
Schulterzucken im Mühlethal
Beim alten Weiher steht eine überschwemmte Bauruine. Der Hang hat den Investoren einen Strich durch die Rechnung gemacht. Wer von hier ist, weiss, der Härdöpfuhoger führt viel Wasser.
Der Sonnenhang, gleich gegenüber, geriet samt altem Kirschbaum ins Visier der Bauindustrie. Der Bau, der entstehen sollte, erinnerte an einen kommunistischen Plattenbau. Beschwerden bei der Bauverwaltung Zofingen wurden abgespeist. Alles sei rechtens – Einsprache lohne nicht. Unter Druck der Anwohner, die auf eigene Kosten einen Anwalt nahmen, stellte sich heraus, dass diese Aussage falsch war. Das Projekt musste neu angegangen werden.
Mühlethal wandelt sich vom einst beschaulichen Dorf zu einer wilden Ansammlung von Betonklötzen individuellen Baustils. In den letzten 20 Jahren wurde hier manche Bausünde begangen. Nun droht eine neue Gefahr. Grosse Wohnkomplexe sollen dem Dorf die letzten Grünflächen verderben.
Die rücksichtslose Bauerei im Ort veranlasste die Mühle-thaler schon 2009, ein Mitwirkungsverfahren anzustreben. 87 Mühlethaler forderten eine Veränderung der Bauzonen hin zu mehr Verträglichkeit mit dem Ortsbild. Stadtammann Hottiger versprach den Leuten eine Antwort, die sie nie bekamen. In gutem Glauben wartend, verpassten die Mühlethaler die Einsprachefrist.
Am durch Petitionen ausgelösten Infoanlass vom 26. Juni 2019 trafen über 100 Mühlethaler auf den Stadtrat. Die Bevölkerung will das Ortsbild retten, den letzten Schlittelhang bewahren, den Verkehr um den Schulweg tief halten und warnt, weil der Ort, an dem gebaut werden soll, für seine Hochwasserempfindlichkeit bekannt ist. Den verärgerten Mühlethalern wird schnell klar gemacht, dass so weichgespülte Argumente nicht die Reglemente aufwiegen, denen in blindem Gehorsam gefolgt wird.
Der Fall Mühlethal zeigt die Gleichgültigkeit einer abgehobenen Politikerkaste gegenüber den Bürgeranliegen und versinnbildlicht, wie es um die Sorge zur Natur und zu heimatlichem Kulturraum in der Schweiz steht. Mühlethal ist kein Einzelfall.
Man hätte sich erhofft, dass nach Lösungen gesucht wird, die Situation zu entschärfen und die Weichen für die Zukunft richtig zu legen. Das süffisante Schulterzucken von Vizeammann Hans Martin Plüss, der begangene Fehler mit dem Satz «Wir werden unsere Prozesse in Zukunft verbessern» kommentierte, war symbolisch für den Abend und ein Leckerbissen für jeden Kommunikationswissenschaftler, der Divergenzen zwischen Aussage und Körperhaltung untersucht. Für das Mühlethal, seine Natur, seine Menschen bleibt zu hoffen, dass Fehler und Schulterzucken der Behörden zu einem starken Schulterzusammenschluss im Mühlethal führen.
Sébastien Gissler, Mühlethal