Persönlichkeitsverletzung durch «Blick»: Jolanda Spiess-Hegglin fordert von Ringier Herausgabe des Gewinns

Am Montag erst hat das Zuger Obergericht festgehalten, dass der «Blick» mit der erstmaligen Nennung ihres vollen Namens in einem Bericht über die Ereignisse an der Zuger Landammannfeier 2014 die Intimsphäre von Jolanda Spiess-Hegglin verletzt habe. Als das Verdikt der obersten Zuger Richter publik wurde, entschuldigte sich Marc Walder, Chef des Ringier-Verlages, der den «Blick» herausgibt, öffentlich und privat.

Doch auch damit ist die Sache juristisch nicht abgeschlossen. Wie jetzt bekannt wird, hat Spiess-Hegglin, vor sechs Jahren noch aufsteigende Politikerin der Grünen, gegen Ringier bereits Mitte August eine weitere, umfassende Klage beim Zuger Kantonsgericht eingereicht.

Im Kern geht es auch bei dieser Klage erneut um Persönlichkeitsverletzungen. Allerdings zielt Spiess-Hegglin nicht mehr nur auf den ersten Artikel, der im «Blick» erschienen ist, sondern auf fünf weitere. Im Juristendeutsch handelt es sich um eine so genannte Stufenklage. Die erste Stufe hat Spiess-Hegglin mit der Verurteilung des «Blicks» durch das Obergericht erreicht. Jetzt zündet sie die nächste.

Jetzt geht es um das Geschäftsmodell an sich

Mit der neuen Stufe kommt auch ein neuer Aspekt aufs Tapet. Während die erste Klage im Kern darauf zielte, die Persönlichkeitsverletzung gerichtlich festzustellen und dafür von Ringier Genugtuung zu erhalten, geht es jetzt um das Geschäftsmodell an sich. Konkret soll das Gericht ermitteln, wie viel Ringier mit der Veröffentlichung der mutmasslich persönlichkeitsverletzenden Artikel verdient habe.

Als Mass der Dinge gelten hier, vereinfacht gesagt, die Klicks, die «blick.ch» dank dieser Texte erzielt hat. Die Klicks sind massgebend für die Erträge, die eine Online-Plattform am Werbemarkt erzielt. Im Grunde kann man versuchen, den werbetechnischen Wert eines jeden Online-Artikels mit ein paar wenigen Kennzahlen damit ziemlich genau errechnen.

Spiess-Hegglin stellt in ihrer Klage dazu keine eigenen Berechnungen an. Sie verlangt aber, dass das Gericht von Ringier die entsprechenden Daten beschaffe, damit der erzielte Gewinn ermittelt werden kann. Juristisch ist das Neuland. In früheren Fällen wurde zwar gegen Medienhäuser auch schon auf die so genannte Gewinnherausgabe geklagt. Damals ging es aber im Wesentlichen darum, wie viele zusätzliche gedruckte Zeitungen – vor allem am Kiosk – mutmasslich wegen eines Artikels verkauft worden seien. Das war naturgemäss eine weniger exakte Wissenschaft, als sie im digitalen Raum möglich ist. Die gedruckten Zeitungen will Spiess-Hegglin zwar auch berücksichtigt sehen, doch im Grunde handelt es sich bei ihrer Klage um den ersten digitalen Gewinnherausgabe-Fall der Schweizer Mediengeschichte.

Beispiellose Löschungsaktion von Ringier

Die Plattformen von Ringier haben im Zusammenhang mit den Ereignissen der Zuger Landammannfeier Hunderte Artikel publiziert. Ringier hat diese mittlerweile alle gelöscht, auch aus dem Archivsystem «Schweizerische Mediendatenbank». Auch diese Aktion ist in der Schweizer Mediengeschichte beispiellos – wie fast alles an diesem Fall. Spiess-Hegglin indes ist gut dokumentiert: Sie hat alle Artikel abgespeichert, bevor sie im digitalen Raum zum Verschwinden gebracht wurden.

Die fünf eingeklagten Artikel gehörten zu den «besonders schlimmen Beispielen in der Kampagne gegen mich», sagt Spiess-Hegglin. In der 63-seitigen Klageschrift versucht ihre Anwältin Rena Zulauf in jedem einzelnen Fall den Nachweis zu erbringen, dass neue Persönlichkeitsverletzungen vorlägen. Befremdend sind bisweilen nur schon die Titel.

«Jolanda Heggli zeigt ihr Weggli»:

Ausriss der Ausgabe von Blick am Abend vom 4. Februar 2015.

Ausriss der Ausgabe von Blick am Abend vom 4. Februar 2015.

© CH Media

Oder: «Zuger Sex-Skandal: Die sechs Männer um Jolanda Spiess-Hegglin»:

Ausriss aus der Blick-Ausgabe vom 25.September 2015.

Ausriss aus der Blick-Ausgabe vom 25.September 2015.

© CH Media

Oder die Methoden der angewandten Recherche: So habe der «Blick» laut Klageschrift eine Verurteilung durch den Presserat, das Selbstregulierungsorgan der Schweizer Medienhäuser, genutzt, um eine weitere Persönlichkeitsverletzung zu begehen. Zudem habe der «Blick» die aufgrund der Medienkampagne psychisch geschwächte Frau mit unlauteren Methoden gezwungen, Persönliches preiszugeben, um einen weiteren, noch schlimmeren Artikel zu verhindern.

Mit der Klage gehe es ihr um Grundsätzliches, sagt Spiess-Hegglin, und zwar um den Journalismus: Es dürfe sich schlicht nicht lohnen, auf dem Buckel von Medienopfern mit Klicks Geld zu verdienen. «Dieses Geschäftsmodell, das aus Leid Kapital schlägt, muss aufhören».

Im Fall von Spiess-Hegglin und Ringier hat es das. Die Blätter des Zürcher Verlagshauses haben seit der Klage von Spiess-Hegglin nichts mehr über ihren Fall publiziert.

«Die grossen Verlage sind gegenüber Medienopfern in einer ungeheuren Übermacht – mit einem Durchschnittslohn kommt man gegen das Millionenbudget von Ringier im Normalfall nicht an», sagt Jeremias Schulthess, Geschäftsführer der medienkritischen Organisation Fairmedia. Nun biete sich die Gelegenheit, dieses Ungleichgewicht ein kleines Bisschen anzupassen: «Wenn die Klage erfolgreich ist, verbessert das Situation der Betroffenen von Medienberichten in der Zukunft massiv. Deshalb werden wir Jolanda Spiess-Hegglin bei ihrem Kampf für Gerechtigkeit weiterhin tatkräftig unterstützen.»

In einer Stellungnahme schreibt Ringier-Sprecherin Johanna Walser: «Wir haben die zweite Klage betreffend Gewinnherausgabe zur Kenntnis genommen. In der Klageantwort werden wir dem Gericht die massgebenden Informationen zur Gewinnberechnung offenlegen. Es ist aber zu befürchten, das die Vorstellung der Klägerseite über den erzielten Gewinn und die ökonomische Realität des Mediengeschäfts enorm weit auseinander liegen.»