
Neues Rekrutierungszentrum: Ein Viertel der Armee startet in Aarau
Ältere Semester sehen beim Stichwort «Aushebung» Reihenuntersuchungen vor sich – die Stellungspflichtigen nur mit der Unterhose bekleidet. «Dieses alte Bild hat nichts mit dem zu tun, was wir heute machen», sagt der Kommandant des Rekrutierungszentrums Aarau, Oberst Jörg Hauri. «Die Rekrutierung hat sich unheimlich entwickelt.» Das gelte auch für die Rekrutenschulen. Falsch sei ebenso die weitverbreitete Vorstellung, dass den jungen Leuten weniger als früher abgefordert werde. Was Hauri besonders imponiert: So wie er die heutigen Stellungspflichtigen wahrnimmt, sind diese zum Teil motivierter und einsatzfreudiger, als ihre Väter es vor 20 bis 30 Jahren noch waren.
Rund 10’000 junge Männer und Frauen werden pro Jahr den Rekrutierungsprozess auf dem Aarauer Kasernenareal durchlaufen. Mit den minutiösen Tests und Abklärungen in den Bereichen Medizin, Psychologie, Sport und Personensicherheit dauert die Rekrutierung in Aarau zwei Tage. Die ersten Zuteilungen erfolgen laut Hauri am zweiten Tag ab zirka 10 Uhr morgens. Bis im Verlaufe des Nachmittags sollten die meisten der im Vollbetrieb rund 100 Stellungspflichtigen, die pro Mal nach Aarau kommen, ihre Einteilungsfunktion erhalten haben. Bei den potenziellen Grenadieren, sagt Hauri, könne sich das Ganze noch ein wenig länger hinziehen, weil hier unter Umständen noch einmal geprüft werde, ob der junge Mann psychisch und physisch wirklich für das ihn erwartende Stahlbad gerüstet ist.
Montag, Dienstag und Mittwoch, Donnerstag: Das ist der Fahrplan für die reguläre Rekrutierung – Woche für Woche. Der Freitag ist reserviert für Rekruten, die aus gesundheitlichen Gründen eine angefangene RS abbrechen mussten oder Stellungspflichtige welche nachrekrutiert werden müssen. Die Planung ist bis 2022 erstellt. «Die Kantone», so Hauri, «buchen ihre Jungs in die vorgesehenen Tage ein. Das gibt ihnen und uns die notwendige Planungssicherheit.»
30 Stellen neu geschaffen
66 Mitarbeiter, viele von ihnen mit teilweise kleinen Teilzeitpensen, kümmern sich derzeit um die Stellungspflichtigen. Nur eine knappe Handvoll sind Uniformierte, der Rest sind zivile Mitarbeiter, die auch zu zivilen Arbeitsbedingungen angestellt sind. Schwergewichtig handelt es sich um Ärztinnen, Psychologinnen, ehemalige Polizisten, Sportlehrerstudenten und Verwaltungspersonal. Umgerechnet auf Vollzeitstellen sind es gut 30 Stellen, welche neu in Aarau geschaffen wurden. Bevor sie alle ihre Arbeitsplätze beziehen konnten, wurden insbesondere das dem Bund gehörende Gebäude 6 und die in kantonalem Besitz befindliche alte Infanteriekaserne (erbaut 1845–1849) auf Vordermann gebracht.
Kaserne innen heller geworden
Oberst Hauri spricht von gut investiertem Geld, das den jungen Leuten zugutekomme. Das Meiste wurde in den Unterkunftsbereich gesteckt, der nun weit heller und freundlicher daherkommt als bisher. In den langen Gängen wurden zudem die Gewehrrechen, welche die Wände bisher optisch prägten, demontiert. Auch dank dieser Massnahme sollen die jungen Leute, die noch keine militärischen Erfahrungen gemacht haben, den Schnitt als weniger hart empfinden. In den Schlafsälen im dritten und vierten Stock hat es nun Strombuchsen, damit die «Stäcklibuebe» die Akkus ihrer Mobiles laden können. Im dritten Stock wurden die erforderlichen baulichen Abgrenzungen vorgenommen, welche die Unterbringung Stellungspflichtiger respektive Stellungswilliger beiderlei Geschlechts ermöglichen.
Das erste und das zweite Stockwerk sind für WK-Truppen reserviert. Noch immer im fünften Stock zu Hause ist die Medizin. Auch hier wurden zeitgemässe Strukturen geschaffen. Und mit dem zarten Hellblau an den Wänden hat man hier die (optische) Sterilität beseitigt.
Die meisten Tests finden im Gebäude 6 statt, wo sich auch der Warte- und Aufenthaltsraum der Stellungspflichtigen befindet. Hier gibt es zwei Räume mit je 32 neuen Computer-Arbeitsplätzen. Für die Sport-Tests steht die Turnhalle auf dem Kasernenareal zur Verfügung. In jedem Fall findet vorgängig der Medizin-Test samt EKG statt. Die Mahlzeiten werden im Verpflegungs-Center beim Kommando Militärmusik eingenommen. Abgerechnet wird demzufolge über den Verpflegungskredit der Armee, auf der Basis von Fr. 8.75 pro Person und Tag. Damit lässt sich gegenüber früher Geld sparen: In Windisch erfolgte die Verpflegung extern, was laut Hauri bedeutend höhere Kosten verursachte. Dafür erfolgte der eigentliche Rekrutierungsprozess in Windisch unter einem Dach. In Aarau sind die Wege mit der Verteilung der einzelnen Posten auf verschiedene Gebäude länger geworden.
Bahnhofnähe als Vorteil
Ein unbestreitbarer Vorteil des Standorts Aarau sei dafür die Nähe der Kaserne zum Bahnhof, sagt der Kommandant. «In Aarau», so Oberst Jörg Hauri, «sind wir nach der grossen Zügelaktion, die reibungs- und unfallfrei verlaufen ist, auch sehr gut aufgenommen worden.» Die Stadt Aarau, davon ist Hauri überzeugt, profitiere aber auch vom Rekrutierungszentrum. Um die Zehntausend junge Leute kämen jährlich hierher – und vielleicht später wieder, weil sie gemerkt hätten, dass Aarau eine spannende, lebendige Stadt sei.
Viel Gelegenheit, das zu erkennen, haben die jungen Leute freilich nicht, zumal sich das Sightseeing in vielen Fällen auf das kurze Wegstück zwischen Bahnhof und Kaserne beschränken dürfte. Dies auch, weil bei dem vollgepferchten Programm am einzigen Abend kein Ausgang drin liegt. Mit einem Flyer, der Informationen zur Stadt vermittelt, findet Kommandant Hauri, könnte Aarau auf seine vielen Vorzüge hinweisen. «Den Flyer könnte man beispielsweise, nach abgeschlossener Rekrutierung, mit dem Dienstbüchlein dem neuen Angehörigen der Armee mit auf den Weg geben.»
Aarau ist eines der grössten der sechs Rekrutierungszentren im Land. Ein Viertel der in die Armee eingeteilten Wehrmänner durchlaufen neu die Schleuse Aarau. Angeschlossen sind die Kantone AG, SO, LU, UR sowie die Halbkantone BS, BL, OW und NW. Die weiteren Zentren befinden sich in Lausanne VD, Sumiswald BE, auf dem Monte Ceneri TI, in Rüti ZH und Mels SG. «Der neue Standort in Aarau bewährt sich vollumfänglich», stellt Oberst Hauri nach den Erfahrungen der ersten zwei Wochen fest. «Er erlaubt eine hochstehende, professionelle und fundierte Rekrutierung.»
Der Kommandant freut sich bereits darauf, die Aarauer Bevölkerung und die Partner des Rekrutierungszentrums am «Tag der offenen Tür» vom 21. September (13.30 bis 19 Uhr) in der Kaserne Aarau begrüssen zu dürfen.