
Schweiz-Offensive im Gang: Wie Baden-Württemberg dem Land im Streit mit der EU helfen will
Ein erfahrener Spitzendiplomat witzelte einmal: Deutschland möge für die Schweiz vielleicht der viel zitierte grosse Bruder sein. «Unser bester Freund aber ist Baden-Württemberg.» Das 11-Millionen-Bundesland verbindet eine rund 400 Kilometer lange Grenze mit der Schweiz. Die Verflechtungen sind eng und über viele Jahre gewachsen. Die Schweiz ist für Baden-Württemberg das wichtigste Importland und die Nummer drei bei den Exporten. Über 60’000 Grenzgänger pendeln täglich von dort zum Arbeiten hierher.
Bewegung gibt’s auch auf politischer Ebene. Nach der Absage Berns an einen institutionellen Rahmenvertrag mit Brüssel startete in Baden-Württemberg eine veritable Schweiz-Offensive. Laut Kennern des Dossiers haben sich Regierungsvertreter von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) in der Causa mehrfach mit EU-Vertretern an einen Tisch gesetzt.
Die Verantwortlichen bestätigen dies. «Auch nach dem Scheitern gab es bereits von Seiten der baden-württembergischen Landesregierung Gespräche mit der Europäischen Kommission», erklärt Caroline Blarr, Sprecherin von Kretschmanns Staatsministerium. Dabei sei die Situation der Schweiz analysiert worden. Konkret habe man sich etwa für eine Assoziierung des Landes beim Forschungsprogramm Horizon Europe eingesetzt.
Welche Priorität die Schweiz in Baden-Württemberg geniesst, zeigt sich im Koalitionsvertrag der Regierung von Grünen und CDU. Diese hat im Sommer ihre zweite Legislaturperiode in Angriff genommen. In dem massgeblichen Vertragswerk hat sie sich für die Zusammenarbeit mit dem Nachbarland eigens Ziele gesetzt; selbst Politinsider haben davon kaum Notiz genommen.
So will die Regierung ihr politisches Gewicht dafür einsetzen, den bilateralen Weg des Nachbarlandes mit der EU zu sichern. Ebenso will sie sich für ein Rahmenabkommen stark machen – dieses Ziel freilich war binnen kurzer Zeit das Papier nicht mehr wert, auf dem es stand.
Spitzentreffen von Parmelin und Kretschmann
Tatsächlich platzte das Abkommen gerade mal zwei Wochen, nachdem der Koalitionsvertrag unterzeichnet worden war. Was nun also? Ministeriumssprecherin Blarr kündigt an: «Wir werden intensiv prüfen, wie wir die Beziehungen zur Schweiz pflegen und sinnvoll intensivieren können.»
Allen voran fordern die Baden-Württemberger die beiden Parteien auf, «schnell in den Dialog zurückzukommen und die bilateralen Verträge zwischen der EU und der Schweiz für die Zukunft verlässlich aufzustellen».
In der Landeshauptstadt Stuttgart jedenfalls will man Nägel mit Köpfen machen. In den kommenden Wochen werden Kontakte auf höchster Ebene gepflegt, wie nun bekannt wird. Am 6. Oktober wird Bundespräsident Guy Parmelin nach Stuttgart reisen und Ministerpräsident Kretschmann zum Austausch treffen. Die beiden werden anlässlich eines sogenannten «Zukunftsforums BW-CH» auch an einer Podiumsdiskussion teilnehmen.
Anfang Dezember dann wird Kretschmann zu einer zweitägigen Reise in die Schweiz aufbrechen. Der Ministerpräsident wird unter anderem zu politischen Gesprächen in Zürich und Basel erwartet.
Als direkter Nachbar sieht sich Baden-Württemberg in der Rolle des Vermittlers und Brückenbauers. Seit einigen Jahren schon hat das Bundesland eine eigene «Schweiz-Strategie». Die Sprecherin verweist auch auf die Coronazeit: «Die Grenzkontrollen im Frühjahr 2020 haben die Bedeutung des gemeinsamen Lebensraums und offener Grenzen sehr bewusst gemacht.»
Wegen der gemeinsamen Pandemiebekämpfung sei der Grenzraum zwischen Basel und Bodensee stärker ins Blickfeld der Politik gerückt. Die baden-württembergische Regierung habe, so Blarr weiter, «in Berlin, Bern und nicht zuletzt in Brüssel für diesen wichtigen und enorm starken Wirtschaftsraum Partei ergreifen können».
Nicht zuletzt prüft das Staatsministerium auch Möglichkeiten, die Zusammenarbeit mit der Schweiz bilateral auszubauen. «Grosses Potenzial für Win-win-Situationen» sehe man etwa im Gesundheitsbereich.
Schweiz präsentiert sich in Stuttgarter Innenstadt
Vor diesem Hintergrund passt es gut, dass auch die Schweiz in Baden-Württemberg eine eigentliche Charmeoffensive lanciert hat. Das «Pop-up House of Switzerland» ist das neuste Instrument für das Landesmarketing. Das Aussendepartement von Ignazio Cassis besucht damit Regionen, deren enge Beziehungen zur Schweiz weiter gefestigt werden sollen.
Dass die Verantwortlichen das Format in Stuttgart starten, ist kein Zufall. Seit dem 1. Juli und noch bis zum 31. Oktober präsentiert sich die Schweiz auf einer 2000 Quadratmeter grossen Gewerbefläche inmitten der Stuttgarter Innenstadt.

Zu sehen sind temporäre Ausstellungen und Produktpräsentationen: von der Markthalle mit Schweizer Käsespezialitäten über eine «Gaming-Zone» bis hin zu einem Drohnen-Hindernisparcours. Insgesamt sind über 100 Veranstaltungen geplant. Angesprochen werden sollen sowohl die breite Öffentlichkeit als auch ein interessiertes Fachpublikum.
«Die temporäre Plattform bietet Gelegenheit, die Sichtbarkeit der Schweizer Hightech-Branche zu erhöhen und hartnäckige Klischees zu durchbrechen», heisst es dazu beim Aussendepartement. Das lässt sich der Bund etwas kosten. Früheren Angaben zufolge fliessen rund zwei Millionen Franken in das Konzept in Stuttgart.

Das «Pop-up House» scheint seinen Zweck zu erfüllen. Oder wie die «Stuttgarter Nachrichten» feststellten: Mit dem Schweizer Auftritt erhalte das «Kuhglocken-Image spürbare Kratzer».