Rentnerin (†66) getötet: Bald beginnt der Prozess gegen den Inhaftierten – heute findet der Trauermarsch statt

Die Enttäuschung oder gar Empörung war bei den Betroffenen gross, als die Staatsanwaltschaft Lenzburg-Aarau Anfang Dezember bekanntgab, dass sie beim Fall der grausam getöteten Rentnerin Hildegard «Hildi» Enz-Rivola beim Bezirksgericht Aarau keine Anklage wegen Mordes und mehrfachen Betäubungsmittelkonsums erheben, sondern eine stationäre therapeutische Massnahme in einer geschlossenen Einrichtung beantragen werde. Sie folgte dabei einem psychiatrischen Gutachten, wonach der zum Tatzeitpunkt 28-jährige Angeklagte schuldunfähig sei. Er leide an paranoider Schizophrenie, aus forensisch-psychiatrischer Sicht sei seine Einsichtsfähigkeit beim Mordakt aufgehoben gewesen. Mindestens 30 Mal stach der Mann in den Oberkörper der überfallenen und völlig wehrlosen 66-Jährigen, dazu zahlreiche weitere Male auf ihre Beine und Arme.

«Wenn der Psychiater zum Schluss kommt, dass der Täter nicht schuldfähig ist und die Staatsanwaltschaft das Gutachten nicht in Zweifel zieht, ist dieses Vorgehen korrekt», erläuterte der erfahrene Strafverteidiger Urs Oswald das Verfahren gegenüber dieser Zeitung. Daran ändert auch der niedrige Beweggrund des Täters nichts, der für eine Mordanklage mit allfälliger lebenslanger Haft gegeben wäre. Der 28-Jährige habe die Rentnerin getötet, um an ihre Wohnung zu kommen. Da er vier Jahre zuvor als Sanitär dort gearbeitet hatte, wusste er, dass sie alleine wohnte.

Wurde niemand auf die psychischen Probleme aufmerksam?

Die Familie und viele Freunde und Bekannte des Opfers sind fassungslos. Was müsse ein erwachsener Mensch denn sonst noch alles tun, um als schuldfähig zu gelten, fragte sich der Sohn von Hildegard Enz-Rivola. Schon leichte Depressionen seien nur schwer oder kaum zu heilen. Jemand, der grundlos eine solch grauenvolle Tat begehe, «sei doch gar nicht therapierbar».

Wie kann es sein, dass niemand auf die schwerwiegenden psychischen Probleme des Täters aufmerksam wurde? Als die Zeitung «20 Minuten» vor dem Haus der Familie des Täters in Unterentfelden auftauchte, deutete noch nichts darauf hin. Der Bruder und ein Freund des Täters sagten gegenüber «Tele M1», sie könnten sich nicht vorstellen, dass dieser die Tat begangen haben soll. Ein Anwohner sagte, die Familie mache einen guten Eindruck. «So haben die Eltern ihn sicher nicht erzogen.» Ein Bekannter deutete dann immerhin auf Probleme mit Alkohol und Drogen und dass der Täter deshalb mal in einer Klinik war. Er sei nie besonders sympathisch aufgetreten und meist alleine unterwegs gewesen. Von einer Schizophrenie sprach aber niemand. In den sozialen Medien präsentierte sich der Täter als Auto- und Musikfan, er spielte früher in einer Fussballmannschaft der Region und arbeitete auf dem Bau, war dann aber arbeitslos.

Die Suchaktion nach dem Täter hielt die Region fast einen Monat lang in Atem. Die Kantonspolizei setzte eine Sonderkommission ein, hängte Zeugenaufrufe auf. Die Tat geschah heute Freitag vor einem Jahr; am 12. Februar wurde er verhaftet. Rund 70 Hinweise aus der Bevölkerung waren eingegangen, doch keiner führte zum Täter. Die Polizei leistete solide Ermittlungsarbeit.

Auch ohne Mordanklage dürfte der Täter eingesperrt bleiben

Im Quartier des Opfers an der Aarauer Erlinsbacherstrasse gab man sich damals erleichtert: «Wir sind froh, dass der Täter gefasst ist», sagte ein Anwohner der AZ. Seine Ehefrau sei seit dem Mordfall nicht mehr allein mit dem Hund spazieren gegangen. Mit dem Bekanntwerden des Täters wurde dafür seine Nachbarschaft in Unterentfelden aufgeweckt: «So etwas macht Angst. Meine Tochter geht nun nur noch mit dem Auto zur Arbeit», sagte dort ein Mann gegenüber «20 Minuten».

Den Mord hat der Täter zuerst lange bestritten. Im April gab die Polizei bekannt, dass die Tatwaffe bei ihm gefunden wurde, der Verdacht erhärtete sich. Seit der Festnahme ist er hinter Gittern – und dürfte es wohl trotzdem lebenslänglich bleiben, auch wenn keine Anklage auf Mord gestellt wird. Mit der stationären Massnahme – der sogenannten kleinen Verwahrung – sei ebenfalls gewährleistet, dass er keine Gefahr für die Öffentlichkeit darstellt, sagte Strafverteidiger Urs Oswald.

Am 19. Februar wird sich der Täter vor dem Bezirksgericht Aarau verantworten müssen. Die Richter müssen sich dann von der Schuldunfähigkeit des Täters überzeugen lassen. Für die Familie und Freunde von Hildegard Enz, die heute am Trauermarsch in Aarau teilnehmen, dürfte dies kaum ein Trost sein. Ihre liebe Freundin, Mutter und Grossmutter, «die immer ein offenes Ohr und ein warmes Herz hatte», wie sie sagen, wird nicht zurückkehren.
 

Gedenkmarsch heute Freitag 16 bis 18 Uhr, Treffpunkt bei Feuerstelle Aareinsel.