Reidens Gemeindepräsident Kunz: «Mein Anliegen ist, dass ein konstruktiver Geist herrscht»

Herr Kunz, die neue Legislatur ist Anfang September gestartet, mit einem Gemeinderat in neuer Zusammensetzung. Wie ist die Stimmung im Gremium? 

Die Zusammensetzung des Gemeinderates hat auf einer Position geändert. Wir haben uns bereits im Juli erstmals getroffen und Fragen geklärt, am 7. September sind wir offiziell gestartet. Es ist sehr gut angelaufen, die Stimmung ist gut. 

Das können Sie brauchen, das war nicht immer so. 

Ja, es gibt genug Herausforderungen, die anstehen. Wenn es im Gemeinderatsgremium nicht funktioniert, wird es schwierig. Anfang Oktober trifft sich das Gremium zu einem Workshop für Teambildung. Es ist für mich sehr wichtig, dass das Gemeinderatskollegium auf einer Basis des Vertrauens zusammenarbeiten kann. Vertrauen ist eigentlich die Voraussetzung für eine erfolgreiche Ratstätigkeit. Mir ist es ein zentrales Anliegen, dass im Gemeinderat und in der Verwaltung ein guter und konstruktiver Geist herrscht. 

Die SVP brachte im Februar die Forderung auf, in Reiden das CEO- oder Geschäftsführungsmodell einzuführen. Die Gemeinde würde operativ von einer starken Figur geführt, der Gemeinderat hätte nur noch strategische Aufgaben. Wo stehen die Pläne? 

Da muss ich kurz zurückblenden. Das CEO-Modell sollte bereits zu Beginn der Legislatur 2016 bis 2020 eingeführt werden. Nach wenigen Monaten fiel der Gemeindepräsident aus … 

… und Sie haben das Ruder übernommen. Das war im Mai 2017. 

Ja. Damals gab es Kräfte im Gemeinderat, welche die Umsetzung stoppen wollten. Jetzt haben wir ein Zwitter-Modell. Wir haben einen strategischen Gemeinderat, der gleichzeitig Geschäftsleitung ist, wir sind aber nicht operativ tätig. 

Es gibt nichts Operativeres als eine Geschäftsleitung. 

Genau. Wir haben zwar eine Verwaltungsleitung eingesetzt, aber die Verantwortlichkeiten lassen sich einfach nicht optimal regeln. Das jetzige System hat ganz klar Schwächen. Mir war es ein Anliegen, das CEO-Modell noch einmal zu diskutieren. Das ging der SVP zu wenig schnell. Sie hat im Februar gefordert, dass man das umsetzt. In der alten Zusammensetzung des Gemeinderats war das nicht mehr möglich. Wir wollen das nun in der ersten Jahreshälfte 2021 anpacken. Die Weichen sind gestellt. Klar ist, dass der Gemeinderat nicht mehr operativ tätig sein soll. 

Was sind die grossen Brocken, die auf die Gemeinde zukommen? 

Auch da muss ich kurz zurückblenden. In den letzten Jahren wurde sehr viel gemacht. Kürzlich konnten wir das neue Schulhaus Reiden Mitte in Betrieb nehmen. Das war punkto Infrastruktur der grösste Brocken. Das zweite grosse Projekt ist die Badi. Das Projekt ist im Budget und auf Kurs. Anfang Dezember ist Eröffnung. Auch institutionell haben wir einiges gemacht: Gemeindestrategie erarbeitet, Gemeindeordnung und Organisationsverordnung angepasst, Sicherheitsbericht erstellt, Kommunikationskonzept erarbeitet. 

Schauen wir nach vorne, was kommt noch? 

Die Luzerner Aufgaben- und Finanzreform 18, die die Aufgaben zwischen Gemeinden und Kanton neu regelte, hat für uns positive Aspekte. Unter anderem ist der Gewässerbau nicht mehr Sache der Gemeinde. Wir haben hier zwei Projekte offen, die Kosten betragen insgesamt zirka 2,5 Millionen Franken, die nun der Kanton übernimmt. Ein weiteres Projekt ist der Bus-Hub. Wenn die SBB den Bahnhof ausgebaut hat, müssen wir einen neuen Bus-Hub bauen. Dazu setzten wir jährlich rund 2,8 Millionen Franken für diverse Infrastrukturaufgaben ein – Strassen, Kanalisation, Wasserversorgung. 

Die Verschuldung Reidens ist hoch, bei rund 60 Millionen Franken. 

Sie beträgt zurzeit zirka 3950 Franken pro Einwohner. Wenn das Schulhaus und die andern Infrastrukturprojekte abgerechnet sind, steigt die Verschuldung auf zirka 4900 Franken pro Einwohner. In drei Jahren soll die Verschuldung wieder sinken; langfristig sieht es nicht so schlecht aus, aber das reicht nicht. Wir müssen Massnahmen ergreifen, um die Verschuldung zu reduzieren. Das ist definitiv der grösste Brocken. Die Grundproblematik ist: Wir haben einen Pro-Kopf-Steuerertrag von plus/minus 1400 Franken, das kantonale Mittel ist zirka 1900 Franken. Die Steuererträge liegen also unter dem kantonalen Mittel. Bei den Steuern sind wir bei 2,2 Einheiten. Eine Steuererhöhung würde einen Attraktivitätsverlust bedeuten; dies gilt es zu vermeiden. Im Frühjahr 2020 hat der Gemeinderat deshalb ein Projekt für die Sanierung der Gemeindefinanzen gestartet. Erste Resultate konnten bereits ins Budget 2021 einfliessen. In den nächsten drei Jahren wollen wir weitere Massnahmen umsetzen. Zu einigen braucht es Volksentscheide. 

Zum Beispiel? 

Vor rund zehn Jahren wurde die Nachkommens-Erbschaftssteuer auf Gemeindeebene abgeschafft. Eine Wiedereinführung würde schätzungsweise 20 000 Franken pro Jahr einbringen. Das langfristige Ziel des Projektes ist, dass das Budget jährlich um rund eine Million Franken entlastet wird. Was wir vermeiden möchten, ist eine Steuererhöhung. 

Wie viel wird das Budget 2021 im Minus sein? 

Aufgrund der Folgen der Corona-Pandemie rechnen wir tatsächlich mit einem Verlust. Den Betrag kann ich Ihnen nicht nennen, da er noch nicht öffentlich ist. 

Sie haben kürzlich ein neues Kommunikationskonzept beschlossen. 

Ja, die Kommunikation war in den vergangenen Jahren nicht optimal. Jetzt haben wir eine gute Sache. Das Konzept wurde den Mitarbeitern kürzlich vorgestellt. Die Umsetzung erfolgt schrittweise. Wir geben uns dafür ein Jahr Zeit. 

Ein weiteres wichtiges Projekt ist das neue Bau- und Zonenreglement. 

Ja. Die Gemeinde muss 4,6 Hektaren Bauland zurückzonen, vor allem in Langnau und Richenthal. Das ist eine gewaltige Herausforderung. 

Die bürgerlichen Parteien warben bei den Gemeinderatswahlen damit, dass sie Visionen hätten. Was sind Ihre Vorstellungen: Wohin soll sich Reiden mittel- und langfristig entwickeln? 

Wir wollen attraktiv sein für Bewohner und Zuzügler. Zudem können wir noch eine beschränkte Anzahl Firmen ansiedeln. Starke KMU, die Wertschöpfung generieren und ein gutes Jobangebot haben – und vor allem den Steuersitz in Reiden haben. Das sind die Firmen, die wir möchten. Wenn wir eine tolle Anfrage hätten, könnte ich mir sogar vorstellen, noch eine entsprechende Parzelle einzuzonen. Es müsste eine Firma mit nationaler oder internationaler Ausstrahlung sein. Zudem möchten wir das Bau- und Zonenreglement so steuern, dass eher kleinere Mehrfamilienhäuser mit besserem Ausbaustandard geplant und gebaut werden. 

Vor rund einem Jahr informierte die Gemeinde über den Plan, Tempo 30 etappenweise auf Gemeindegebiet einzuführen. Wo steht das Projekt? 

Das Anliegen hat man aufgrund von Anfragen aus der Bevölkerung aufgenommen. Wir haben entsprechende Strassen ausgeschieden und in den Quartieren Versammlungen einberufen. Da ist etwas passiert, was wir nicht gedacht hätten: Die Meinungen waren komplett divergierend. Einige meinten, es müsse unbedingt Temporeduktionen geben, andere fanden das komplett unnötig. Weil wir in anderen Projekten gefordert waren, ist das Projekt etwas in den Hintergrund gerückt. Es ist geplant, dass wir noch dieses Jahr entscheiden, wie es weitergeht. Bei den Sprechstunden des Gemeinderates ist Tempo 30 fast jedes Mal ein Thema. 

Wie grosse Sorgen bereiten Ihnen die Sozialausgaben? 

Sie machen uns Sorgen. Mit der Aufgaben- und Finanzreform wurden auch Aufgaben an Gemeinden überwälzt, Prämienverbilligungen für Sozialhilfebezüger beispielsweise. Die Sozialkosten sind tatsächlich ein Fass ohne Boden. Das betrifft aber alle Gemeinden.