Neuer Job: Gotti für eine syrische Familie

«Ich freue mich, wenn Vermittlungen so verlaufen wie in diesem Beispiel.»  Maria Weber, Leiterin der Koordinationsstelle
«Ich freue mich, wenn Vermittlungen so verlaufen wie in diesem Beispiel.» Maria Weber, Leiterin der Koordinationsstelle

Ursula Mayr war viele Jahre Lastwagenfahrerin. Nun nimmt sich die 59-Jährige eine Auszeit und will etwas Anderes machen. Gerne im sozialen Bereich. Mezgin Wazir, 37 Jahre alt, war in Syrien während mehreren Jahren Lastwagenfahrer und im Baugewerbe tätig. Seit fünf Jahren lebt er mit seiner Frau Hevin Sheko und den vier Kindern in der Schweiz. Gerne würde er wieder in seinem angestammten Beruf arbeiten, als Lastwagenfahrer. Doch da gibt es Hindernisse: Die Sprache, die kulturellen Unterschiede, die Anforderungen der Behörden.

Behördengänge, Diktate und Birchermüesli

Weil seine Prüfungen und Zertifikate in der Schweiz nicht akzeptiert werden, kann Mezgin Wazir nicht als Lastwagenfahrer arbeiten. Er hat aber eine Temporär-Stelle im Baugewerbe gefunden. Dank guter Arbeitszeugnisse konnte er schon dreimal vermittelt werden und hofft nun auf eine Festanstellung. Ursula Mayr hat Mezgin Wazir bei der Stellensuche unterstützt. Mit Lebenslaufschreiben, Behördengängen, Telefonaten. Auch nach Abschluss der Stellensuche ist Ursula Mayr weiterhin für die Familie da. Jetzt geht es beispielsweise um Schwimmkurse für die Kinder oder um Sprachförderung für die 33-jährige Mutter Hevin und den ältesten Sohn Aland. Mit dem Achtjährigen unternimmt Mayr viel. Einmal in der Woche besucht er sie in ihrem Zuhause in Küngoldingen. Gemeinsam üben sie Diktate, plaudern miteinander, arbeiten gemeinsam im Garten, machen ein Feuer oder bereiten ein Birchermüesli zu. So lernt Aland typisch schweizerische Dinge kennen. Ganz wichtig dabei: Er lernt, alles auf Hochdeutsch oder Mundart zu benennen. «Alands Mutter weiss, dass die Sprache der Schlüssel ist zum Erfolg ihrer Kinder und ihrer Familie», sagt Ursula Mayr. Darum unterstützt sie die Familie gerne. Aland mag es, Zeit mit Mayr zu verbringen. «Ich bin so was wie sein Gotti», sagt diese und lacht.

Freiwillige nehmen Kontakt über Website auf

Das Beispiel von Ursula Mayr und der Familie Wazir-Sheko ist eines von vielen, die über den Schreibtisch von Maria Weber gehen. Sie führt seit Oktober 2018 die Koordinationsstelle für Freiwilligenarbeit im Asyl- und Flüchtlingsbereich in der Region Zofingen. Die Stelle wird von der Stadt Zofingen betrieben, im Auftrag des Regionalverbandes Zofingenregio. Die Anschubfinanzierung für die Koordinationsstelle hat der Regierungsrat bis Ende 2021 verlängert, das Geld dafür kommt vom Swisslos-Fonds.

«Normalerweise füllen Interessierte das Kontaktformular auf unserer Website aus, anschliessend treffe ich sie zu einem unverbindlichen Kennenlern-Gespräch», sagt Maria Weber. Dann bringt sie die freiwilligen Helfer mit Organisationen wie Rotes Kreuz Aargau, Netzwerk Asyl, Caritas oder IG Deutsch zusammen. Diese begleiten den Einsatz. Ausserdem trägt Maria Weber die Angebote für asylsuchende Personen zusammen. Auf einem Blatt führt sie auf, wo es in der Region kostenlose Deutschkurse gibt, wo die verschiedenen Beratungsangebote zu finden sind und wo es die Möglichkeit für Begegnungen gibt. Und davon gibt es viele: Angefangen beim Gemeinschaftsgarten der reformierten Kirche Oftringen, über Spiis&Gwand, das in Oftringen Essen, Kleidung und Austausch anbietet, bis zum Spielnachmittag für geflüchtete Menschen, den das Jugendrotkreuz Aargau neu in Zofingen organisiert.

Beide Seiten profitieren voneinander

Weber freut sich, wenn ihre Vermittlungen so verlaufen wie im Beispiel von Familie Wazir-Sheko und Ursula Mayr. Aus dem Tandem, das sich für die Stellensuche von Mezgin Wazir getroffen hat, ist eine Freundschaft mit der ganzen Familie entstanden. «Ich freue mich immer über den Besuch von Ursula Mayr», sagt Hevin Sheko in gutem Hochdeutsch, während sie ihren jüngsten Sohn auf dem Schoss hält. Die gelernte Röntgenassistentin kümmert sich heute mit Leib und Seele um ihre Familie. Unterstützung von Ursula Mayr erhält sie beim Übersetzen von Behördenbriefen, bei Telefonaten oder beim Deutschlernen. Gemeinsam geht es auch mal zum Einkaufen oder auf den Spielplatz. «Nur selten gelingt es uns, zusammen in Ruhe einen Kaffee zu trinken», erzählt Ursula Mayr. Während des Interviews spielen Hevin Shekos ältere Kinder gemeinsam draussen mit zwei Nachbarskindern. «Die Familie bemüht sich um Integration und ist kulturell sehr offen», lobt Mayr. So würden die Kinder beispielsweise die Spielgruppe besuchen und gingen regelmässig in die Jungschar. «Ich bin sehr dankbar für ihre Unterstützung», sagt Hevin Sheko.

Ursula Mayr tun die Begegnungen mit der syrischen Familie ebenfalls gut. «Ich war 40 Jahre lang in meinem Beruf nur eine Nummer. Hier erfahre ich Dank und Wertschätzung. Jetzt geniesse ich es, etwas Gutes zu tun, und meine Erfahrungen weiterzugeben.»