
Reiden: Werterhaltende Pflege für die «Königin der Instrumente»

Wissenswertes zur Kirche St. Johannes der Täufer
Das katholische Gotteshaus in Reiden entstand in den Jahren 1793 – 1796 nach Plänen von Baumeister Niklaus Purtschert. Der Pfaffnauer ist auch als Erbauer weiterer Pfarrkirchen wie Ruswil, Richenthal und Schüpfheim bekannt. Im Jahr der Einweihung wurde im Chor eine Orgel – die zuvor im Kloster Gnadenthal, Niederwil AG, ihre Dienste geleistet hatte – eingebaut. Dieses Instrument fand bis Mitte des 19. Jahrhunderts Verwendung, ehe der Entlebucher Orgelbauer Lütolf aus Escholzmatt ein neues Instrument mit 22 Registern auf der Empore einbaute. Es wurde 1926 von der Firma Kuhn in Männedorf durch eine Orgel mit 35 Registern ersetzt. 1968 baute die Firma Graf die heute noch bestehende Orgel mit 3 Manualen, Pedal und 38 Registern ein, wobei der aus dem Jahre 1866 stammende Prospekt (inklusive Pfeifen) beibehalten wurde. Die Chororgel – die mittlerweile während eines Jahrhunderts ungenutzt blieb – konnte nach erfolgreicher Revision 1971 eingeweiht werden.
Ein Augenschein: Evelyn Kaufmann und Jens Krug sind mit dem Ausbau des Pfeifenwerks beschäftigt. Durch einen seitlichen Eingang gelangen die Orgelbauer hinter den mehr als 150 Jahre alten Orgelprospekt. Evelyn Kaufmann hebt jede einzelne der 2600 Pfeifen aus der Halterung und reicht sie vorsichtig an ihren Arbeitskollegen weiter, der sie auf einem Tisch auslegt. Der Ausbau der Pfeifen erfolgt registerweise. Danach werden diese sorgfältig von Schmutz, Russ oder gar Schimmel gereinigt. Im Bedarfsfalle werden lecke Abdichtungen ersetzt. «Wir achten darauf, möglichst wenig zu verändern. Eine Orgelrevision ist wichtig für die Werterhaltung des Instrumentes», bemerkt Evelyn Kaufmann während sie eine weitere Pfeife weiterreicht. Diese und alle andern werden nach der Reinigung wieder eingesetzt, bevor die Arbeit mit einem neuen Register weitergeführt wird.
Die Orgelpfeifen sind aus Holz oder Metall (Legierung aus Zink und Blei) gefertigt. Die längste ist 4,8 Meter lang, die kleinste misst winzige 8 Millimeter. Beim Spielen werden die Pfeifen vom Spieltisch aus angewählt. Im Blasebalg wird der Orgelwind erzeugt, der bei den betreffenden Pfeifen den gewünschten Ton erklingen lässt. Die Revisionskosten belaufen sich auf rund 100 000 Franken.
Registerauszug-Motoren laufen seit über 50 Jahren
Die ausgeleierte Klaviatur des Spieltisches wird ebenfalls überholt und der Blasebalg auf allfällige undichte Stellen an den Lederecken, die im Bedarfsfalle vor Ort repariert werden, untersucht. Die in der Orgel vorhandenen Registerzug-Motoren – die seit mehr als 50 Jahren in Betrieb stehen – sind bereits ausgebaut und werden von einer Spezialfirma revidiert. Befinden sie sich wieder an ihrem ursprünglichen Platz und die umfassende Reinigung ist abgeschlossen, wartet den Orgelbauern mit dem Stimmen jeder einzelnen Labialpfeife (Lippenpfeife) oder Lingualpfeife (Zungenpfeife) noch eine weitere zeitaufwendige und herausfordernde Arbeit. Dabei wird ein Register mit dem Stimmgerät eingestellt. Es dient als Basis für die übrigen Register, die nach Gehör gestimmt werden.
Erst danach kann die «Königin der Instrumente» wieder erklingen und die Gottesdienstbesucher in fröhlichen Momenten erfreuen oder bei traurigen Trost spenden.
Orgelbauer, ein seltener Beruf mit vierjähriger Ausbildung
Evelyn Kaufmann und Jens Krug sind gelernte Orgelbauer, die eine vierjährige Lehrzeit absolvierten. Die beiden haben aus unterschiedlichen Gründen zu diesem seltenen Beruf gefunden. Bei Evelyn Kaufmann mögen die Gene mitgespielt haben, war doch bereits ihr Vater als Orgelbauer tätig. Nach ihrer erfolgreich abgeschlossenen Ausbildung blieb sie ihrem Lehrbetrieb bis heute treu. Der Beruf habe im Laufe der Jahre einige Änderungen erfahren. Der Bau von neuen Orgeln sei seltener geworden. Revisionen, die im Turnus von 15 Jahren vorgenommen werden sollten, stünden vermehrt im Fokus, erklärt die Orgelbauerin. Sie hat ihre Berufswahl noch nie bereut.
Jens Krug, war bereits in seiner Kinder- und Jugendzeit ein begabter Musiker, der sich vorerst als Trompeter und Sänger betätigte. Ab 1992 besuchte er den Orgelunterricht. Nach der Matura startete er 1996 die Ausbildung zum Orgelbauer. Krug ist seit 2007 bei der Firma Orgelbau Graf AG in Sursee angestellt. Nebenberuflich ist er Organist der katholischen Kirche Triengen. Jedes Instrument stelle ein Unikat dar, und es gelte bei der Revision, sich auf dessen Eigenheiten einzulassen, bemerkt Krug, der sich nach wie vor über seinen vor mehr als zwanzig Jahren gefällten Entscheid, Orgelbauer zu werden, glücklich schätzt.
Grösste Orgel der Schweiz steht in Engelberg
Im Vergleich mit der grössten Orgel in der Schweiz, die in der Klosterkirche Engelberg steht, ist jene Reidens bedeutend kleiner. Das Instrument in der Exklave des Kantons Obwalden verfügt über 4 Manuale, Pedal und 137 Register mit 9097 Pfeifen. Es wurde vor einem Jahr von der Firma Graf revidiert. Für das eingespielte Team stehen dieses Jahr nach Beendigung der Revisionsarbeiten in Reiden weitere Einsätze in Sarmenstorf AG, Däniken SO und Menzingen ZG an.