
Mit diesem Menschen muss ich doch Mitleid empfinden
Genau das dachte ich vor ein paar Tagen, als ich ein Radiointerview mit einem Schweizer Politiker hörte. Mit weinerlicher Stimme sagte er: « Ich kann mir in meiner Heimatstadt keine Wohnung mehr leisten.» Sofort habe ich mir gedacht, für diesen Menschen muss ich eine Spendenaktion ins Leben rufen. Ich klemmte mich aber vorher hinter den Computer und habe recherchiert. Siehe da, der Politiker sitzt in der kleinen Kammer unseres Parlaments. Das Entgelt beträgt durchschnittlich 128 000 Franken. Bei einer Annahme, dass dies etwa 60 Prozent des Pensums eines normalen Arbeitslebens entspricht. Also nochmals, sagen wir mal, 50 000 Franken für einen «normalen» Job dazu. Noch grösser war mein Erstaunen, als ich bei der Nachforschung in Erfahrung brachte, dass die Ehefrau dieses Mannes auch in der kleinen Kammer tätig ist! Ergibt ja doppelt so viel! In der teuersten Stadt in der Schweiz gibt man, sagen wir mal, ein Drittel des Lohnes für eine Wohnung aus. Das wären in diesem Fall gerundet 120 000 Franken Jahresmiete. Das sind zehn unglaubliche Riesen im Monat. Als er dann noch sagte, er hätte kürzlich geerbt und hätte sich jetzt Wohneigentum zulegen können, spätestens da habe ich die Idee von einer Sammelaktion begraben.
Mir zeigt es einfach wieder einmal, wie abgehoben unsere Politiker sind. Ich persönlich habe endlich begriffen, warum überall eine grosse Politverdrossenheit aufkommt. Manch ein Politiker sollte sich vielleicht Fragen: «Bin ich noch auf dem Boden der Realität?» Manchem würde es auch guttun, sich mit einem ganz normalen Bürger zu unterhalten. Ich habe Zeit und auch Lust, dies zu tun. Leider habe ich bis jetzt noch keine Anfrage diesbezüglich bekommen. Dann müsste man ja eine Politik für alle Leute machen und nicht nur für die Wirtschaft. Es wird viele Stellen kosten. Die Wirtschaft wird sehr darunter leiden. Mit diesen Argumenten werden schon seit jeher Abstimmungen gewonnen. Dieser Knopf muss gedrückt werden. Dann ist der Fall schon klar. Denken sie daran, wenn wir wieder mal an die Urne pilgern. Die Verantwortlichen wissen genau um diese Waffe.
Ueli Bühler, Rothrist