Schweiz fürchtet sich vor Stromlücke – aber was, wenn auch in Europa die Lichter ausgehen?

Bereits 2025 könnte es in der Schweiz zu Versorgungsengpässen und Stabilitätsproblemen kommen. Vor allem im Winter, wenn die Produktion aus Photovoltaik und Wasserkraft tiefer ausfällt. Vor einer solchen «Stromlücke» warnte Werner Luginbühl, der Präsident der Schweizer Aufsichtsbehörde Elcom, kürzlich im Interview mit CH Media.

Umso wichtiger wäre deshalb der Abschluss eines Stromabkommens mit der Europäischen Union, um Zugang zum EU-Strombinnenmarkt zu erhalten und Stromimporte zu vereinfachen. Wegen dem Ende des institutionellen Rahmenabkommens bleibt ein solcher Deal jedoch bis auf weiteres blockiert. Mehr noch: Die Schweiz droht ohne Rahmenabkommen im Strombereich an den Rand gedrängt zu werden, wie der Ausschluss der Elcom von «Acer», der europäischen Kooperationsplattform der Energiebehörden zeigt, über den die «NZZ» berichtete.

Der Gesamtverbrauch wird steigen. Aber kann die Stromproduktion auch mithalten? Bild: Keystone
Der Gesamtverbrauch wird steigen. Aber kann die Stromproduktion auch mithalten? Bild: Keystone

 

Die Strompreise klettern in Rekordhöhen

Aber gibt es in der EU überhaupt genug Strom für alle? Stellen sich angesichts des Ziels, Europa bis 2050 zum ersten CO2-neutralen Kontinent umzubauen, auf europäischer Ebene nicht dieselben Probleme der Versorgungsknappheit wie in der Schweiz?

Ein Blick auf den europäischen Strommarkt, wo die Preise nicht nur wegen dem Corona-Nachholeffekt im Moment regelrecht durch die Decke gehen, kann da schon zum Nachdenken anregen. In Deutschland zum Beispiel zahlen Konsumenten rund 32 Cent pro Kilowattstunde – so viel wie noch nie. Erste europäische Regierungschefs wie der spanische Premierminister Pedro Sanchez kommen unter Druck. Nach heftigen Protesten wegen den gestiegenen Konsumentenpreisen hat Sanchez per Sofortdekret die Energieversorger zu einem Preisnachlass von rund 2,4 Milliarden Euro gezwungen.

Spricht nur selten von Versorgungssicherheit: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Bild: Keystone
Spricht nur selten von Versorgungssicherheit: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Bild: Keystone

Klar ist: In den Reden der EU-Politiker über den «European Green Deal» und den Kampf gegen die Klimakrise kommt die Frage einer möglichen «Stromlücke» kaum je vor. In ihrer Ansprache zur «Lage der Europäischen Union» am Mittwoch lobte Kommissionschefin Ursula von der Leyen zwar, dass in Deutschland im vergangenen Jahr erstmals mehr Elektro- als Dieselautos zugelassen wurden und dass sich Polen zum grössten Exporteur an Auto-Batterien und Elektrobussen gemausert habe. Wie der durch die Dekarbonisierung von Wirtschaft und Gesellschaft gestiegene Strombedarf aber gedeckt werden kann, darüber verlor sie kein Wort.

Beobachter monieren, dass dies in Europa eher die Regel als die Ausnahme sei: Jeder gehe davon aus, dass man sich beim Nachbar bedienen könne. Das gehe aber nur so lange gut, wie für alle genug vorhanden sei.

Marc Oliver Bettzüge, Direktor des Energiewirtschaftlichen Instituts der Universität Köln, sieht die Gefahr vor allem in möglichen Extremsituationen: «Beispielsweise ein Wochentag im Winter, der sehr kalt in Frankreich und windstill und dunkel in Deutschland ist», wie Bettzüge gegenüber der Fachzeitschrift «et» sagte.

Umstellung auf alternative Energien macht Stromnetz volatiler – und damit anfälliger für Blackouts?

Ein anderes Problem sind die immer höheren Anforderungen an die Netzstabilität wegen den steigenden Stromflüssen. Wie verletzlich das europäische Stromnetz bei einem unvorhergesehenen Zwischenfall ist, zeigte sich im Jahr 2021 bereits zweimal: Im Januar schrammte der Kontinent wegen einem lokalen Defekt in Kroatien und der anschliessenden Kaskade an Überlastungen nur haarscharf an einem Blackout vorbei. Einen zweiten Beinahe-Blackout gab es im vergangenen Juni wegen eines plötzlichen Leistungsabfalls in Südosteuropa.

Um die Netzstabilität zu gewährleisten, wird nun immer wieder der Bau von Gaskraftwerken vorgeschlagen. Zum Beispiel in Deutschland, das 2022 aus der Atomkraft aussteigt und bis spätestens 2038 aus der Kohleverstromung.

Aber auch in der Schweiz werden Gaskraftwerke als temporärer Ersatz für die Bandenergie aus den AKWs gefordert, etwa vom EU-skeptischen Wirtschaftskomitee «Kompass/Europa» des Zuger Finanzunternehmers Freddy Gantner. Tatsächlich hat selbst der Bundesrat den Bau von Gaskraftwerken nicht ausgeschlossen. Mit seiner Botschaft zum Energiegesetz gab er der Elcom den Auftrag, bis zum Dezember ein Konzept zur Erstellung eines Spitzenlast-Kraftwerk zu erstellen. Dieses müsste dann aber CO2-neutral betrieben werden können.