
Merkels Plan: Ausgangsbeschränkung für fast 40 Millionen Deutsche
Um 14 Uhr geht es heute wieder los mit der Bund-Länder-Konferenz. Im Dreiwochen-Rhythmus treffen sich Kanzlerin Angela Merkel und die Regierungschefs der 16 Bundesländer in einer Video-Konferenz, um über das Vorgehen in der Coronapandemie zu debattieren.
Die 66-jährige Regierungschefin und ihr Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) – selbst ein Arzt – gehen angesichts deutlich gestiegener Coronainfektionen mit der Forderung nach drastischen Massnahmen in die Konferenz. Brisanteste Punkte, welche die Kanzlerin durchsetzen will: In Landkreisen mit besonders hohem Infektionsgeschehen sollen Schulen und Kitas geschlossen werden, wenn keine umfassende Teststrategie möglich ist.
Zudem möchte Merkel in besonders belasteten Gebieten verbindlich nächtliche Ausgangsbeschränkungen durchsetzen. Ohne triftigen Grund sollen die Menschen dann ab einer noch nicht festgelegten Uhrzeit am Abend bis morgens um fünf zwingend in der eigenen Wohnung bleiben. Die Bundesregierung orientiert sich dabei an den Inzidenzwerten. Wo diese innerhalb von drei Tagen hintereinander den Wert von 100 Ansteckungen innerhalb von sieben Tagen auf 100’000 Einwohner überschreiten, soll die drastische Massnahme verbindlich greifen. Die «Bild» rechnet vor, dass dies gegenwärtig knapp 40 Millionen Deutsche, fast die Hälfte der Bevölkerung, treffen würde – Tendenz steigend.
Quarantänepflicht nach «Malle»-Ferien?
Allerdings stehen die Vorzeichen in der heutigen Konferenz auf Streit: Etliche Bundesländer, vor allem die SPD-geführten, haben dem Vorschlag nach bundesweiter Ausgangsbeschränkung eine Absage erteilt. Unklar ist auch, mit wie vielen Freunden und Bekannten sich die Deutschen an Ostern treffen dürfen – und vor allem wo. Ginge es nach dem Kanzleramt, würden die diesjährigen Osterferien komplett wegfallen bzw. würden diese in der eigenen Stadt oder Kommune verbracht werden.
Das ist insofern erstaunlich, da die «Lieblingsinsel» der Deutschen seit wenigen Wochen nicht mehr als Risikogebiet gilt und daher die Quarantänepflicht bei der Rückreise aus Mallorca entfällt. Mit der Folge, dass in den letzten Tagen Tausende kurzfristig einen Flug auf die Balearen-Insel gebucht haben. Die Bundesregierung will den Deutschen allerdings die Lust auf den «Malle»-Urlaub durch eine strengere Quarantänepflicht vermiesen. Egal, wohin die Reise geht und wie die Coronasituation im jeweiligen Land aussieht – nach der Rückkehr soll verbindlich eine Pflicht zur Quarantäne gelten. Dieser Vorschlag der SPD hat es in die provisorische Beschlussfassung der Bundesregierung geschafft.
Aus einigen Bundesländern regt sich Widerstand gegen das faktische Osterferien-Verbot. Vor allem die für Ferien beliebten «Küstenländer» wie Schleswig-Holstein oder Mecklenburg-Vorpommern wollen wenigstens den Menschen aus den eigenen Bundesländern «kontaktarme» Ferien auf Campingplätzen oder in Ferienwohnungen ermöglichen, wenn die Hotels und Restaurants schon zu bleiben müssen. Für Bewohner aus Stadtstaaten wie Hamburg oder Berlin müssten Spezialregeln erlassen werden.
Wissenschafter: Inzidenz nur begrenzt aussagekräftig
Ob sich Merkel mit ihren drastischen Forderungen durchsetzen wird, ist fraglich. Derweil wird die fixe Orientierung der Bundesregierung am Inzidenzwert – von diesem werden quasi sämtliche Coronamassnahmen abgeleitet – aus wissenschaftlichen Kreisen immer lauter. Aktuell liegt der Wert landesweit bei 107, die Regierung strebt eine Inzidenz von unter 50 für Lockerungen an.
Epidemiologen der Ludwig-Maximilian-Universität in München stellen in einer Studie fest, dass die steigende Inzidenz nicht alleine mit der sich ausbreitenden Virusmutation erklärt werden könne. Dass ein erhöhtes Infektionsgeschehen festgestellt werde, liege mutmasslich auch daran, dass mehr getestet werde. Seit 8. März kann sich jeder Bürger einmal pro Woche gratis testen lassen, zudem gibt es im Einzelhandel Schnelltests für den Heimgebrauch. Ausserdem sinke die Inzidenz bei der besonders gefährdeten Gruppe der Über-80-Jährigen dank der Impfkampagne. In die Bewertung müsse auch die Spitalauslastung, die Sterberate und das Infektionsgeschehen unterteilt nach Altersgruppen einfliessen, fordern die Wissenschafter.