
Satiriker Peter Schneider will «mit mehr Gelassenheit erziehen»
ZUR PERSON
Der gebürtige Deutsche Peter Schneider hat Philosophie, Germanistik und Psychologie studiert. Der 62-Jährige lebt und arbeitet in Zürich als Psychoanalytiker. Er war Privatdozent für Psychoanalyse sowie Professor für Entwicklungs- und Pädagogische Psychologie an der Universität Bremen. Seit vielen Jahren ist Peter Schneider auch als Satiriker (SRF3 und Sonntagszeitung) und Kolumnist (Tagesanzeiger und Bund) tätig. Zudem ist er Autor zahlreicher Bücher, wie «Cool down – Wider den Erziehungswahn» welches mit Andrea Schafroth im Basler Zytglogge Verlag erschienen ist.
Das Zerlegen, Ergründen und Reflektieren von Gedankengängen ist seine Passion. Peter Schneider scheut sich nicht, als «Erklärbär» über diverse Themen genüsslich seine Meinung zu sagen und darüber herzuziehen. Als SRF3-Haus-Satiriker der Radiosendung «Presseschau», Medienkritiker, Kolumnist und Frage-Onkel für alle philosophischen Lebenslagen eckt der gebürtige Deutsche an. Der 62- jährige Psychoanalytiker ist auch Buchautor. Vorwiegend finden sich zwischen den Buchdeckeln seine scharfsinnigen, humorvollen und bissigen Kolumnen. In Zofingen diskutiert der Vater eines erwachsenen Sohnes (29) mit Line Tabakovic, Soziokulturelle Animatorin in Zürich, über die ewige Leier zu Regeln und Grenzen in der Erziehung. Schneider plädiert für eine erzieherische Abrüstung und rät Eltern, sich von Erziehungszwängen zu befreien und «mit mehr Gelassenheit zu erziehen».
Peter Schneider, es gibt tonnenweise Erziehungsratgeber und ebenso ein riesiges Angebot an Kursen für Eltern. Was halten Sie davon?
Tendenziell eher weniger, denn die meisten sind schlecht. Da werden Normen und Regeln propagiert, die wenig alltagstauglich sind. Und Tipps gegeben, wie Eltern scheinbar mit einem Kniff das Leben mit Kindern in den Griff bekommen. Das Problem ist, dass all diese Ratgeber sich Kindererziehung wie Holzhacken vorstellen. Die Erziehung findet aber nicht von 9 bis 21 Uhr statt, sondern es beinhaltet ein Zusammenleben mit Kindern, aus dem sich etwas für alle ergibt. Bei vielen Autoren geht die Vorstellung einher, dass Kinder zu Tyrannen erzogen werden. Das macht die Familie zu einer Art Wohnheim von schwer erziehbaren, schwer gestörten Kindern, indem man jeden Augenblick aufpassen muss, dass diese Familieninsassen nicht die Herrschaft übernehmen. In der Realität trifft dies aber auf einen minimalen Prozentsatz der Jugendlichen zu. Es ist also völlig absurd, dass Eltern zu einer Art Partisanenarmee werden sollen.
Kinder brauchen aber Regeln.
Zweifelsohne, und sie wachsen ja nicht regellos auf. Der ganze Alltag ist ja davon bestimmt. Ständig Grenzen zu setzen ist aber eine alarmistische Parole. Man könnte ja auch sagen, dass die Eltern dazu da sind, um Kindern dabei zu helfen, Grenzen zu überwinden.
Sie haben dazu aber mit Andrea Schafroth auch ein Buch geschrieben. Was bringt es Eltern «Cool down – Wider den Erziehungswahn» zu lesen?
Ich weiss nicht, ob es Eltern etwas nützt. Aber es bringt einen dazu, entspannter mit dem Thema umzugehen, und die Alarmbücher, die den kommenden Untergang durch die neue Generation verkünden, beiseite zu lassen. Dasselbe gilt für Meldungen in den Medien. Eltern dürfen sich nicht bei jeder neuen Aufregung anstecken lassen. Es ist mehr ein Wegwerf-Aufräum-Buch als ein Einkaufsführer. Ein Plädoyer, dass das Leben mit Kindern keinen Grund zur Dauerempörung gibt. Selbstverständlich bringt jeder Tag neue Fragen und neue Herausforderungen. Deshalb ist es unsinnig, zu denken, man könnte auf ein Regelwerk zurückgreifen.
Ihr Sohn ist 29 Jahre alt. Worauf haben Sie bei der Erziehung geachtet?
Ehrlich gesagt, weiss ich das nicht mehr so genau. Wir waren mit ihm so, wie sonst im Alltag – eher zurückhaltende Menschen. Ich könnte nachträglich gewisse Erziehungsgrundregeln konstruieren, denen wir zugestimmt hätten, die wären vermutlich aber so allgemein wie die Erklärung der Menschenrechte.
Sollen Eltern Vorbilder sein?
Das sind sie automatisch. Es ist aber nicht steuerbar, weil die Kinder über die Punkte entscheiden. In diesem Sinn halte ich nicht viel davon, wenn man sich bei jeder Tätigkeit überlegt, ob man ein Vorbild ist oder nicht. Es gibt Sachen, die Erwachsene dürfen und Kinder nun mal nicht. Wenn das Kind um acht ins Bett muss, dann muss ich nicht auch um diese Zeit schlafen gehen. Alkohol trinken und rauchen darf man auch erst ab einem bestimmten Alter und vorher nicht.
Haben Sie Ihren Sohn zu etwas gezwungen?
Wahrscheinlich war es der Fall, aber ich kann oder will mich nicht daran erinnern (lacht). Wie in jeder engen Beziehung hatten auch wir unsere Kämpfe und Disharmonien.
Damit Kinder ihren Weg gehen können, muss es manchmal nervig sein.
Auf jeden Fall. Es kann gar nicht entspannt zwischen Erwachsenen und Kindern sein, ausser man macht es beruflich. Jemand hat gesagt, dass Kinder zu gleicher Zeit niedlich und nervig sind. Es ist wie mit Haustieren. Man hat seinen Hund wahnsinnig gerne und hat das Gefühl, er mag einen auch, doch die Beziehung bleibt asymmetrisch. So ist es auch mit Kindern. Kinder haben andere Interessen und Bedürfnisse. Deshalb sollte man sich auch das Leben nicht zusätzlich mit starren Regeln und Belohnungssystemen erschweren, sondern sich daran freuen, dass die Goofen süss sind und Improvisation gefragt ist.
Was halten Sie von Unterstützung bei der Kinderbetreuung?
Ich bin ein absoluter Vertreter einer gut abgestützten Kinderbetreuung. In diesem Bereich herrscht aber, wenn es um die öffentliche Unterstützung geht, vor allem von rechtskonservativer Seite eine komische Doppelmoral. Dann wird das Kindswohl danach bestimmt, wie sehr sich die Eltern das Leben diktieren lassen, und die Mutter hat zu Hause zu bleiben, um die Kinder den ganzen Tag zu dressieren.
Peter Schneider und Line Tabakovic diskutieren zum Thema «Regeln und Grenzen in der Pädagogik – die ewige Leier» morgen Donnerstag, 19.30 Uhr, in der Aula des Gemeindeschulhauses Zofingen. Die Volkshochschule als Organisatorin lädt anschliessend zum Apéro ein.