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Nicole Reinhard: «Basel hat eine grosse Liebesbeziehung zum Film – die Stadt weiss es nur nicht immer»

Nicole Reinhard: «Basel hat eine grosse Liebesbeziehung zum Film – die Stadt weiss es nur nicht immer»

Nach 16 Jahren verlässt Nicole Reinhard das Stadtkino Basel. Die scheidende Leiterin über neue Führungsstrukturen, Abschiedsschmerzen und Höhepunkte.

Hannes Nüsseler

«Die Trennung fällt mir nicht leicht»: Nicole Reinhard wechselt ans Filmpodium Zürich.

Roland Schmid

Noch bis Ende Monat lebt und arbeitet Nicole Reinhard im Fahrtwind. «Ich fühle mich aktuell wie in einem Film», sagt die scheidende Direktorin des Stadtkinos Basel, die 16 intensive Jahre lang zwischen Zürich und Basel pendelte. «Ich stehe auf zwei rasenden Zügen, ein Bein hier, eines dort, und vorne kommt die Weiche.» Die Weiche, das ist Reinhards neue Stelle als Leiterin des Filmpodiums Zürich, die sie am 1. Dezember antreten wird.

Bis dahin erledigt sie Doppelschichten: Das Basler Novemberprogramm ist voll, das 90-Jahr-Jubiläum von Le Bon Film steht an, derweil Reinhard tageweise in Zürich eingearbeitet wird. «Die Zeit für den Abschiedsschmerz fehlt», räumt sie ein, «dafür war er in den vergangenen Monaten umso stärker.» Die Trennung falle ihr nicht leicht, sagt Reinhard: vom Kino, von Co-Leiter Beat Schneider, dem gemeinsam erschaffenen Bildrausch Filmfest, vom Team und vor allem vom Publikum. «Mein Publikum», sagt Reinhard, und bei den Worten legt sich ein Glanz über ihre Augen.

Mit dem Abgang von Nicole Reinhard als Direktorin des Stadtkino Basel hat die Trägerschaft des Gründervereins Le Bon Film eine veränderte Leitungsstruktur geschaffen. Einer neuen geschäftsführenden Direktion, welche die Gesamtverantwortung übernimmt, werden zwei künstlerische Leitungen zur Seite gestellt. Die in Österreich geborene Susanne Guggenberger, die während mehr als zwei Jahrzehnten in verschiedenen Funktionen in der Filmindustrie tätig war und zuletzt fünf Jahre in Los Angeles arbeitete, richtet neu das Bildrausch Filmfest Basel aus. Der langjährige stellvertretende Stadtkino-Direktor Beat Schneider, der zum Leitungsteam der Internationalen Kurzfilmtage Winterthur gehörte und von 2003 bis 2012 das Kino Xenix in Zürich prägte, leitet neu Stadtkino, Landkino und das Archiv von Kinemathek Le Bon Film. Zum neuen Direktor hat der Vorstand den 1971 in Zug geborenen Samuel Steinemann ernannt. Steinemann gründete die Zuger Sinfonietta und war Geschäftsführer bei Festival Springs Lucerne, bevor er 2009 die Intendanz des Mehrsparten-Gastspielhauses Theater Casino Zug übernahm. Zuletzt war er Geschäftsführer am Künstlerhaus Boswil. (bz)

Doch jetzt sei der Augenblick da für Neues. «Man muss auch einmal abgeben können.» So wie sie selbst frisch auf ihre neue Aufgabe blicke, solle das auch das neue Team in Basel tun (siehe oben). «Ich denke, es ist ein guter Moment, um den Stab zu übergeben», sagt Reinhard. Das Stadtkino habe sich als lebendiger Traditionsort bewiesen, das Filmfestival stehe auf sicheren Füssen wie die Kinemathek Le Bon Film auch, und dank dem Basler Filmtreff («ein Herzensprojekt für mich») sei das Stadtkino eng mit der Szene vernetzt. «Aber das alles ist natürlich nicht allein unser Verdienst», relativiert Reinhard. «Wir tragen nur für ein paar Jahre die Fackel in einer 90-jährigen Geschichte.»

«Ich stehe auf zwei rasenden Zügen.»

Roland Schmid 

Feuer fürs Kino gefangen hatte die 1968 in Kerns, Obwalden geborene Reinhard schon früh. «Ab 14 war Film meine grosse Liebe», erinnert sich die Cineastin, die selbst in ihrer Freizeit gerne ins Kino geht. «Im Kino Seefeld gab es einen Filmclub mit wöchentlichen Vorstellungen. Ich habe die Flyer gesammelt und in mein Tagebuch geklebt.» Mit 20 arbeitete sie für das ehemalige Luzerner Filmfestival Viper, zuerst als Kartenabreisserin, dann als Assistentin der Festivalleitung. Von dort ging es weiter zu den Kurzfilmtagen Winterthur, die sie mit aufbaute. «Dass aus Filmleidenschaft ein Beruf werden könnte, fiel mir zuerst gar nicht ein», sagt Reinhard, die vorübergehend Dolmetscherin werden wollte.

Im Filmpodium Zürich folgt Reinhard nun auf Corinne Siegrist-Oboussier, die vor ihr ebenfalls das Stadtkino Basel geleitet hatte. «Das hat also schon fast Tradition», lacht Reinhard, die sich dank ihrer profilierten und leidenschaftlichen Programmierung für das neue Amt empfehlen konnte. «Das Filmhistorische mit der Gegenwart zu verschränken, bietet einen enormen Gestaltungsfreiraum», sagt sie. «Dieser ist im Stadtkino Basel einmalig.» Ihre Überzeugung, was ein Programmkino zu leisten habe, wird sie nach Zürich mitnehmen. «Unsere Aufgabe ist es, ein Anti-Algorithmus zu sein», erklärt sie, sprich: nicht den Geschmack zu bestätigen, sondern Neues zu zeigen.

Viel Wertschätzung für das Stadtkino

Ihren Weggang aus Basel begreift Reinhard als Chance für das Stadtkino und den dringend benötigten Strukturwandel. «Es war klar, dass eine Entflechtung stattfinden muss», sagt die scheidende Direktorin mit Blick auf die neu geschaffenen Leitungsstrukturen. «Das Stadtkino und das über die Jahre gewachsene Festival haben unterschiedliche Dramaturgien.» Ausserdem seien für die künstlerische Leitung und die Geschäftsführung zu wenig Stellenprozente vorhanden gewesen.

«Ich war so stolz auf mein Publikum.»

Roland Schmid

Dass der Kanton dieses strukturelle Defizit bislang nicht angegangen sei, habe immer wieder für Enttäuschungen gesorgt. Trotzdem: «Basel bringt dem Stadtkino viel Wertschätzung entgegen, ich merke das auch jetzt im Rahmen meines Abschieds.»

Bald beginne eine neue Subventionsperiode, das entsprechende Gesuch sei auf dem Weg. «Die neue Struktur, die sich das Stadtkino jetzt gibt, wird diesbezüglich den Befreiungsschlag bringen, daran glaube ich fest.» Vor allem aber: «Ich bin davon überzeugt, dass Basel eine grosse Liebesbeziehung zum Film hat – der Stadt ist das nur nicht immer so ganz bewusst.»

Die Zusammenarbeit mit Basel werde sie auch in Zürich suchen, ist Reinhard zuversichtlich: «Beat und ich, wir sind ein ziemlich gutes Team.» Vielleicht wird so auch ihr langgehegter Wunsch in Erfüllung gehen und Adriano Celentano als avantgardistisches Gesamtkunstwerk die Schweiz doch noch beehren.

Was waren die Höhepunkte? «Das Schönste ist immer dann, wenn der Funke überspringt», antwortet Reinhard. Zum Beispiel als die damals 85-jährige Liselotte Pulver zu Besuch kam und sich der gesamte Saal zu einer Standing Ovation erhob: «Ich war so stolz auf mein Publikum!» Wieder der feuchte Glanz in den Augen, vielleicht ist es der Fahrtwind.

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