Rico Peter: «Jetzt folgt der Teil, in dem einfach alles passen muss»

Am 19. und 25. Februar 2018 finden die dritten und vierten Läufe der Zweier- und Viererbob-Wettbewerbe an den Olympischen Winterspielen in Pyeongchang statt. Wie präsent sind diese Daten in Ihren Gedanken?
Rico Peter:
Sie sind da. Es gibt aber schon vorher wichtige Rennen, in denen wir die Selektionskriterien von Swiss Olympic erfüllen wollen. Wobei diese Resultate für uns Formsache sein müssen. Gefordert sind zwei Top-Acht-Klassierungen mit beiden Schlitten, was ohnehin unser Minimalziel ist. Kommt hinzu, dass jedes Team auf eine Olympiasaison hin Fortschritte macht und sich materiell verstärkt. Da ist es schwieriger, an der Spitze mitzufahren. Ich hoffe aber, dass auch wir diesen Schritt gemacht haben.

Wie realistisch stufen Sie heute eine Olympiamedaille ein?
Das ist unser Ziel und realistisch, wenn man die vergangene Saison und die Resultate des letzten Weltcuprennens in Pyeongchang betrachtet – zumindest, was den Viererbob betrifft. Mit dem Zweierbob wird es härter, eine Medaille zu gewinnen. Allerdings haben wir auch für den kleinen Schlitten neues Material besorgen können und wissen, dass wir in diesem Bereich immer gut waren. Wenn in Südkorea die richtigen Kufen am Schlitten montiert sind, liegt vielleicht auch im Zweierbob plötzlich eine Medaille drin.

Ist der Druck grösser als vor einer «normalen» Saison?
Es ist sicher etwas mehr Druck vorhanden, weil das Ziel bevorsteht, auf das man dreieinhalb Jahre lang hingearbeitet hat. Jetzt folgt der Teil, in dem einfach alles passen muss. Wir haben eine optimale Ausgangslage geschaffen, sodass unser Vorhaben klappen kann. Jetzt müssen die ersten Weltcuprennen kommen und wir sehen, wo wir stehen.

Wie gehen Sie mit Drucksituationen allgemein um?
Ich hatte damit nie Probleme, auch Weltmeisterschaften sind für uns ein grosser Anlass. Ich bin eher locker eingestellt und setze mich nicht unter Druck. Dennoch habe ich von der Teilnahme bei den Olympischen Winterspielen 2014 in Sotschi einiges gelernt. Damals stand ich am Startbalken und dachte: «Jetzt folgt dieses Rennen.» Dabei hätte in dieser Situation alles andere in meinen Kopf auftauchen müssen als dieser Gedanke. Inzwischen arbeiten ich und meine Anschieber mit einem Mentaltrainer zusammen, damit das nicht mehr passiert. Ich habe aber ein junges Team, das die Aufgaben nicht zu verbissen und relativ unbelastet angeht. Das freut mich. 2014 in Sotschi war eine eindrückliche Erfahrung, was Druck angeht. Es ist schon komisch, wenn man am Start plötzlich denkt, dass es jetzt klappen muss. Dann geht es sowieso in die Hosen.

Dann ist es für Sie im Hinblick auf Südkorea hilfreich, schon Olympia-Luft geschnuppert zu haben?
Ja. Ich hatte mir das Treiben in Sotschi anders vorgestellt. Ich dachte, rund um die Bahn herrsche ein riesiger Rummel, dabei war es während des Wettkampfs ziemlich ruhig. Es kam mir vor wie bei einem normalen Weltcuprennen. Das war gut so, weil ich auch sonst eher ein ruhiger Typ bin und meine Freiheiten geniessen konnte. Diesmal reise ich nicht mit einem falschen Bild an die Olympischen Spiele.

Bereitet man sich auf eine Olympia-Saison anders vor als üblich?
Vom Inhalt der Vorbereitung und punkto Bobfahren lief eigentlich alles so ab wie in früheren Jahren. Einzig beim Material haben wir zugelegt und den Trainingsumfang vergrössert. Ich habe diesen Sommer voll auf die Karte Sport gesetzt, um athletisch alles rausholen zu können. Das hat viel geholfen. Da ich im Sommer nicht mehr gearbeitet habe, konnte ich mehr Zeit in die Erholung investieren. Ich zähle nicht zu den stärksten Athleten am Start, das hat beim Zweierbob gefehlt. Dort wollten wir zulegen. Jetzt hoffe ich, dass wir noch schneller starten werden.

Welche Erkenntnisse haben Sie aus der letzten Saison gewonnen?
Bei der Ausrüstung sind wir im Viererbob bei den Besten dabei, wahrscheinlich besitzen wir hier sogar das beste Material. Im Zweier liegt noch einiges drin, darum haben wir viel in eine neue Aerodynamik investiert und weitere Änderungen vorgenommen.

Vor Ihrer Abreise in die USA haben Sie eine Trainingswoche in Pyeongchang verbracht. Warum?
Die Bahn ist anspruchsvoll, aber nicht vergleichbar mit jener in Whistler. Man kann in Pyeongchang Fehler machen und fällt nicht gleich um. In der Bahn ist es jedoch schwierig, schnell zu fahren. Das Bündel an schnellen Spuren, das man sieht und fahren kann, ist sehr breit. Welche Linie davon die schnellste ist, ist schwer herauszufinden. Deshalb war die Woche eine wertvolle Erfahrung, das nächste Mal dürfen wir erst kurz vor den Olympischen Spielen vor Ort trainieren.

Sie haben mit den Vorbereitungen für die Saison früh begonnen. Ist es Ihnen und Ihrem Team nie langweilig geworden?
Es war ein sehr langer Sommer. Weil man den eigentlichen Bobsport nicht wirklich ausüben kann, haben wir viel Abwechslung in den Trainingsalltag eingebracht, damit die Motivation hoch bleibt. Wir gingen in Norwegen fischen, sind auf dem Vierwaldstättersee Wasserski gefahren oder haben in Italien Ausflüge unternommen.

Wo stehen Sie und Ihr Team jetzt?
Wir sind verletzungsfrei geblieben und jeder ist persönlich nochmals stärker geworden. Weil man im Bobsport als Team funktionieren muss, sehen wir erst beim Weltcupauftakt in Lake Placid, wo wir im Vergleich mit der Konkurrenz stehen.

Wie wichtig sind die Weltcuprennen bis im Februar?
Die Saison beginnt auf Bahnen in Übersee, die uns sehr liegen und auf welchen wir letzte Saison regelmässig Podestplätze erzielt haben. In Lake Placid, Park City und Whistler wollen wir die nötigen Olympia-Limiten knacken, damit wir uns danach bei den Weltcuprennen in Europa auf andere Sachen konzentrieren können. Vielleicht ändern wir etwas in materialtechnischer Hinsicht, unser Trainer und Bobbauer Wolfgang Stampfer hat einige Ideen.

Ihr verbringt als Team viel Zeit. Ist es schon zu Lagerkoller gekommen?
Während der Saison verläuft das Zusammensein nicht immer reibungslos. Die letzten drei Jahre hatte ich aber ein tolles Team, es ist nie etwas Schlimmeres vorgefallen. Wir sind zwar immer gemeinsam unterwegs, jeder nimmt sich aber seine Zeit, um an einem freien Tag auch einmal für sich zu sein. Wenn jemand seine Ruhe braucht und für eine Woche ein Einzelzimmer belegt, ist das kein Problem. Wenn dennoch Unstimmigkeiten vorhanden sind, sprechen wir sie an. Dann bin ich als Pilot und Teamführer gefordert. Dass es keinen Zoff gibt, ist auch ein Grund für unseren Erfolg.

Kriegen Sie von Ihren Anschiebern etwas zu hören, wenn Sie einen Fahrfehler begehen?
Wenn ich einen Fahrfehler mache, ist das ärgerlich. Ausser nicht ernst gemeinten Sprüchen kommt aber wenig zurück. Ich lasse den Schlitten in der Bahn laufen, weshalb es eher einen Schlag absetzt. Das kostet nicht so viel Zeit, wie wenn ich ständig mit den Seilen eingreifen und zu viel lenken würde. Das wissen meine Anschieber, und bis auf wenige Rennen waren wir immer relativ schnell unterwegs. Unser Problem liegt meistens beim Start, obwohl ich dort auch dabei bin und als langsamster Athlet nicht motzen darf.

Wie wird entschieden, welcher Anschieber für Tempo sorgt?
Generell entscheiden ich und Nationaltrainer Wolfgang Stampfer, wer zum Einsatz kommt. Er kann die Situation neutral einschätzen und weiss als ehemaliger Pilot, welche Punkte wichtig sind. Im Zweierbob fährt grundsätzlich immer der stärkste Athlet mit, es finden aber während der Saison mehrere Wechsel statt. Man kann alle Rennen mit dem gleichen Anschieber bestreiten, nur ist dieser beim wichtigsten Wettkampf mit Sicherheit nicht gleich fit, wie wenn er zuvor die eine oder andere Pause erhalten hätte. Im Viererbob ist die Ausgangslage klarer, hier sind die drei schnellsten Athleten dabei. Doch auch hier greift man auf den Ersatzmann zurück, falls einer angeschlagen ist. Umso wichtiger sind die Rückmeldungen der Anschieber, denn es kommt auf jede Hundertstelsekunde an – auch wenn die Differenzen im Team minim sind.

Deutschland ist seit Jahren das Mass der Dinge im Bobsport. Ist die Schweiz im internationalen Vergleich noch konkurrenzfähig?
In der Bahn sind wir gut dabei. Es ist jedoch krass, welches Budget der Deutsche Verband im Vergleich zu uns zur Verfügung hat. Sein neuster Bob wurde im Windkanal von Sponsor BMW entwickelt. Das sind Möglichkeiten, die wir nicht – oder noch nicht – besitzen. Diesbezüglich ist der Schweizer Verband etwas stehen geblieben. Wir sind als Team trotz Unterstützung von Swiss Sliding und der Sporthilfe selber verantwortlich dafür, dass wir das beste Material erhalten. Aus diesem Grund bestreiten wir die Viererrennen mit einem «Stampfer-Schlitten», den unser österreichischer Trainer gebaut hat und der zu den schnellsten zählt. Der Citius-Zweierbob ist ein Schweizer Produkt, wurde aber mithilfe der neuen Aerodynamik von Wolfgang Stampfer weiter entwickelt. Auf diese Weise können wir mit Deutschland in der Bahn mithalten, aber niemals in jenem Ausmass, was die Tests betrifft.

Was muss geschehen, damit die Schweiz wieder eine führende Bob-Nation wird?
Einerseits müssen Athleten aus dem Nachwuchs nachrücken. Noch ist unklar, was mit mir oder Beat Hefti nach den Olympischen Spielen passiert. Swiss Sliding hat den Deutschen Olympiasieger und Weltmeister Christoph Langen als Nachwuchscoach verpflichtet, der kürzlich mit vielen Athleten in Oberhof im Training war. Wie viele davon aber den Sprung an die Spitze schaffen, kann ich nicht abschätzen. Sicher ist, dass hier Fortschritte erzielt werden müssen, damit die Schweiz irgendwann wieder eine Chance gegen Deutschland hat. Auf der anderen Seite müssten sich die Sponsoren nach Pyeongchang nochmals für vier Jahre als Geldgeber verpflichten. Die finanzielle Lage des Verbands hat sich um einiges gebessert, die hohen Schulden wurden abgearbeitet. Die Gesamtsituation in der Schweiz ist aber längst nicht vergleichbar mit der in Deutschland.

Was meinen Sie damit genau?
Dank dem System mit der Bundeswehr ist das Deutsche Förderangebot breiter abgedeckt, was es den Athleten vereinfacht, den Weg in Richtung Spitzensport einzuschlagen. In der Schweiz hingegen muss man einige Kriterien erfüllen, um überhaupt in den Genuss der Sport-Rekrutenschule der Armee zu kommen. Ich habe Schulungen besucht, bei denen mir bewusst geworden ist, dass oft ein Studium vorausgesetzt wird für eine Karriere im Spitzensport. Ich habe eine Lehre auf dem Bau abgeschlossen, diese Möglichkeiten werden überhaupt nicht in Betracht gezogen.

Zurück zu Ihnen persönlich: Wie schwierig ist es für Sie, während der Saison jeweils mehrere Tage von der Familie weg zu sein?
Sagen wir es so: Es ist umso schöner, nach Hause zu kommen. Am schwierigsten ist die Distanz zur Tochter. Früher waren ihre Entwicklungssprünge während meinen Abwesenheiten riesig, da lagen Welten zwischen Hin- und Rückreise. Mittlerweile ist sie sechs Jahre alt und macht dieses Leben schon eine gefühlte Ewigkeit mit, zudem erleichtern die technischen Möglichkeiten wie Skype vieles. In meinem Team war sich jeder bewusst, was auf ihn zukommt, wenn er den Weg als Spitzensportler einschlägt. Vielleicht wird es bald nicht mehr so sein, deshalb geniessen wir das Hier und Jetzt umso mehr.

Das tönt, als würden Sie nächste Woche in Ihre letzte Saison starten.
Diesen Entscheid lasse ich mir offen. Am wichtigsten ist betreffend Zukunftsplanung die Situation mit den Sponsoren, ohne diese geht es nicht. Es ist meine 13. Saison, seit meinem ersten Jahr ist kein Sponsor abgesprungen. Nach einigen Franken am Anfang der Karriere sind es jetzt riesige Summen, die sie investieren. Deshalb würde ich es verstehen, wenn sie sich anders orientieren wollen. Wenn sie sich aber nochmals dazu bereit erklären, mich und mein Team vier Jahre zu unterstützen, dann wäre schon sehr viel geklärt.

Sie würden Ihre Karriere also je nach dem bis zu den Olympischen Winterspielen 2022 in Peking fortsetzen?
Die Saison 2018/19 wäre insofern interessant, weil die Weltmeisterschaften in Whistler stattfinden, wo wir die letzten drei Jahre sehr erfolgreich waren. Es wäre eine grosse Motivation, nochmals auf der schwierigsten Bahn der Welt gegen die Konkurrenz anzutreten. Aber wie vorhin erwähnt, zuerst müssen andere Punkte besprochen werden.

Fehlen würde in Ihrem Palmarès ja auch noch ein Sieg auf der «Heimbahn» in St. Moritz. Verraten Sie uns zum Schluss noch, warum Sie sich so schwer tun mit dem Natur-Eiskanal?
Ich weiss es nicht. Letzte Saison lief in den ersten Läufen alles gut, danach musste unbedingt noch etwas schief gehen. Sei es im Zweier, als die Anschieber zu weit gelaufen sind, oder im Vierer, als ich schlecht gefahren bin. Es kann nur noch besser kommen.

Zur Person
Rico Peter ist 34 Jahre alt und wohnt in Kölliken. Der gelernte Landschaftsgärtner, der im Sommer als Lastwagenchauffeur tätig ist, begann 2003 als Anschieber und debütierte zwei Jahre später als Pilot im Bobsport. In der Saison 2011/12 startete Rico Peter erstmals im Weltcup, inzwischen ist er die Nummer eins bei Swiss Sliding. Zu seinen grössten Erfolgen zählt er den Gewinn von Bronze bei den Weltmeisterschaften 2016 in Igls (Ö) im Viererbob sowie Silber bei den Europameisterschaften 2014 in Königsee (De) und Bronze 2015 in La Plagne (Fr), beides im Zweierbob. Hinzu kommen je ein dritter Platz in der Gesamtweltcup-Wertung mit beiden Schlitten. Bisher hat Peter drei Weltcupsiege gefeiert: Im Zweier in Whistler (Ka) und Sotschi (Russ), im Vierer in Lake Placid (USA). Zudem startete der ledige Vater einer 6-jährigen Tochter 2014 in Sotschi erstmals an Olympischen Winterspielen und beendete die Zweier-Konkurrenz auf dem zehnten Platz. Die Saison 2017/18 nimmt Rico Peter mit den vier Anschiebern Simon Friedli, Thomas Amrhein, Alex Baumann und Fabio Badraun in Angriff. Letzterer kehrt nach einjähriger, berufsbedingter Pause zurück und ersetzt den Holländer Janne Bror van der Zijde. Das grosse Ziel des Teams ist der Gewinn einer Olympia-Medaille im Februar 2018 in Pyeongchang (SKor).