Progressive Familienplanung: Martina Birchers Partner will Hausmann sein

Draussen ist es heiss – wie fast immer diesen Sommer. Drinnen ist es angenehm kühl. Im abgedunkelten Wohnzimmer sitzt Vater Fabian Meyer mit seinem sieben Wochen alten Söhnchen James-Henry auf dem Sofa und gibt ihm den Schoppen. Martina Bircher sitzt am Küchentisch und gibt ein Interview. Im Haus der Aarburger SVP-Gemeinderätin und Grossrätin sind die Rollen nicht so einseitig verteilt wie in den meisten Schweizer Haushalten.

Am ersten Juli wurde die 34-Jährige erstmals Mutter. Wie für alle jungen Eltern eine einschneidende Erfahrung. «Der Mittelpunkt hat sich total verändert», sagt Bircher. Man sei keine Sekunde mehr alleine. «Früher habe ich nach dem Aufstehen als Erstes die Zeitung gelesen, heute komme ich oft erst am Nachmittag dazu.» Eine Nacht durchzuschlafen, vor kurzem noch eine Selbstverständlichkeit, ist derzeit eine Seltenheit. «Zweimal pro Nacht kommt der Kleine noch», sagt Bircher.

Das sind Dinge, die jede junge Mutter erlebt. Mit einem Unterschied. Bircher hat derzeit immer ihren Lebenspartner zur Seite. Meyer ist Finanzplanungsexperte bei der Bank Cler. Doch am Arbeitsplatz war er schon lange nicht mehr. Er nimmt einen neunwöchigen Vaterschaftsurlaub. «Ich habe einen vorbildlichen Arbeitgeber», wirft Meyer vom Sofa aus ein. Dieser gibt ihm zwei Wochen Vaterschaftsurlaub und ermöglicht es, weitere vier Wochen unbezahlte Ferien zu nehmen. Mit weiteren normalen Ferientagen kommt Meyer so auf die neun Wochen.

Für Bircher ist der ausgedehnte Vaterschaftsurlaub ein Glück: «Zu zweit ist alles viel einfacher.» Als sie aus dem Spital kam, war sie quasi 24 Stunden am Stillen. Es falle viel Wäsche an, man habe Hunger. «Da ist es schon schön, wenn der Mann den Haushalt schmeisst», sagt Bircher. «Ohne ihn wäre es enorm anstrengend gewesen.» Klar könne man auch noch die Grosseltern fragen. Aber das ist nicht immer so einfach. «Mein Vater beispielsweise ist schon 82 Jahre alt und meine Schwiegereltern wohnen nicht in der Region.»

Den gesetzlich garantierten Vaterschaftsurlaub von einem einzigen Tag erachtet Bircher darum als «einfach nicht mehr zeitgemäss». Das sei ja gleichviel wie beim Zügeln. «Und eine Geburt ist schon ein wenig einschneidender als ein Wohnungswechsel.» Bircher ist – anders als die eigene Partei– für einen zweiwöchigen Vaterschaftsurlaub. Das könne aber auch teilweise zu Lasten des Mutterschaftsurlaubs gehen, so wie es die FDP vorgeschlagen habe.

Es tut sich was in der SVP. Vor neun Jahren trat die damalige St. Galler Nationalrätin Jasmin Hutter noch von allen Ämtern zurück, weil sie Mutter wurde. Heute nimmt Bircher die Unternehmen in die Pflicht: «In Zeiten von Fachkräftemangel sollen Arbeitgeber dazu schauen, dass den Frauen der Wiedereinstieg erleichtert wird.» Und dazu gehöre auch, den Männern Teilzeitarbeit zu ermöglichen.

Auch hier wird Bircher aktiv von ihrem Partner unterstützt. Meyer will auch nach seinem Vaterschaftsurlaub einen Tag pro Woche zu Hause sein und zu James-Henry schauen. Er wird 80 Prozent arbeiten und gehört dann zu einer kleinen Minderheit von rund 13 Prozent Schweizer Vätern, die ihr Arbeitspensum zugunsten von Kinderbetreuung reduzieren. All das ermöglicht Bircher den schnellen Wiedereinstieg in die Politik. Im Gemeinderat und Grossrat möchte sie im September wieder voll starten. Bei ihrer Arbeitsstelle bei der Post erhält sie einen 18-wöchigen Mutterschaftsurlaub. Birchers Ziel ist es, auch im Beruf wieder einzusteigen. Vielleicht nicht mehr mit 80 Prozent wie bisher. Sie diskutiere mit ihrem Arbeitgeber derzeit über eine Reduktion. Denn ihre politischen Ämter entsprechen heute schon einem Pensum von rund 30 Prozent. Und James-Henry will Bircher – ausserhalb der Vater- und Kita-Tage – auch noch betreuen.

Der Staat hat laut Bircher ein Interesse, dass die Frauen, die immer besser ausgebildet seien, auch arbeiten würden. Dazu komme: «Wenn sich Paare trennen und die Frau lange nicht gearbeitet hatte, landet sie in der Sozialhilfe.» Arbeitende Frauen würden zudem auch mehr Steuereinnahmen bringen und haben eine eigene Altersvorsorge.

«Arbeitgeber und Staat sollten mit Massnahmen wie Kindertagesstätten, Vaterschaftsurlaub, reduzierten Pensen oder Jobsharing dafür schauen, dass auch Mütter im Arbeitsleben bleiben», sagt Bircher. In Aarburg versuche man dies mit Betreuungsgutscheinen. Ab und an müsse man halt alte Ansichten durchbrechen. «So muss man zum Beispiel vom alten Zopf wegkommen, man könne nur mit 100-Prozent-Pensen Karriere machen.»

Partner Meyer putzt sich drüben auf dem Sofa grad das T-Shirt. Der Sohn musste sich nach der Milchflasche noch übergeben. «Für mich war immer klar, dass ich mindestens einen Tag das Kind betreuen werde», sagt Meyer und fügt lächelnd hinzu: «Ich könnte mir gar vorstellen, ganz Hausmann zu sein.» Dann holt er sich aus dem Kühlschrank ein Getränk und schiebt den nun schlafenden Junior im Kinderwagen in den Garten unter die Pergola.

Fabian Meyer und Martina Bircher teilen sich die Kinderbetreuung auf.
Fabian Meyer und Martina Bircher teilen sich die Kinderbetreuung auf.
Stolze Mutter: Drei Geburts-Holzschilder stehen in Birchers Garten.
Stolze Mutter: Drei Geburts-Holzschilder stehen in Birchers Garten.