Mordfall Aarau: In der Beiz von Erich Frensdorff verkehrten das Opfer und der Verhaftete

Sie wird nicht weniger, die Trauer. Die Trauer um Hildegard Enz Rivola, die 66-Jährige, die Mitte Januar in ihrer Wohnung an der Erlinsbacherstrasse mit zahlreichen Messerstichen so schwer verletzt wurde, dass sie später verstarb. «Nein, die Trauer um sie wird nicht weniger», sagt Erich Frensdorff. «Aber sie wird jetzt hoffentlich etwas lebbarer werden.»

Erich Frensdorff (63) kennt viele, viele kennen ihn. Bis im Sommer 2016 hat er eine von Aaraus speziellsten Beizen geführt, die «Waage» in der Metzgergasse. Eine «Chnelle» wie aus dem Bilderbuch, ein Biotop, ein Sammelbecken für Gäste jeden Alters, jeder politischen Gesinnung, jeder Hautfarbe. Ein Ort, an dem jeder willkommen war.

Und mittendrin stand Erich, der Marionettenspieler. Vieles hat er in seinen insgesamt 30 Jahren im Gastgewerbe erlebt, manche brenzlige Situation, manche traurige Geschichte gehört. Er sei eher ein gefasster Typ, so schnell haue ihn nichts aus den Socken, sagt er. Aber die Nachricht von Hildegard Enz’ Tod, die hat ihn so richtig erwischt.

Sie sah jünger aus als 66

Erich kennt das Opfer seit seinen Anfangszeiten als Wirt. Er nennt sie Hilde, eine gute Bekannte. «Wir haben uns 30 Jahre lang begleitet. Aber als enge Freundin würde ich sie nicht bezeichnen.» Als Beizer sei er nicht der gewesen, der nachhakte, wie ein Freund das tun würde. Keiner, der über intime Details der Familienverhältnisse orientiert war. «Hilde war einfach ein fester Teil der ‹Waage›-Familie.» Und deshalb spricht er nun auch offen über sie, über ihre Art. Er versteht nicht, weshalb so viele andere schweigen. «Wenn man schweigt, verkümmert man. Man muss reden, das befreit. Das ist ein Teil der Trauerbewältigung. »

Erich sagt über Hilde, sie sei grossherzig gewesen. «Eine, die mit jedem gesprochen hat, für jeden ein offenes Ohr hatte. Ich habe sie für ihre Art bewundert.» Eine Frau, der man ihre 66 Jahre nicht ansah, eine, die auch alleine in die Beiz kam. Eine Frau ohne Berührungsängste, im wahrsten Sinne des Wortes. «Sie hat die Leute berührt. Aber nicht um des Anfassens willen, sondern um Nähe zu schaffen. Um zu zeigen, dass sie ganz bei einem war.»

Erich kennt nicht nur das Opfer. Er kennt auch den jungen Mann, der seit knapp zwei Wochen in Untersuchungshaft sitzt. Ein Kroate, 28 Jahre alt, wohnhaft in Unterentfelden, Heizungsmonteur, temporär angestellt. Erich hat ihn in der «Waage» bedient, das ist sicher, er erinnert sich an das Gesicht. Aber mehr weiss er nicht, er sei ein Gast wie jeder andere gewesen. Genauso wenig wisse er, ob das Opfer und der Verhaftete damals in der «Waage» angebandelt hätten. «Vielleicht hat diese Geschichte da begonnen. Aber selbst wenn, ist das lange her, die ‹Waage› ist seit zweieinhalb Jahren zu.» Genauso wenig mutmassen wie darüber, ob die beiden sich in seiner Beiz kennen gelernt haben, will er darüber, ob der Verhaftete auch tatsächlich schuldig ist. «Ich bin Beizer, kein Richter.» Für ihn gelte die Unschuldsvermutung.

Eines aber bleibt

Eines aber ist und bleibt. Das absolute Unverständnis darüber, weshalb es so weit kommen musste. Weshalb Hilde, ausgerechnet sie. «Es ist mehr als traurig, es ist einfach nicht nachvollziehbar, unfassbar.» Die einzig mögliche Erklärung dafür, weshalb es so gekommen ist, sieht er in Hildes offener Art. Diese Nähe, die Männer auch irritiert hat. Erich ist sich sicher: «Schlussendlich wird es heissen, das Tatmotiv sei verschmähte Liebe gewesen.»

Wie auch immer. Erich Frensdorff hofft, dass die Geschichte nun rasch ein Ende nimmt. Dass es rasch zu einem Prozess kommt. Und dass niemand auf die Idee kommt, auf Unzurechnungsfähigkeit zu plädieren. Erich schnauft tief. «Vor allem aber hoffe ich, dass Hilde Frieden findet.»