In Aarau machen wir das nicht, in Aarau hebt man das wieder auf.» Darauf gibt es unterschiedliche Reaktionen: «Spinnsch?» oder «Danke für den Hinweis!». Wenn ich zum Bahnhof laufe, nehme ich auf, was herumliegt.

Im Zug wagte niemand zu rauchen, aber viele lassen ihren Abfall einfach liegen. Warum ist das Rauchverbot akzeptiert, das Littering-Verbot aber nicht?

Brändli: Wenn jemand raucht, wehren sich die Leute sofort. Beim Littering ist es noch nicht so. Littering scheint ein Kavaliersdelikt zu sein.

Was war das Ekligste, das Ihnen als Güsel-Aktivist bisher in die Finger gekommen ist?

Brändli: Gebrauchte Pariser und blutige Spritzen.

Herde: An der Aare hat es jeweils Unterwäsche – aber die lasse ich liegen.

Brändli: Mit dem Langfinger, der Zange, nehmen wir alles auf.

Herde: Wir sind noch nicht so ausgerüstet.

Ist eine klinisch reine, güselfreie Stadt wie Singapur das Ziel?

Herde: Ja, das würde ich schön finden.

Brändli: Man muss nicht extrem werden. Klar ist Singapur schön – aber ich glaube nicht, dass das europäisch ist.

Herde: Wenn etwas herumliegt, wirft man eher auch etwas weg. Es enthemmt.

Brändli: Davon bin ich nicht unbedingt überzeugt.

Herde: Man müsste auch auf die Geschäfte Einfluss nehmen. Wieso muss jedes Brötchen, das gleich gegessen wird, eingepackt werden?