
Migros-Manager-Legende spricht Klartext: «Der Alkoholverzicht ist ein Heiligtum!»
Der orange Riese und die Promille-Frage – seit Jahren wird immer wieder darüber diskutiert, ob die Migros wie Konkurrent Coop ebenfalls Alkoholgetränke verkaufen soll – entgegen der Philosophie von Migros-Gründer Gottlieb Duttweiler. Nun sorgt ein interner Vorstoss dafür, dass die Delegierten der Genossenschaft im Herbst über diese Frage erneut befinden müssen, wie die «Sonntagszeitung» berichtet. Ex-Migros-Manager Mario Bonorand, 78, der einst als Denner-Präsident auch involviert war beim Verkauf des Discounters mit seinem Alkoholsortiment an die Migros, analysiert, wie realistisch ein Ja ist.

Mario Bonorand, 78, war bei der Migros, Globus und Denner in führenden Positionen tätig.
Die Migros-Delegiertenversammlung wird diesen Herbst über den Verkauf von Alkohol abstimmen. Was glauben Sie, kommt der Antrag durch?
Mario Bonorand: Das kann ich mir nicht vorstellen. Es ist ja auch nicht das erste Mal, dass diese Idee auf den Tisch kommt, das gab es in der Vergangenheit immer mal wieder. Manche Leute möchten halt alte Zöpfe abschneiden.
Und wieso halten Sie das nicht für realistisch?
Weil die Ideen, die Werte von Gottlieb Duttweiler noch immer sehr stark sind. Vom Kulturprozent bis hin zur demokratischen Genossenschaft – und eben auch dem Verzicht auf Alkohol und Tabak. Viele Delegierte sehen sich als Wächter von Duttweilers Vision.
Aber ist das noch zeitgemäss?
Das müssen andere entscheiden. Fakt ist, dass sich die Migros durch den bewussten Alkoholverzicht imagemässig von der Konkurrenz abhebt. Kommt hinzu, dass sie ja in zahlreichen anderen Tochtergeschäften Bier, Wein und Spirituosen verkauft. Nicht im klassischen Migros-Supermarkt, sondern bei Denner, Alnatura, Voi, Migrolino und online. Ja sogar auch in den Restaurants der Migros-Golfclubs. Das reicht.
Die Migros hat aber zuletzt gegenüber der Konkurrenz eingebüsst. Laut Zahlen des Marktforschers Gfk musste sie im klassischen Supermarktgeschäft gar die Nummer 1 an Coop abgeben…
Ja, die Migros könnte einige frische Impulse gut gebrauchen. Aber es muss nicht Alkohol sein. Damit könnte sie schätzungsweise 1,5 bis 2 Milliarden Franken mehr Umsatz generieren. Der Imageschaden und Renommee-Verlust bei der treuen Kundschaft wären hingegen grösser. Der Alkoholverzicht ist ein Heiligtum!
Heute steht an vielen Migros-Standorten auch eine Denner-Filiale. Würde sie sich nicht vor allem selber kannibalisieren, wenn sie selber Alkohol verkaufen würde?
Das kann ich mir gut vorstellen. Wenn es plötzlich in den Migros-Regalen Wein und Bier gibt, muss ich ja nicht unbedingt noch in den Denner nebenan. Da gäbe es wohl vielerorts ein Nullsummenspiel. Ich erinnere mich an eine ähnliche Diskussion zu meiner Zeit, als Denner plötzlich mehr frisches Gemüse und Früchte verkaufen wollte. Da regte sich dann bei den Migros-Genossenschaften Widerstand, da sie um Umsätze fürchteten.
Wie schwierig wäre es für die Migros, Kunden von Aldi und Lidl zu sich zu locken?
Sehr schwierig. Die beiden deutschen Discounter haben einen sehr gute, prägnanten Auftritt und vor allem auch attraktive Preise. Viele Kundinnen und Kunden haben sich an sie gewöhnt. Die Migros müsste sich vor allem klar vom Denner- und Coop-Weinangebot abheben müsste, und das ist gar nicht so einfach. Es gibt nur wenige Weineinkäufer hierzulande mit viel Know-how. Und Coop ist die klare, unangefochtene Marktführerin.
Migros und Alkohol – eine sinnlose Diskussion also?
Nicht unbedingt. Weil die letzten Jahre nicht immer einfach waren, kann ich mir durchaus vorstellen, dass das Alkohol-Ja-Lager grösser geworden ist. Und manche Genossenschaften wie jene im Wallis, wo es viele Weinbauern gibt, werden möglicherweise dafür sorgen, dass ihre Delegierten dem Antrag bei der Abstimmung im November wohlgesonnen sein werden.
Die Hürden zum Alkoholverkauf sind hoch
Das Thema Alkoholverbot wird bei der Migros immer wieder diskutiert. Aktuell wurde es von «verschiedene Delegierten» für die Versammlung im November erneut aufgegriffen, wie es beim Migros-Genossenschaftsbund heisst. Aus welchen der zehn Genossenschaften diese Delegierten kommen, verrät der Konzern nicht.
Um in Migros-Filialen Wein, Bier und Spirituosen verkaufen zu können, müsste die Detailhändlerin ihre Statuten ändern. Dafür müssten die 111 Delegierten an der Delegiertenversammlung zunächst einer Urabstimmung zustimmen (Zweidrittelmehrheit der anwesenden Stimmen notwendig), in welcher dann die Mitglieder aller zehn regionalen Genossenschaften über das Thema befinden könnten. Insgesamt zählt die Migros über 2 Millionen Genossenschafter und Genossenschafterinnen.
Laut der «Sonntagszeitung», die sich auf einen Insider beruft, dürfte der Antrag für die Urabstimmung «sicher durchkommen». Die Migros betont derweil, dass derzeit noch gar nicht feststeht, ob es überhaupt zur ersten Abstimmung kommt. Allzu hoch scheint die Hürde aber nicht: Damit ein Anliegen an der Delegiertenversammlung traktandiert wird, braucht es gemäss Statuten mindestens fünf gemeinsam handelnde Delegierte. (gjo)