
Neuer Wirbel um Franziska Roth: Holt sich die Regierungsrätin bei Hirslanden-Lobbyisten Rat?
Es geht um viel: Der Regierungsrat steht vor der Entscheidung, ob er dem Kantonsspital Aarau (KSA) die Bewilligung erteilt, eigenständig eine Herzchirurgie zu betreiben oder ob alles beim alten bleiben soll, sprich: die private Hirslanden Klinik im Aargau weiterhin die prestigeträchtigen und lukrativen Herzoperationen durchführt.
KSA und Hirslanden schenken sich in der Sache nichts. Die Nerven im Vorfeld des Herzchirurgie-Entscheides sind entsprechend angespannt. Noch aufgeladener wird die Stimmung durch eine Nachricht, die in den letzten Tagen bei Gesundheitspolitikern und Spitalangestellten die Runde macht: Franziska Roth, Vorsteherin des Departementes Gesundheit und Soziales, soll sich in letzter Zeit auffällig oft Rat von einem Mann holen, der für die Hirslanden-Klinik arbeitet.
Diskreter Netzwerker und SVP-Kollege
Konkret handelt es sich um den 39-jährigen Thurgauer Urs Martin, Bereichsleiter Public Affaires bei der Hirslanden-Gruppe. Public Affairs, zu Deutsch mit Politikkontaktarbeit übersetzbar, bezeichnet im Allgemeinen strategische und kommunikative Einflussnahme auf politische Entscheidungsprozesse.
Urs Martin hat eine eigene Beraterfirma und ist Vorstandsmitglied der Interessensorganisation Privatkliniken Schweiz. Martin hat den Ruf eines hervorragenden Netzwerkers, der diskret im Hintergrund agiert und öffentlich in seiner Rolle als Privatspital-Lobbyist kaum in Erscheinung tritt. Öffentlich bekannter ist Martin im Thurgau, wo er für die SVP im Kantonsrat politisiert. In Bundesbern gut vernetzt ist er auch dank seiner früheren Tätigkeit als Sekretär der SVP-Bundeshausfraktion zwischen 2006 und 2010.
Es geht um Millionen
Urs Martins Nähe zu Regierungsrätin Roth sorgt in Aargauer Gesundheitskreisen für Unruhe und hat auch schon das eine oder andere Telefonat ins DGS ausgelöst. Offen Kritik übt Ulrich Bürgi, FDP-Grossrat und Chefarzt am KSA: «Es ist problematisch, dass ein von Hirslanden bezahlter Lobbyist im DGS offenbar ein und aus geht und richtungsweisende Entscheide beeinflusst.»
Bürgi macht sich dafür stark, dass das KSA eine von der Hirslanden unabhängige Herzchirurgie bekommt. In einer Interpellation stellte Bürgi zusammen mit anderen Grossräten dem Regierungsrat kritische Fragen zur Entscheidungsfindung. Bürgi: «Ich habe den Eindruck, dass die Meinungen an der Departementsspitze von Franziska Roth schon länger gemacht sind» – und zwar für die bisherige Lösung mit Hirslanden.
Gemäss Bürgi wird unterschätzt, was das KSA «fachlich und finanziell mit dem Entzug einer umfassenden Herzmedizin» verlieren würde. «Mir fehlt einfach die Transparenz in der Entscheidungsfindung», sagt Bürgi. «Es müssen alle gewichtigen Argumente offen auf den Tisch. Mit unserem Vorstoss wollen wir das erreichen. Es geht für den Kanton immerhin um einen jährlichen Verlust in zweistelliger Millionenhöhe.»
Roth: «Gedankenausstausch unter Parteikollegen»
Auf Anfrage der AZ bestätigt Franziska Roth Gespräche mit Parteikollege Urs Martin, betont aber: «Es geht nicht um Aargauer Gesundheitspolitik. Unter Parteikollegen haben wir viele andere Themen.» Urs Martin habe kein Mandat im Zusammenhang mit dem Departement Gesundheit und Soziales. «Es gibt keinerlei Vergütungen oder Gefälligkeiten», so Roth weiter.
Es handle sich um Gedankenaustausch und Diskussion unter Parteikollegen. Zur Frage nach einem möglichen Interessenskonflikt zwischen Hirslanden und der Gesundheitspolitik des Kantons Aargau nimmt Franziska Roth wie folgt Stellung: «Urs Martin und ich sind uns einig, dass Hirslanden und KSA zusammenarbeiten sollen, so wie das heute auch bereits gelebt wird. Über SpitalListen unterhalte ich mich explizit nicht mit ihm. Themen, welche die Hirslandenklinik als Medical Partner im Gesundheitsmarkt betreffen, sind ausschliesslich Gegenstand offizieller Gespräche.»
«Ging schon bei Hochuli ein und aus»
Urs Martin kann die Aufregung um seine Person nicht verstehen. Zur AZ sagt er: «Ich bin in meiner Funktion als Leiter Public Affairs der Hirslanden-Gruppe schon bei Frau Roths Vorgängerin Susanne Hochuli ein- und ausgegangen. So wie bei 18 Gesundheitsdirektionen auch.» Eine Beratertätigkeit für Roth weist Martin von sich: «Das könnte ich mit meiner Aufgabe bei der Hirslanden gar nicht vereinbaren.»
Auch Jürg Knuchel, SP-Grossrat und Arzt am KSA, ist «besorgt», wie er selber sagt: «Langfristig braucht der Kanton ein echtes, öffentliches Zentrumsspital mit einer eigenständigen Herzchirurgie.» Die aktuelle Lösung mit Hirslanden sei kein Zukunftsmodell. Knuchel ist es wichtig, «Transparenz herzustellen» in der aktuellen Diskussion. Dass Regierungsrätin Roth ein offenes Ohr für Hirslanden-Lobbyist Urs Martin hat, will Knuchel nicht weiter kommentieren: «Mir geht es um die Sache. Ich will nicht noch Öl ins Feuer giessen.»